"Verhindern, dass wieder aus wenig Geld so viel Schulden gemacht werden können"

Thomas Fricke im Gespräch mit André Hatting · 06.11.2013
"Der globale Finanzmarkt schlittert seit Jahrzehnten von Krise zu Krise", sagt der Wirtschaftsjournalist Thomas Fricke. Und er meint: Die Rezepte der Europäischen Union wie die Begrenzung der Banker-Boni sind wirkungslos. Ansetzen müsse man stattdessen ganz woanders.
André Hatting: 2007 gab es den großen Knall: Die Immobilienblase platzt, ein Jahr später ging die amerikanische Investmentbank Lehman Brothers Pleite. Andere große Kreditinstitute wurden mit Steuergeldern gerade so gerettet, in Deutschland zum Beispiel die Commerzbank. Diese Finanzkrise wirkt bis heute nach, hat in Wahrheit aber viel früher begonnen, in den 80er-Jahren nämlich. Das behauptet der renommierte Wirtschaftsjournalist Thomas Fricke, ehemals bei der "Financial Times Deutschland" und heute Leiter des Internetportals Neue Wirtschaftswunder. Guten Morgen, Herr Fricke!

Thomas Fricke: Guten Morgen!

Hatting: Wieso geht die aktuelle Finanzkrise auf die 80er-Jahre zurück?

Fricke: Na ja, im Kern sehe ich diese aktuelle Krise im Grunde genommen als so einen vorläufigen, wahrscheinlich vorläufigen, Höhepunkt einer Entwicklung, die eben in den 80er-Jahren begonnen hat mit der sehr starken Liberalisierung der Finanzmärkte, die wiederum eine sehr starke Instabilität der Finanzmärkte mit sich gebracht hat. Und das hat eben im Endeffekt zu einer ganzen Reihe von Finanzkrisen geführt, im Grunde genommen fast permanent Krisen in irgendeiner Form, Finanzblasen, dann Immobilienmärkte, die überhitzt haben und dann wieder gecrasht sind und so weiter. Das ist im Grunde genommen eine Kontinuität seit Beginn der 80er-Jahre, seit die Märkte liberalisiert worden sind, und ist eben mit dieser furchtbaren Krise, die wir seit 2007 erleben, zu einem vorläufigen Höhepunkt gekommen.

Hatting: Das müssen Sie aber ein bisschen näher erklären. Warum sind die freien Finanzmärkte an allem schuld?

"Das Experiment ist krachend gescheitert"
Fricke: Sie sind nicht an allem schuld, das sollte man sicherlich nicht behaupten. Wir haben aber jetzt im Laufe dieser Zeit feststellen können, dass die Märkte offenbar nicht das tun, was sie eigentlich hätten tun sollen, jedenfalls nach der Theorie, nach der Theorie der immer effizienten und logisch handelnden Finanzmärkte. Danach hätte es eigentlich so sein sollen, dass die Spekulanten immer so handeln, dass die Märkte in ein Gleichgewicht kommen, dass immer, wenn irgendetwas ausreißt, die Spekulanten so weise sind, dass sie gleich dagegen wetten, und dann sind die Preise wieder ganz normal. Das findet einfach in der Realität nicht statt, das muss man einfach nach 30 Jahren Finanzglobalisierung sagen. Dieses Experiment ist einfach krachend gescheitert. Die Märkte haben einen sehr starken Hang, immer wieder Herdentrieben zu folgen. Da gibt es auch mittlerweile eine ganze Reihe von Studien, die auch gezeigt haben, warum die Märkte gar nicht so rational handeln, wie sie das eigentlich hätten tun sollen.

Hatting: Die Märkte oder die Devisenhändler, also diejenigen, die am Markt agieren, handeln die irrational?

Fricke: Ja. Im Grunde genommen handelt jeder Einzelne eigentlich gar nicht irrational, weil wenn irgendwo eine Blase entsteht, wenn die Kurse plötzlich sehr stark hochgehen, ist es für den Einzelnen durchaus rational zu sagen, ich steige da ein. Weil wenn er einsteigt und der Nachbar einsteigt und der Kollege noch einsteigt, dann werden natürlich die Kurse weiter steigen, und dann sieht man sich natürlich darin bestätigt. Und es gibt keinen automatischen Stoppmechanismus, der das dann stoppt. Da laufen alle hinterher, so wie das in der New Economy zum Beispiel der Fall war. Das ist ein kollektives Problem, kein individuelles, also im Grunde genommen muss man sagen, der Einzelne handelt möglicherweise sogar rational und vernünftig für sich selber, solange die Blase nicht platzt. Aber sie platzt halt irgendwann, und dann entsteht das große Problem.

Hatting: Wie muss man eigentlich in diesem Zusammenhang den Höhenflug des Dax sehen? Über 9.000 Punkte, das ist der Rekord. Sind die Unternehmen wirklich so stark oder stehen wir hier kurz wieder vor dem nächsten Crash?

