Venezuela im Würgegriff

Guaidó, Maduro und drei Weltmächte

Studierende in Caracas jubeln Juan Guaidó zu. Der gewählte Parlamentspräsident ernannte sich zum Interimspräsidenten Venezuelas.
Studierende in Caracas jubeln Juan Guaidó zu. Der gewählte Parlamentspräsident ernannte sich zum Interimspräsidenten Venezuelas. © imago stock&people
Moderation: Ellen Häring und Katja Bigalke · 11.02.2019
Seit dem 23. Januar hat Venezuela zwei Präsidenten: Nicolás Maduro und Juan Guaidó. Das heruntergewirtschaftete Land ist gespalten, die Situation hochexplosiv. Unterschiedliche internationale Interessen verschärfen die Lage.
Mehr als 40 Länder haben inzwischen den selbst ernannten Interimspräsidenten Juan Guaidó anerkannt, darunter die USA, Deutschland und weitere EU Staaten.
Dagegen lehnen etliche Staaten ihn ab, darunter Russland, die Türkei, Bolivien oder Kuba, aber auch Italien. Sie setzen auf Nicolás Maduro ähnlich wie große Teile des Militärs.
Die Zeichen stehen auf Eskalation, weil Maduro Hilfsgüter an den Grenzen abweist, obwohl sich das Land in einer wirtschaftlichen Notlage befindet: Es herrscht Hyperinflation und ein extremer Mangel an Nahrungsmitteln und Medikamenten. An eine Spaltung, die zum Bürgerkrieg führt, glaubt Oppositionsführer Guaidó aber nicht:
"Heute wollen 90 Prozent der Venezolaner den Wandel. Maduro will glauben machen, dass die Situation in einen Bürgerkrieg münden könnte, aber dem ist nicht so. Weil es nämlich keine Polarisierung in Venezuela gibt. Es gibt eine große Mehrheit die sich in den Straßen friedlich für den Wandel ausspricht und eine kleine Gruppe die versuchen ihre Privilegien zu sichern weil sie wissen, dass sie gestohlen und gemordet haben."
Präsident Maduro antwortet mit dem Vorwurf der kolonialen Einmischung:
"Alles hängt von dem Level an Wahnsinn und vom Handeln des nördlichen Imperiums und seiner Alliierten ab. Das hängt nicht von uns ab. Wir leben in unserem Land. Wir wollen nicht, dass sich jemand in unsere inneren Angelegenheiten einmischt. Wir bereiten uns aber vor unser Land zu verteidigen. Wir akzeptieren von niemandem ein Ultimatum. Das wäre ja so als würde ich den Europäern sagen, ich gebe euch sieben Tage Katalonien anzuerkennen, sonst werden wir unsere Mittel einsetzen. Solche Ultimaten gehören in die Kolonialzeit."

"Nur die kleinen Leute leben im Sozialismus"

Die Polarisierung sei in Venezuela schon immer extrem ausgeprägt gewesen, es gebe einen Hass zwischen beiden verfeindeten Lagern, schildert unsere Korrespondentin aus Caracas. "Aber nun relativiert sich vieles, weil immer mehr Anhänger der Regierung ihre Meinung geändert haben und mit Maduro nicht mehr einverstanden sind", so Anne-Katrin Mellmann.
Venezuelas Präsident Nicolas Maduro verliert an Zustimmung im Land. Hier gibt er eine Pressekonferenz am 8. Februar im Präsidenten-Palast in der Hauptstadt Caracas.
Venezuelas Präsident Nicolas Maduro verliert an Zustimmung im Land.© imago stock&people
Vorgänger Hugo Chávez hatte das Land einst umgekrempelt und genoss viel Zustimmung, weil er der verarmten Bevölkerung half. Heute sagt ein ehemaliger Wächter der Leibgarde von Chávez:
"Das ist nicht, was sie uns versprochen haben. Es sollte Sozialismus werden - zum Wohle aller! Aber nur die kleinen Leute leben im Sozialismus, während die Funktionäre die größten Häuser und Autos haben. Sie verteufeln den Kapitalismus, aber sind die größten Kapitalisten. Meine Familie und ich haben sie unterstützt. Und jetzt sind schon alle meine Geschwister ins Ausland geflohen. Das traurigste daran: Wir haben an sie geglaubt, sie an die Macht gebracht."
Der Ex-Wächter der Leibgarde arbeitet heute als Polizist und kann sich von seinem Gehalt einen Kilo Käse kaufen. Davon kann er seine Familie nicht ernähren. Hunger und Mangelernährung in den ärmeren Bevölkerungsschichten sind Alltag. Das führe dazu, dass nun auch die Menschen in den Armenvierteln der großen Städte auf die Straße gehen. Das sei neu, so Anne-Katrin Mellmann.

