Verheißungsvoller Einstieg in die literarische Welt

Von Heinz Berggruen · 15.05.2011
Kunstsammler Heinz Berggruen (1914-2007) berichtet, wie er in Frankreich der Tochter des norwegischen Schriftstellers Knut Hamsun begegnete. Seit jenen Tagen hat sich sein Hunger nach Büchern nie wieder gelegt.
Ich war etwa 16 Jahre alt, als ich mit meiner Mutter von Berlin, wo wir lebten, nach Juan-les-Pins fuhr. Juan-les-Pins war damals ein charmanter kleiner Badeort, ein paar Kilometer von Cannes in Richtung Nizza gelegen, doch im Gegensatz zu Cannes, das damals schön überlaufen war, sehr viel stiller, bescheidener und auch wesentlich billiger. Wir wohnten in einer freundlichen Pension in der Nähe vom Strand, die von weißrussischen Emigranten geführt wurde.

Unter den Pensionsgästen, die man bei den Mahlzeiten traf, fiel mir sehr rasch ein junges attraktives Mädchen auf, eine Norwegerin, wie man mir sagte. Wir wurden schnell bekannt. Ihr Vater sei Schriftsteller, erzählte sie mir, er schriebe Romane. Er hieße Hamsun. Hamsun? Knut Hamsun, der beführte Nobelpreisträger? Ja, das sei er. Aber sie wäre nur ganz "privat", also anonym, in Juan-les-Pins, und das sollte ich bitte respektieren.

Hamsun war der Autor von "Hunger", einem Buch, das, wie die Romane von Hermann Hesse, ein weltweiter Besteller wurde. Für mich war die Begegnung mit der Hamsun-Tochter ein aufregendes Treffen. Ich, der ich als Unterprimaner (Wahlfach: europäische Literatur!) literarische Ambitionen hatte, war von dem Gefühl durchdrungen, durch eine glückliche Zufallsbekanntschaft dem Reich der Bücher ganz stark näher gerückt zu sein. Dass Hamsun sich später als Nazi bekannte und als Quisling verurteilt wurde, konnte damals niemand ahnen.

Meine Begegnung mit Fräulein Hamsun empfand ich als einen verheißungsvollen Einstieg in die literarische Welt. Kaum nach Berlin zurückgekehrt, besorgte ich mir eine deutsche Ausgabe von "Hunger". Ich hatte mit der jungen Norwegerin verabredet, ihr das Buch zu schicken, damit ihr Vater eine Widmung hineinschreiben könnte. Das geschah dann auch, und ich war überglücklich. Fragen Sie mich bitte nicht, was mit dem Buch geschehen ist. Inzwischen war ich viele Jahre in Amerika und viele Jahre in Frankreich und irgendwo, irgendwann, hélas, ist der signierte Roman verschütt gegangen. Aber der Hunger nach Büchern hat sich seit jenen Tagen nie gelegt.

Gesendet in Deutschlandradio Kultur am 12.10.2002.
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