"Eine Luftbuchung in Bezug auf die Zukunft"

Biggi Bender im Gespräch mit Ute Welty · 11.11.2010
Die gesundheitspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, Biggi Bender, hat das GKV-Finanzierungsgesetz vor der Abstimmung im Bundestag am Freitag als einseitig kritisiert. Alle zukünftigen Zusatzausgaben gingen allein auf Kosten der Versicherten, sagte Bender.
Ute Welty: Der Bundesgesundheitsminister holt zum Doppelschlag aus: Heute verabschiedet der Bundestag sein Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz, morgen dann das Finanzierungsgesetz zur gesetzlichen Krankenkasse.

Philipp Rösler: "Der Einstieg in eine andere Finanzierung, dauerhaft stabil und unabhängig von der wirtschaftlichen Lage, ist geschaffen durch die Entkopplung des Krankenversicherungsbeitrages von den Lohnzusatzkosten und Ausgestaltung der bisherigen Zusatzbeiträge in einkommensunabhängige Zusatzbeiträge, die künftig auch sozial ausgeglichen werden, und das ist gleichzeitig die Grundlage für mehr Wettbewerb in der Krankenversicherung."

Welty: Soweit der zuständige Minister Philipp Rösler. Über dessen Reform wird auch Biggi Bender abstimmen, gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen. Guten Morgen, Frau Bender!

Biggi Bender: Guten Morgen, Frau Welty!

Welty: Über welches der beiden Gesetze regen Sie sich mehr auf, das zu den Arzneimitteln heute, oder das zur GKV-Finanzierung morgen?

Bender: Na ja, wenn ich da den Grad der Aufregung bestimmen muss, dann würde ich eher sagen, über die Finanzierungsreform, weil die bedeutet den Abschied vom Solidarsystem, ist ungerecht, völlig der falsche Weg. Bei den Arzneimitteln kann ich immerhin einen richtigen Ansatz erkennen.

Welty: Also es ist im Grunde genommen doch logisch, diese beiden Gesetze miteinander zu verknüpfen – warum dann die getrennte Abstimmung?

Bender: Weil es zum einen um die Frage geht, wie wir in Deutschland dafür sorgen, dass wir in Zukunft neue gute Arzneimittel bekommen, aber zu fairen Preisen – bisher zahlen wir in Deutschland Mondpreise, das ist eine durchaus hochfachliche Geschichte –, und auf der anderen Seite geht es darum, wie wir die Einnahmen des Gesundheitswesens organisieren, was die Finanzierungsbasis ist und wie sich das in die Zukunft hinein entwickelt. Das sind durchaus zwei Fragen, die man getrennt betrachten kann und sollte.

Welty: Das deutsche Gesundheitssystem hat ja ein Ausgaben- wie ein Einnahmenproblem. Wenn jetzt alles läuft, wie der Minister das plant, dann sinken die Ausgaben für die Medikamente beziehungsweise steigen weniger stark an, und es fließt mehr Geld in die Kassen über höhere Beiträge. Das klingt doch eigentlich nach einer prima Geschichte.

Bender: Ja, das klingt sehr prima, es ist nur nicht prima. Die Finanzierungsreform, die diesen Namen ja kaum verdient, sieht so aus, dass der Minister sein Modell, den Weg zur Kopfpauschale, weitgehend durchgesetzt hat, denn in Zukunft wird der Beitragssatz eingefroren, und alle zukünftigen Zusatzausgaben – und die Kosten steigen ja meistens – gehen allein zulasten der Versicherten. Und die zahlen dann auf ihren prozentualen Beitrag noch 10, 20, 30, vielleicht 50 Euro in der Zukunft oben drauf, und das ist ungerecht. Es ist eine einseitige Belastung, und es wird auch die Gesundheitsversorgung nicht tragfähig machen in die Zukunft.

Welty: Aber diese Entwicklung kann ja für Sie eigentlich nicht überraschend kommen, denn Rösler hat immer gesagt, dass er eine Systemumstellung will, und die kommt jetzt, indem zukünftige Kostensteigerungen eben nur noch über die Zusatzbeiträge finanziert werden. Müssen Sie nicht froh sein, dass es überhaupt noch Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteile gibt?

