Vergangenheitsbewältigung auf Spanisch

Von Gregor Ziolkowski · 10.06.2005
Lange herrschte in Spanien Schweigen über die Zeit der Diktatur. Nun aber - rund 30 Jahre nach Francos Tod - kommt das Land der Aufarbeitung seiner Vergangenheit ein Stück näher. Das Archiv von Salamanca soll zur Zentralstelle für die Dokumente der gesamten Zeit des Franquismus erweitert werden und künftig Zentrum der Erinnerung heißen.
Als die von der Regierung berufene Expertenkommission Ende des vergangenen Jahres in Madrid an die Öffentlichkeit trat, um ihre Empfehlung an die Regierung zu verkünden, da kam der Ratschluss wegen der politischen Konstellationen nicht wirklich überraschend. Zündstoff enthielt er dennoch.

Diese Kommission - erklärte Federico Mayor Zaragoza als Sprecher des Gremiums - erachtet die Gründe für die Rückforderung der Dokumente der Regionalregierung von Katalonien, die zur Zeit als solche im Allgemeinen Archiv des Bürgerkriegs identifiziert sind, für gerecht und legitim.

Die Empfehlung lautete folglich, die Originale der Dokumente der Franco-Repression zurückzugeben. Die Entrüstung ließ nicht lange auf sich warten. Sie hatte einen sachlichen Hintergrund, den im Vorfeld der Entscheidung Miguel Ángel Jaramillo, der Leiter des Archivs, zu bedenken gegeben hatte.

"Die moralische Rechtfertigung der Rückforderungen ist überhaupt nicht anzuzweifeln: Man hat Dokumente gestohlen, die meinem Großvater, meiner Institution oder wem auch immer rechtmäßig gehört haben. Auf der anderen Seite sind zunächst 40 Jahre Diktatur vergangen, danach ein Vierteljahrhundert, in dem diese Dokumentation einem völlig anderen Zweck gedient hat. Was wiegt nun schwerer? Eine historische Rechtfertigung, die Konservierung des historischen Gedächtnisses, ein Rückgabeanrecht?"

Aber nicht so sehr diese bedenkenswerten Argumente des Chefarchivars beherrschten die Diskussion über die Expertenempfehlung, vielmehr war es der politische Hintergrund, der diese Entscheidung mit herbeigeführt hatte. Diese Regierung sei in den Händen der katalanischen Nationalisten, wettert seitdem die konservative Opposition. Das Argument ist nicht völlig von der Hand zu weisen, zumal sich sowohl die katalanischen als auch die baskischen Nationalisten überaus selbstbewusst mit ihren Forderungen und einigen Dreistigkeiten zu Wort gemeldet haben, seit in Madrid die Sozialisten regieren. Die Einheit Spaniens sei in größter Gefahr, so lautet seither das politische Hauptargument, das die konservative Volkspartei vorbringt, um die Regierung zu attackieren. Und die Bereitschaft dieser Regierung, der alten Forderung aus Katalonien zu entsprechen, wird in dieser Argumentation zum symbolträchtigen Beleg für die Existenz einer solchen Gefahr. Es war also ein überaus heißes politisches Eisen, das Kulturministerin Carmen Calvo zu manövrieren hatte, als sie jetzt die Pläne der Regierung für die Zukunft des Archivs von Salamanca vorstellte.

"Wir wollen einen Ort der Erinnerung und der Dokumentation einrichten, der anders und besser arbeiten kann. Anders, weil wir in Salamanca künftig mehr und hochwertige Dokumente konzentrieren, die aus Spanien und aus dem Ausland kommen werden. Dieser Ort soll auch andere historische Gegebenheiten beleuchten, nicht mehr nur den Bürgerkrieg und die Diktatur, sondern etwa auch das Exil und die Epoche, in der die Grundlagen für die Demokratie geschaffen wurden. Hier soll nicht mehr nach Siegern und Besiegten unterteilt werden, sondern ein Ort der gemeinsamen historischen Erinnerung an eine komplizierte Zeit entstehen, die dann doch einen glücklichen Ausgang gefunden hat. "

