Verbraucherverband: Reform macht Gesundheit teurer

Stefan Etgeton im Gespräch mit Christopher Ricke |
Der Bundesverband der Verbraucherzentralen sieht in der Gesundheitsreform eine klare Erhöhung der Kosten für die Versicherten. „Als Steuerzahler ist man mit zwei Milliarden dabei – insofern wird es schon teurer,“ sagt Stefan Etgeton, Referatsleiter Gesundheit.
Christopher Ricke: Wichtige Tage für Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler, wichtige Tage für alle gesetzlich Krankenversicherten: Die Reform der Reform der Reform der Gesundheitsreform geht gerade durchs Parlament. Gestern ging es um die Arzneimittelpreise, heute folgt der große Rest. Die Regierungskoalition beschließt, was alles Anfang des kommenden Jahres in Kraft tritt, dass der Beitragssatz steigt, dass die Zusatzbeiträge keine Obergrenze mehr haben, mit in dem Paket ist mehr Geld für die Ärzte und das heißt, mehr Geld von den Versicherten. Es wird erst mal teurer. Dennoch: Der Minister gibt sich sehr überzeugt.

Philipp Rösler: „Wir schaffen damit ein robustes Gesundheitssystem, das nicht mehr alle zwei bis drei Jahre reformiert werden muss, und wir schaffen die Voraussetzung dafür, dass Gesundheitsvorsorge und Gesundheitsversorgung besser wird, aber definitiv nicht teurer.“

Ricke: Das mit dem definitiv nicht teurer, das muss man erst mal sehen. Stefan Etgeton, Fachmann bei Verbraucherzentrale Bundesverband – guten Morgen, Herr Etgeton!

Stefan Etgeton: Schönen guten Morgen, Herr Ricke!

Ricke: Glauben Sie das dem Minister, es wird nicht teurer?

Etgeton: Nein, für die Versicherten wird es eindeutig teurer, das kann auch niemand bestreiten: 0,3 Prozent allein für die Arbeitnehmer vom Einkommen, die Arbeitgeber zahlen auch noch mal was dazu, als Steuerzahler ist man mit zwei Milliarden dabei, insofern wird es schon teurer. Die Ärzte bekommen mehr, allerdings bekommen sie weniger mehr, auch die müssen ihren Beitrag leisten sozusagen, allerdings kriegen sie nicht … haben sie nicht weniger im Portemonnaie im Unterschied zu den Versicherten, und auch Krankenhäuser und Apotheken sind mitbeteiligt an den kurzfristigen Maßnahmen. Insofern kann man sagen, das ist einigermaßen ausgewogen, aber man kann nicht sagen, dass es nicht teurer würde für die Versicherten.

Ricke: Jetzt bin ich aber mal ganz eigennützig und Versicherter, und den einzigen Vorteil, den ich im Augenblick sehen kann, ist, dass ich nicht mehr so schwer an meinem Geldbeutel zu tragen habe. Welche Vorteile gibt es denn noch?

Etgeton: Naja, man hätte ja auch sagen können, das zahlen jetzt alle schon über den Zusatzbeitrag, also es hätte immer noch schlimmer kommen können, kann man sagen, denn ab 2012 und 2013 sind die Arbeitgeber überhaupt nicht mehr beteiligt. Der Arbeitgeberbeitrag wird ja eingefroren auf die 7,3 Prozent, und dann sind … alle weiteren Kostensteigerungen – also zusätzliche Arzthonorare, Arzneimittelsteigerungen und so weiter – fallen dann den Versicherten zu, und zwar einkommensunabhängig zunächst einmal, das heißt, ich zahle dann einen Pauschalbeitrag, und der ist nach oben hin nur gedeckelt durch mein Einkommen. Wenn es also zwei Prozent des Einkommens übersteigt, dann greift ein Sozialausgleich aus Steuermitteln. Völlig unklar ist allerdings, wie dieser Sozialausgleich dann in den nächsten Jahren, nach 2013, 2014, bezahlt werden soll.

Ricke: Bei diesen Zusatzbeiträgen gibt es eine große Hoffnung, aber auch eine große Befürchtung. Fangen wir mit der Hoffnung an, die Hoffnung heißt: Die Krankenkassen müssen sich gegenseitig Konkurrenz machen, deswegen werden sie auf keinen Fall diesen Zusatzbeitrag erhöhen. Und die große Befürchtung ist: Dann gibt es dann doch ein Kartell und sie machen es alle auf einmal. Was halten Sie denn für wahrscheinlich?

