Zerocalcare: "Vergiss meinen Namen"

Was einen Jungen zum Mann macht

06:46 Minuten
Das Cover des Comic "Vergiss meinen Namen" von Zerocalcare zeigt eine typische Comicszene: Zwei Comicfiguren schauen sich schreckhaft um, weil in den Schatten Monster auf sie lauern.
© Avant-Verlag

Zerocalcare

Aus dem Italienischen von Daniel Koll

Vergiss meinen NamenAvant Verlag, Berlin 2022

240 Seiten

25,00 Euro

Von Frank Meyer · 20.07.2022
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Zerocalcare fliegt schreiend durch den Raum, über ihm ein schwarzes Ungeheuer mit Zähnen wie Dolche: Im derben Cartoon-Stil erzählt diese Graphic Novel von dem Schmerz, an die Geheimnisse der Familiengeschichte zu rühren.
Zerocalcare ist der Künstlername des italienischen Zeichners und Autors Michele Rech. In den Nullerjahren wurde er zu einem der am meisten gelesenen Comicautoren in Italien, mit Büchern über seine Punker-Jugend im römischen Vorort Rebibbia, über seine linke Politisierung und über seine Familiengeschichte. Im vergangenen Jahr hatte Zerocalcare einen großen Erfolg mit einer italienischen Netflix-Serie nach seinen Comics.

Was der Tod anstößt

„Vergiss meinen Namen“ ist eines seiner drei autobiografischen Bücher. Der Tod seiner Großmutter stößt hier eine Welle von Fragen beim damals knapp zwanzigjährigen Zerocalcare an.
Wie ist die aristokratische französische Großmutter ins römische Problemviertel Rebibbia geraten? Wer sind die Unbekannten auf den Familienfotos? Und woher kommt die ganze Angst in ihm selbst?

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Zerocalcares Buch steckt voller Überraschungen. Es beginnt wie eine klassische Suche nach den Hintergründen einer Familiengeschichte und entwickelt sich zu einer verrätselten Parabel über Geheimnis und Identität.
Es erzählt von einem Jungen aus einem römischen Problemviertel und weitet sich zu einem Kompendium der Populärkultur. Und es zeichnet eine Mutterfigur, die zuerst als bornierte Glucke daherkommt, aber immer mehr zur eigentlichen, abenteuerlichen Heldin dieser Geschichte wird.

Hühner und ein Gürteltier

Einige Elemente tauchen in den Büchern von Zerocalcare immer wieder auf. Dazu gehört das Gürteltier, das ihn als Personifizierung seiner überaus rationalen Seite begleitet. Die Dialoge zwischen Zerocalcare und dem zynisch-klugen Gürteltier sind komische Höhepunkte in diesem Buch. Die Verwandtschaft des Erzählers tritt in Tiergestalten auf, der Vater als melancholische Ente, die Mutter als voluminöse Glucke und die Großmutter als zartes Hühnchen.
Zusammen mit Zerocalcares derbem Cartoon-Stil ergibt das eine wilde Mischung aus grellen und zarten Szenen, aus Kindheitsmomenten und Gegenwart, aus hartem Realismus und düsterer Fantastik, arrangiert in immer wieder anderen, sehr dynamischen Seitengestaltungen.
Eine weitere Ebene eröffnen die endlosen Anspielungen auf Mangas, Actionfilme und Fernsehserien, mit denen die Jüngeren sich hier die Welt verständlich machen.

Russische Emigranten und Nazis

Das Buch hat in all seiner Vielfalt ein starkes Zentrum: die Figur Zerocalcares selbst und seinen tiefen Wunsch, das Verschwiegene in seiner Familiengeschichte zu verstehen. Dazu muss er mehr von der Kindheit seiner Großmutter unter russischen Emigranten erfahren und von ihrer Ehe mit einem britischen Hochstapler, der vielleicht auch die Nazis an der Nase herumgeführt hat.
Seine eigene Mutter spielt in dieser Geschichte eine unerwartete Schlüsselrolle. Um von all dem zu hören, muss Zerocalcare den Mut finden, seine Eltern nach dem lange Verschwiegenen zu befragen, bei ihnen an Vergrabenes und Schmerzendes zu rühren.
Vielleicht ist es diese Schwelle, die seine Großmutter meinte, als sie sagte: „Ich sterbe nicht, bevor du ein Mann geworden bist!“
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