Zentrum der Erinnerung soll die Einrichtung künftig heißen, und nicht weniger als die Zentralstelle für die Dokumente der gesamten Zeit des Franquismus ist da angekündigt. Nicht alles wird im Original dort lagern, vieles nur in digitalisierter Kopie. Die Aufwertung des Archivs von Salamanca ist dennoch unverkennbar. Denn allein die Zusicherung, dass Kopien sämtlicher bürgerkriegsrelevanter Akten, deren Originale zum Beispiel im Militärarchiv in Ávila, aber auch in anderen Archiven lagern, schafft eine Zentralisierung, die es Forschern künftig erleichtern wird, ihr Material zu studieren. Selbst die "Stiftung Francisco Franco", die von der Tochter des Diktators geführt wird und in dem Ruf steht, Historikern den Zugang zu ihren Beständen nicht eben zu erleichtern, wird Kopien dieser Bestände nach Salamanca liefern. Dem noch immer wenig bearbeiteten Thema des Exils, in das rund eine halbe Million Menschen flüchten mussten, als der Sieg Francos sich abzeichnete beziehungsweise Wirklichkeit geworden war, dürften neue Erkenntnisse abzuringen sein, wenn es gelingt, das Vorhandene zu konzentrieren. Als vor drei Jahren eine erste große Ausstellung das republikanische Exil dokumentierte, kam das Material aus insgesamt 80 institutionellen oder privaten Sammlungen.

"Als wir das Projekt auf den Weg brachten, haben wir viele Verbündete getroffen, die wir zuvor gar nicht kannten. Die uns aus dem Ausland geholfen haben, als sie von diesem Vorhaben erfuhren. Und so können wir die unmittelbar bevorstehende Erweiterung der Bestände von Salamanca ankündigen durch Dokumente, die aus Russland, Frankreich, Argentinien und Mexiko kommen. Hinzu kommt eine Vielzahl von Angeboten von Personen oder Institutionen, die uns ihre Bereitschaft signalisiert haben, Dokumente oder ganze Bestände diesem Zentrum der Erinnerung zur Verfügung zu stellen. Es sind dies Angebote, die vermutlich nie unterbreitet worden wären, wenn wir dieses Projekt nicht in Angriff genommen hätten. "

Das alles hat natürlich seinen Preis: Zwölf Millionen Euro schießt die Regierung zunächst für den Betrieb des neuen Zentrums zu. Die Mitarbeiterzahl der Einrichtung wird sich von derzeit 36 auf dann 76 mehr als verdoppeln. Der Kauf eines benachbarten Stadtpalais wird gerade abgewickelt, und dass etwa für die geplanten Veranstaltungen und Kongresse oder für das einzurichtende Audio-Archiv, das die Stimmen von Zeitzeugen aufnehmen soll, weitere Mittel fließen müssen, ist der Ministerin durchaus klar.

Im Bewusstsein, dass mit der Zukunft des Archivs von Salamanca ein politisches Reizthema behandelt wird, hat Carmen Calvo eine brillante Initiative vorgelegt: Aus Francos so genanntem Archiv der Repression ein Dokumentations- und Forschungszentrum zum Franquismus insgesamt zu machen, das obendrein seine öffentlichen Aktivitäten erhöhen wird, das ist ein Schritt, gegen den sich schwer argumentieren lässt. Derart umfangreich ist dieses Projekt, dass der politische Preis, der dafür entrichtet wurde, vergleichsweise klein erscheint. Die Rede ist von etwa zwei Prozent der Akten aus Salamanca, deren Originale nach Katalonien zurückkehren werden. Ein Reizthema ist aus der Welt, und Spanien kommt auf diese Weise der Aufarbeitung seiner Franco-Vergangenheit vermutlich wieder ein Stück näher.
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