"Der Dax ist um ein Vielfaches der realen Wirtschaftsleistung gestiegen"
Fricke: Ja, die Gefahr ist schon relativ groß, dass wir da vor dem nächsten Crash stehen. Und wenn man das auch in die historische Perspektive setzt, muss man eben einfach feststellen, dass der Dax, der Wert der Aktien der Unternehmen, im Laufe dieser Zeitspanne ein Vielfaches von dem gestiegen ist, gewachsen ist verglichen zu dem Anstieg der realen Wirtschaftsleistung der Unternehmen. Und da kann einfach etwas nicht stimmen, weil die Unternehmenswerte, also die Aktien, sollen ja eigentlich den Wert der Unternehmen spiegeln, und wenn das über einen so langen Zeitraum so drastisch voneinander abweicht, muss man eben auch vermuten, dass dahinter eine Blase steckt, dass da einfach sehr viel heiße Luft steht, die viel zitierte Liquidität, die jetzt gerade da ist, dass halt viel Geld im Umlauf ist, was halt Anlage sucht, und dann ist man halt wieder in so einer Spekulationswelle. Und weil alle im Moment auf den Dax oder auf die Aktien gesetzt haben, funktioniert das wieder mal. Man hat auch wieder das Gefühl, man ist da auf dem richtigen Dampfer, in der richtigen Welle drin. Aber da fehlt einfach die reale Kraft dahinter, denn die letzten Jahre waren jetzt so überragend nicht, was die wirtschaftliche Entwicklung angeht.

Hatting: Die Europäische Union will Finanzkrisen vorbeugen, gibt es verschiedene Rezepte, zum Beispiel die Begrenzung der Boni für Banker, zum anderen sollen die Kreditinstitute ihr Finanzgeschäft vom Spekulationsgeschäft, also dem Investmentbanking, abtrennen – hilft das?

Fricke: Ich glaube, das ist zum großen Teil eher ein Kurieren an Symptomen. Es ist einfach so: Wenn man den Bankern jetzt die Boni begrenzt, verhindert man ja noch nicht, dass eben innerhalb dieser Finanzbranche diese Dynamiken entstehen, und von daher wird es nicht sehr viel dran ändern und wird auch die nächste Krise nicht verhindern.

Hatting: Was hilft denn dann Ihrer Meinung nach?

Fricke: Ich glaube, man muss ganz grundsätzlich einen Punkt angehen, das ist die Ausstattung der Banken mit Eigenkapital, mit eigenen Mitteln. Es war einfach in diesen 30 Jahren Finanzglobalisierung so, dass man dachte, die Banken sind eigentlich immer irgendwie effizient, das, was die machen, ist irgendwie immer gut, man hat ihnen ja allen Freiraum gelassen, und deshalb können die mit sehr wenig Geld sehr viele Schulden machen. Das drückt sich aus in dieser sehr niedrigen Eigenkapitalquote, die sie haben mussten, sprich, die konnten mit relativ wenig Einlagen sehr viele Kredite vergeben, sehr viele Schulden selber machen. Das ist wirklich ganz fern von dem, was im Rest der Wirtschaft gang und gäbe ist. In der Industrie gibt es Eigenkapitalquoten von im Schnitt geschätzt 25 Prozent, bei den Banken waren es gerade 3 Prozent. Ich glaube, es ist ganz wichtig, diese Eigenkapitalanforderungen an die Banken drastisch hochzusetzen – nicht auf einen Schlag, aber im Laufe eines übersehbaren Zeitraums –, um halt zu verhindern, dass wieder aus wenig Geld so viel Schulden gemacht werden können.

Hatting: Was würden Sie, Herr Fricke, außer einer Erhöhung der Eigenkapitalquote bei den Banken, was würden Sie Union und SPD noch empfehlen, was unbedingt in den Koalitionsvertrag hinein muss?

"Den Hochfrequenzhandel drastisch unterbinden"
Fricke: In den Koalitionsvertrag könnte man reinschreiben – das ist allerdings etwas, was natürlich dann jetzt nicht ganz alleine die Bundesregierung umsetzen kann –, dass man sich in die Richtung bewegt eines neuen Weltwährungssystems, so wie wir das in der Nachkriegszeit gehabt haben, wo es sehr stabile Verhältnisse gab, wo die Wechselkurse fixiert waren und einfach für die Unternehmen eine sehr große Kalkulationssicherheit da war. Das, denke ich, wäre ein ganz wichtiger Schritt. Der zweite Schritt, den man auch unmittelbar jetzt natürlich machen konnte, war – da ist aber ja schon eine Einigung da –, dass man halt die Finanztransaktionssteuer vorantreibt. Die hängt ja so ein bisschen im europäischen Raum, da fehlen ein paar wichtige Akteure, die da noch mitzumachen hätten, es ist aber auf jeden Fall eine wichtige Maßnahme. Weil dadurch, dass man eben diese Steuer einführt, würde man sehr stark auch diesen Hochfrequenzhandel, dieses sehr schnelle, kurze Spekulieren mit Geld, drastisch unterbinden und dadurch einfach auch diese Dynamik, diese fatale Dynamik an den Finanzmärkten rausnehmen.

Hatting: Der Wirtschaftsjournalist Thomas Fricke. Und wenn Sie jetzt nicht allem immer folgen konnten – das Thema ist ja nicht so ganz leicht –, dann können Sie Frickes Thesen und Analysen noch einmal in seinem aktuellen Buch nachlesen: "Wie viel Bank braucht der Mensch?" heißt es und ist im Westend-Verlag erschienen. Herr Fricke, ich bedanke mich für das Gespräch!

Fricke: Vielen Dank!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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