Aus den Feuilletons

Kommt die atomare Renaissance?

03:59 Minuten
Der Kühlturm des Kernkraftwerks Mülheim-Kärlich stürzt kontrolliert ein, nachdem Bagger nacheinander die Stützen entfernt haben. Das Bild ist eine Luftaufnahme von einer Drohne.
Abriss des Kühlturms des stillgelegten AKW Mülheim-Kärlich: Obwohl sie zurzeit eher auf dem Rückzug ist, träumen einige von einer Wiederkehr der Kernkraft. © dpa / Thomas Frey
Von Hans von Trotha · 21.08.2019
Audio herunterladen
Angesichts des Klimawandels plädiert die "Welt" für ein Comeback der Kernkraft. Die sei die einzige Alternative zu fossilen Brennstoffen und dürfe keinesfalls den Rechten überlassen werden. Das ganze unter der beruhigenden Überschrift "Keine Angst".
Für die FAZ berichtet Axel Weidemann von der World Science Fiction Convention, kurz Worldcon, dem "Welttreffen der Science-Fiction und der Fantasy-Literatur". "Das kesselt in allen Farben", berichtet er, stellt allerdings auch fest:
"Der Klimawandel, seit langem Thema der science fiction, findet auf der Worldcon vergleichsweise wenig Niederschlag im Programm."
Muss er auch nicht. Denn er füllt die anderen Feuilletons. Und wie. Nach der Phase des Sammelns, Ordnens und Fragens scheint jetzt die Zeit des Verkündens der Wahrheit gekommen. Nur bekommt nicht jeder die gleiche Wahrheit zu hören.

Die Klimadebatte soll politischer werden

In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG befindet Thomas Steinfeld:
"Die Debatte über den Klimaschutz hat sich in eine Ideologie privater Verantwortung verwandelt" und fordert: "Sie muss politischer werden." Was er darunter versteht, macht er unmissverständlich deutlich.
Zunächst einmal sollen wir nicht mehr von der "Menschheit" sprechen. Denn "die Menschheit" hat "noch nie etwas gedacht, geschweige denn etwas beschlossen. Sie ist gänzlich unfähig, ihr 'Verhalten' zu ändern, denn sie ist kein Subjekt, findet Steinfeld.
"Wer immer 'die Menschheit' anruft, weiß um seine Ohnmacht. Er tritt ihr mit einer ins Imaginäre gerichteten Entscheidungswut entgegen, die garantiert keine Folgen zeitigt, abgesehen davon, dass die Forderung den Fordernden ins Recht setzt und ihm die Genugtuung des Besserwissens verschafft."
Eine gewisse "Genugtuung des Besserwissens" zieht sich durch alle Beiträge zum Thema, den Steinfeldschen nicht ganz ausgenommen. Schließlich weiß Thomas Steinfeld, was die Wahrheit ist:
"Wahr ist, dass die Verwandlung eines globalen politischen Problems in eine Ideologie der persönlichen Verantwortung die beste Garantie dafür ist, dass es moralisch, aber begriffslos weitergeht."

Kommt die Kernkraft zurück?

Auch Michael Pilz kennt die Wahrheit, es ist aber eine andere. Er teilt sie uns via WELT mit. "Keine Angst", schreibt er vorsichtshalber darüber. Es ist ein "Plädoyer für eine atomare Renaissance", wobei Pilz beklagt:
"Die Gespräche über die auf kürzere Sicht wahrscheinlich einzige vernünftige Alternative zum Verbrennen kohlenstoffhaltiger Sedimente haben sich verfestigt wie ein Kugelstau im Thoriumreaktor."
Und da soll man keine Angst haben?
Pilz meint auch, man "muss die Kernkraft nicht den Rechten überlassen".
Ja, wie soll man überhaupt "mit Rechten über’s Klima sprechen?" Das fragt die taz sich, beziehungsweise Jenny Keck von der Bewegung Parents for Future, die in Dresden rechtsextreme Parteien zu einer Podiumsdiskussion erst ein- und dann wieder ausgeladen hat. Kurz gesagt: Frau Keck weiß es auch nicht, Zitat: "Wir sind als Bewegung noch relativ unerfahren."

Die Stimmung ist euphorisch

Aber engagiert. Und das passt zu Thomas E. Schmidts Befund in der ZEIT:
"Der Klimaschutz löst zumindest in den meinungsfreudigen Schichten der deutschen Bevölkerung Euphorie aus."
Schmidt spricht von einer "Stimmungslage, die "mit Wahrheit und Weltgeschichte liiert" ist und "mit dem Verweis auf eine baldige, wenn nicht schon eingetretene Unumkehrbarkeit der Entwicklung zum kollektiven Tod jeden Widerspruch" ausschließt.
Was den feuilletonistischen Wahrheitsanspruch zumindest ein wenig erklären könnte.
"Verzichten müssen die Kinder. Die kommenden Generationen werden eingezogener leben, regionaler, bescheidener."
Das gibt Ärger mit Thomas Steinfeld. Denn der erklärt "die Kategorie 'Generation' in mehrfacher Hinsicht" zur "intellektuell fatale(n) Angelegenheit."

68 Reloaded

Vielleicht auch, weil er Angst hat vor den Konsequenzen? Thomas E. Schmidt meint nämlich:
"Denkbar ist auch ein neues Achtundsechzig. Die Jüngeren begreifen irgendwann, dass Klimaschutz mit Generationengerechtigkeit überhaupt nichts zu tun hat, sondern dass sämtliche Lasten sie tragen. Vielleicht reiben sie es den Alten, die alles versauten, eines Tages gehörig unter die Nase."
Schmidt resümiert: "Das Projekt Weltrettung hat ein enormes Enttäuschungspotenzial. Das Thema entwickelt auf der politischen Bühne eine gewisse Eigenlogik, ins Unbedingte, ins Quasireligiöse zu streben."
Nicht nur in der Politik, bisweilen auch im Feuilleton.
Mehr zum Thema