Verkehrswende

Mehr Geld für sicheres Radfahren

04:20 Minuten
Ein Radfahrer fährt auf einem markierten Fahrradstreifen in Hamburg.
Viele Menschen sind nicht für das Radfahren zu gewinnen, weil sie Angst vor dem Straßenverkehr haben, so Tanja Dückers. © imago images / Hoch Zwei Stock / Angerer
Ein Einwurf von Tanja Dückers · 18.02.2020
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Das Fahrrad ist Kult: Selten hat ein Verkehrsmittel in kurzer Zeit so eine Aufwertung erfahren. Doch die Verkehrswege sind dem nicht gewachsen, kritisiert die Publizistin Tanja Dückers – und fordert einen konsequenten Ausbau der Radinfrastruktur.
Die Bemühungen, einen Teil der Autofahrerinnen aus den Ballungszentren zum Umsatteln aufs Fahrrad zu bewegen, sind bisher nicht erfolgreich gewesen. Seit den 90er-Jahren gibt es trotz gestiegenem Umweltbewusstsein keinen nennenswerten Zuwachs des Radverkehrs in Deutschland.
Eine erste Erklärung liefert eine Studie des Allgemeinen Deutschen Fahrrad Clubs. Die Studie offenbart, dass der Anteil an sogenannten vulnerablen – also verletzlichen – Verkehrsteilnehmerinnen viel höher ist als erwartet. Als vulnerabel werden allgemein Verkehrsteilnehmerinnen bezeichnet, die keine Knautschzone haben: Radfahrende und Fußgängerinnen.

Aus Angst nicht aufs Fahrrad

Der Begriff wird auch enger gefasst und für die Bürgerinnen verwendet, die Angst haben, sich im Öffentlichen Verkehr fortzubewegen. Wie die ADFC-Studie deutlich macht, ist ein gutes Drittel der Verkehrsteilnehmenden nicht zum Radfahren zu gewinnen, unter anderem weil sie schlicht Angst vorm Straßenverkehr haben.
Dass diese Ängste nicht übertrieben sind, zeigt ein Blick in die Unfallstatistik: Im vergangenen Jahr verunglückten 90.000 Radfahrende in Deutschland. Häufige Ursache dabei war, dass sie einfach von Autofahrenden, insbesondere LKW-Fahrenden, übersehen wurden. Schätzungen des ADFC zur Folge sind in Deutschland weniger als 5 Prozent der gemeldeten LKW mit Abbiegeassistenten ausgestattet.

Fehlende Radinfrastruktur

Die Mehrheit der Bevölkerung, fast zwei Drittel, ist jedoch "interessiert, aber besorgt". Diese Menschen werden häufig durch fehlende separate Radwege davon abgehalten, umzusatteln. Sie fahren nur auf stressarmen Strecken Rad. Hierzu zählen überwiegend Frauen, Kinder und deren Eltern und ältere Menschen.
Trotz vollmundiger Reden über Klimaschutzziele wird in Deutschland viel zu wenig Geld in den Verkehrsumbau investiert. Greenpeace hat unter dem Motto "Radfahrende schützen, Klimaschutz stärken" eine Studie veröffentlicht, aus der hervorgeht: Städte wie Amsterdam, Utrecht und Kopenhagen investieren seit Jahrzehnten erheblich mehr in eine sichere Rad-Infrastruktur.
Obwohl in diesen Ländern viel mehr Fahrrad gefahren wird als in Deutschland, verunglücken dort Radfahrende zehnmal seltener.

Ernüchternde Zahlen

Autostraßen werden dort zu Fußgänger- und Radwegen umgewidmet. Auf neuen Radwegen dürfen Autos nur in Ausnahmefällen fahren und müssen sich dabei der Geschwindigkeit der Radfahrenden anpassen. Rund 200 Millionen Euro will allein die Stadtverwaltung von Amsterdam in den kommenden Jahren in fahrradfreundliche Maßnahmen investieren.
Und in Deutschland? Hier sind die Zahlen ernüchternd: In Berlin werden gerade mal 4,70 Euro pro Bürger pro Jahr investiert, in Stuttgart 5 Euro. In Kopenhagen sind es laut Greenpeace-Auswertung 35,60 Euro. Damit ist noch lange nicht das Ende der Fahnenstange erreicht. In Oslo werden 70 Euro pro Kopf und Jahr in sichere Radwege investiert, Tabellenerster ist Utrecht mit 132 Euro.

Radverkehr hat großes Potenzial

Ohne eine bürgernahe Politik, die sich an den schwächsten und nicht an den stärksten Verkehrsteilnehmerinnen orientiert, wären solche verkehrspolitischen Reformen nicht möglich gewesen. Zudem beklagt der ADFC, dass es in Deutschland, anders als in den zuvor genannten Ländern, keine breitenwirksame "eigenständige Fahrradkultur" gibt - eher einzelne Radlerinnen. Deren politisches Gewicht ist nicht groß genug. So besteht immer noch keine gesetzliche Pflicht zum Einbau von Abbiegeassistenten.
Nach Angaben des Umweltbundesamts lassen sich in Deutschland bis zu 30 Prozent aller Fahrten, die bisher mit dem PKW unternommen werden, mit dem Fahrrad erledigen. Doch dafür ist eine neue Infrastruktur, eine im Alltag gelebte Fahrradkultur nötig, die es den Radfahrerinnen ermöglicht, risikoarm unterwegs zu sein. Und dafür muss in Deutschland Geld in die Hand genommen werden.

Tanja Dückers, geboren 1968, Studium der Germanistik, Nordamerikanistik und Kunstgeschichte, lebt als Schriftstellerin und Publizistin in Berlin. Sie hat 18 Bücher veröffentlicht, darunter Romane, Erzählungen, Gedicht- und Essaybände. Sie lehrt regelmäßig als Gastprofessorin in den USA. Als Journalistin äußert sie sich zu soziopolitischen und ökologischen Fragestellungen.

© Anton Landgraf
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