Etgeton: Also in der Vergangenheit hat der Wettbewerb der Krankenkassen schon funktioniert, übrigens auch schon, als wir die Beitragssätze hatten. Da hatten wir doch eine gewisse Spreizung. Wir hatten sogenannte Billigkrankenkassen, und wir hatten welche, die teurer waren. Auch jetzt haben wir ja einzelne Krankenkassen, die bereits einen Zusatzbeitrag erheben, andere tun das nicht. Es gibt allerdings relativ wenige, die ihren Versicherten Geld auszahlen, was die Kassen auch tun könnten. Und wenn ich mir anschaue, dass im nächsten Jahr das Defizit ja nicht auf elf, sondern nur auf neun Millionen steigen wird, man also zwei Milliarden eigentlich übrig hat in den Kassen der gesetzlichen Krankenversicherung, dann erwarte ich auch von Kassen, die gut gewirtschaftet haben und die Reserven haben, dass sie etwas an ihre Versicherten auszahlen.

Ricke: Schauen wir uns mal einen ganz großen Posten an, der gestern das große Thema war: die Arzneimittel. Da haben die gesetzlichen Krankenkassen 2009 mehr als 30 Milliarden Euro ausgegeben, das ist glaube ich mehr als für die gesamte ambulante ärztliche Versorgung überhaupt in die Hand genommen worden. Da gibt es nun ein Spargesetz – was sagen Sie, funktioniert das?

Etgeton: Also zunächst mal sind es ja auch kurzfristige Maßnahmen, die funktionieren immer, Zwangsrabatte und so weiter, das bringt einiges. Aber auch die langfristigen Maßnahmen sind auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung, denn wir hatten bisher immer das Problem, dass ein Arzneimittel, wenn es zugelassen war, sofort von der Kasse bezahlt wurde und zwar zu jedem Preis, den die Firma verlangt hat. Die Nutzenbewertung, die danach kam, hat manchmal Jahre bis Jahrzehnte gedauert. Das soll heute viel schneller sein, innerhalb von Monaten soll es eine Nutzenbewertung geben, und danach kann man entscheiden: Ist das Medikament wirklich seinen Preis wert?

Ricke: Aber bis dahin kann es schön teuer verkauft werden.

Etgeton: Ja, das ist richtig, das ist der Preis, den wir haben dafür, den wir zahlen dafür, dass der Marktzugang neuer Medikamente dann auch sehr schnell ist. In anderen Ländern ist das nicht so, da müssen Patienten dann auch länger auf neue Medikamente warten. Aber wir haben die Zeit deutlich verkürzt, und wir haben einen Anreiz gesetzt für die Industrie, den Nutzen relativ früh auch nachzuweisen und auch in der Forschung die Anstrengungen darauf zu lenken, einen wirklichen Zusatznutzen auch zu entwickeln.

Ricke: In Gefahr und größter Not führt der Mittelweg in den Tod, das, was wir gerade in Gesundheitspolitik haben, ist ja so ein Mittelweg, weil man sich vor Jahr und Tag nicht zwischen Bürgerversicherung, Kopfpauschale auf der einen Seite, und auf der anderen Seite, also zwischen diesen beiden Versicherungsmodellen entscheiden könnte. Wir verbessern immer oder wir operieren immer an einem bestehenden System. Irgendwo fehlt mir die Revolution. Kommt diese grundsätzliche Neuordnung noch mal?

Etgeton: Ja, die Neuordnung kommt in dieser Legislaturperiode sicher nicht mehr, weil die beiden Koalitionspartner, auch die in ihren ordnungspolitischen Vorstellungen sehr unterschiedlich sind, wie das auch schon in der Großen Koalition der Fall war. Das hängt sicher von dem nächsten Wahlergebnis ab, ob da noch mal sich grundlegend was verändert. Man muss allerdings sagen, die Reform, die jetzt angelegt wurde – da ist nichts, was man nicht wieder zurückholen könnte. Insofern muss man befürchten, dass das Hin und Her, das rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln, dass das uns erhalten bleibt.

Ricke: Was bleibt mir als sichere Basis meines Verstehens? Es wird viel passieren, aber für den Verbraucher, für den Versicherten wird es immer, immer, immer, immer teurer?

Etgeton: Es wird teurer, Gesundheit wird teurer, aber man muss dann auch die Kirche im Dorf lassen und sagen, was auch sicher ist: Wir haben ein solidarisches Gesundheitswesen, um das uns viele Länder beneiden, wir haben eine gute medizinische Versorgung und eine solidarische Finanzierung, und das ist ein hohes Gut, das wissen wir aus Umfragen, das wollen die Leute auch, sie wollen übrigens auch den Einkommensausgleich in der Krankenversicherung haben. Und ich gehe davon aus, dass die Politik das nach und nach auch umsetzen wird.

Ricke: Vielen Dank, Stefan Etgeton!

Etgeton: Bitte sehr!
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