Verantwortung der Verlage

Publizistische Macht verpflichtet

12:24 Minuten
Ein Porträt des Verlegers Jo Lendle.
Verleger Jo Lendle erinnert an die politische Komponente des Literaturnobelpreises. © imago/Horst Galuschka
Jo Lendle im Gespräch mit Andrea Gerk |
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Seit bekannt wurde, dass der österreichische Schriftsteller Peter Handke in diesem Jahr den Literaturnobelpreis erhält, reißt die Diskussion über die Verantwortung von Autoren nicht ab. Aber welche Verantwortung tragen eigentlich die Verlage?
Immer wieder sorgen Veröffentlichungen für allgemeine Empörung. Im jüngstes Fall des Buchs von Roger Hallam, bis dato einer der führenden Köpfe von Extinction Rebellion, zog der Ullstein Verlag sein Buch zurück, nachdem Hallam den Holocaust relativiert hatte.
Für Jo Lendle, Verleger des Carl Hanser Verlags, gehört es zu den zentralen Aufgaben eines Verlags, zu überlegen, wann Reißleinen gezogen werden müssten. Bis zu diesem Punkt stünden Verlage jedoch klar hinter ihrem Autor, so wie der Suhrkamp Verlag zur Zeit hinter dem umstrittenen Autor Peter Handke.

Grundgesetz, das liebreizende Vorbild

Wann ein kritischer Punkt überschritten sei, hänge von verschiedenen Faktoren ab: "Es gibt unterschiedlich gestaffelte Grenzen. Es gibt das immer wieder das liebreizende Vorbild unseres Grundgesetztes, das uns weite, schöne, aber wichtige Grenzen setzt. Es gibt aber natürlich auch Haltungen. Verlagshäuser haben ein eigenes Profil, sie stehen für etwas. Und das soll sich dann bitte auch in diesen Dingen wiederspiegeln", so Lendle.
Natürlich könne jeder Autor aber in einem Buch eine Zuspitzung machen, die nicht unbedingt für die Position des Verlags stehe. Den meisten Außenstehenden sei allerdings nicht bewusst, wie viele Gespräche Verlage mit ihren Autorinnen und Autoren über Stellen in Büchern führten. Vielleicht sei es deshalb auch notwendig, der Öffentlichkeit mehr Rückmeldung zu geben, was "diese Institutionen da tun", so Jo Lendle.

Vorlaute Öffentlichkeit

"Ich glaube, dass dieses alte Wort ‚Eigentum verpflichtet‘ auch für diejenigen gilt, die im Besitz von Macht sind, und Verlage haben publizistische Macht. Die kann auch immer mal wieder infrage gestellt werden. Das passiert im Augenblick viel stärker als zu früheren Zeiten. Die Öffentlichkeit ist da viel vorlauter, manchmal auch überschießend vorlaut."
Lendle findet, dass die Öffentlichkeit wiederum auch ihre Verantwortung ernst nehmen solle, nicht immer gleich einen Shitstorm loszutreten, wenn sich die Gelegenheit dazu auftut. So könne es, wenn etwas infrage gestellt wird, wirklich zu einer Verbesserung des Gesamtgespräches kommen.

Nobelpreis hat auch politische Komponente

Auch im Fall von Peter Handke begrüßt Jo Lendle die eingetretene Diskussion. Sicherlich sei die Situation kompliziert. Aber man dürfe nicht vergessen, dass der Nobelpreis neben seiner literarischen auch eine politische Komponente habe: "Im Testament von Alfred Nobel steht drin, dass der Preis an denjenigen geht, der im abgelaufen Jahr das Höchste an idealistischer Tätigkeit geleistet hat. Da ist durchaus eine moralische Anforderung mit drin."
Handke hat sich mit deutlich verstörenden Äußerungen ins Gespräch gebracht. Jo Lendle: "Ich glaube, niemand bezweifelt, dass sein literarisches Werk absolut preiswürdig ist. Und da ist unsere Gegenwart gerade so, dass bestimmte Dinge neu verhandelt werden. Wir stehen da alle auf einem großen Marktplatz und prügeln uns ein bisschen darüber, was für Anforderungen wir an Literatur stellen – und an die, die sie schreiben."
(rod)
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