Bender: Na ja, immerhin war es in der Koalition ein wichtiger Streit. Ich erinnere mich daran, dass die CSU versprochen hatte, sie würde den Einstieg in die Kopfpauschale verhindern. Das hat sie nicht, sondern die Freunde dieser Kopfpauschale in der Union und in der FDP haben sich durchgesetzt. Aber Rösler hat auch ein Versprechen, das er dabei gegeben hat, nicht eingehalten: Er hat nämlich immer gesagt, es wird einen sozialen Ausgleich geben für Geringverdienende, und der wird finanziert aus Steuermitteln. Aber in Wirklichkeit gibt es jetzt gar keine Steuermittel dafür, sondern sozialer Ausgleich wird, soweit überhaupt, ausschließlich aus dem Gesundheitsfonds selber bezahlt, und mithin aus den Versichertengeldern.

Welty: Ist es nicht vorstellbar, dass dieser Ausgleich über Steuern noch kommt? Also Gesundheitsreformen – haben wir ja gelernt in der Vergangenheit – sind ja durchaus etwas langwieriger und langfristiger angelegt.

Bender: Wir haben im Gesetz eine Luftbuchung in Bezug auf die Zukunft, da heißt es nämlich: Na ja, bis 2014 werden die Zusatzbeiträge, also diese kleinen Kopfpauschalen, nicht so hoch sein, da können wir das aus der Reservekasse des Gesundheitsfonds finanzieren, und ab 2015 muss es dann Steuermittel geben. Schaut man aber in den Haushalt, dann stellt man fest, dass in der mittelfristigen Finanzplanung dafür keinerlei Mittel vorgesehen sind, und es ist auch schwer vorstellbar, dass angesichts von Rekordverschuldung und Schuldenbremse in der Verfassung in Zukunft es möglich sein soll, das Gesundheitswesen zunehmend aus Steuermitteln zu finanzieren.

Welty: Rösler hat selbst mal gespottet, die Gesundheitsminister erließen im Durchschnitt alle drei Jahre eine Jahrhundertreform. Glauben Sie, er ist zufrieden mit dem, was er da gerade tut?

Bender: Ich glaube kaum, denn er ist seinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht worden. Die Kopfpauschale gibt es, den sozialen Ausgleich, der angeblich für Gerechtigkeit sorgen soll, der steht in den Sternen, und dazu muss man natürlich sagen, dass die Kopfpauschale – auch mit Sozialausgleich – bedeutet, dass Geringverdienende im Verhältnis zu ihrem Einkommen immer stärker belastet werden als diejenigen, die mehr Geld haben.

Welty: Die Opposition ist immer sehr laut dabei, wenn es um die Gesundheit geht, aber bisher ist eigentlich doch jeder Minister im Amt an diesem ungeheuer komplizierten System gescheitert. Wann, glauben Sie, Frau Bender, kommt der- oder diejenige, die es wirklich neu und anders macht?

Bender: Also man sollte keine Heilserwartungen wecken, aber was man von der Politik verlangen kann, ist, dass man ein durchgedachtes Reformkonzept hat, und dass Solidarität die Basis ist, jedenfalls sehen wir als Grüne das so. Und wir wollen deswegen, dass auch andere Einkommen als nur Löhne und Gehälter – denken Sie an Mieterträge, denken Sie an Kapitalerträge, denken Sie an Selbstständigeneinkommen – zur Finanzierung des Gesundheitswesens herangezogen werden, und dass wir auch die Trennung in die privat Versicherten einerseits und die gesetzlich Versicherten andererseits überwinden. In dieser Regierung gibt es dazu überhaupt keine Schritte, sondern ganz im Gegenteil: Diese Trennung wird noch zementiert.

Welty: Deutschland steht vor einer neuerlichen Gesundheitsreform, diesmal vor einer schwarz-gelben, und darüber habe ich gesprochen mit Biggi Bender, der gesundheitspolitischen Sprecherin der Grünen im Bundestag. Herzlichen Dank dafür!

Bender: Gerne!
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