Intervention von außen rechtlich legitim?

US-Präsident Trump will militärische Mittel gegen Präsident Maduro nicht ausschließen, aber wie legitim ist Einmischung von außen? Das sei sehr komplex, sagt Kai Ambos, Professor für internationales Strafrecht an der Georg-August-Universität Göttingen und Richter am Kosovo Sondertribunal.
Es gebe die völkerrechtliche Ebene. Hier verweist Ambos auf den "Nichteinmischungs-Grundsatz, der auch in der UN-Satzung steht. Nur in ganz wenigen Ausnahmefällen - Stichwort humanitäre Intervention - kann diskutiert werden, ob von außen interveniert werden kann."
Die andere Ebene sei die innerstaatliche Ebene: "Was sagt eigentlich Venezuelas Verfassung?" Da werde der Artikel 233 von den Befürwortern einer Einmischung genannt. Darin ist die Rede von fünf bis sechs Vorraussetzungen, unter denen der Präsident des Parlaments - also Guaidó - eine Interimsfunktion ausführen kann. Der aktuelle Präsident müsste sich zum Beispiel "eines schweren Vergehens" schuldig gemacht haben oder sein Amt aufgeben. "Aber keine der Vorraussetzung ist direkt anwendbar auf den Fall."
Kai Ambos im Portrait. Er ist Professor für internationales Strafrecht an der Georg-August-Universität Göttingen und Richter am Kosovo-Sondertribunal.
Kai Ambos ist Professor für internationales Strafrecht.© Kai Ambos
Letztlich sei im Völkerrecht die Effektivität entscheident, so Professor Ambos: "Wer übt derzeit die effektive Herrschaftsgewalt in Venezuela aus? Das ist eher Maduro, der über Polizei und Militär noch die Hoheit hat."
Das Völkerrecht sei ein "Real-Recht". Deshalb habe es wenig Sinn, wenn man eine Person als Präsidenten deklariere, die gar keine Truppen habe.
Zur Glaubwürdigkeit der USA in Lateinamerika sagt Kai Ambos:
"Wenn die USA sagen: Wir haben jetzt die drei Bösen - Nicaragua, Kuba und Venezuela - aber unterstützen gleichzeitig rückhaltlos Saudi-Arabien, dann ist das natürlich absolut heuchlerisch und widersprüchlich."
Auch die deutsche Regierung hätte sich zurück halten können:
"Man hätte sich natürlich als Deutschland auch neutral verhalten können. Man ist ja völkerrechtlich nicht verpflichtet eine Regierung anzuerkennen. Man kann sich natürlich politisch äußern und der Opposition Unterstützung signalisieren, aber die Anerkennung als juristischer Akt und sich in diesem Konflikt auf eine Seite zu stellen, das ist nicht unbedingt notwendig. Wenn wir das konsequent durchführen, das Argument der repräsentativen Demokratie überall anweden, dann würden wir mit der hälften der Welt keine diplomatischen Beziehungen haben können."

Venezuela ist eines der höchst gerüsteten Länder weltweit

Besonders schwierig macht ein Einwirken von außen auch der zahlreiche Waffenbesitz. "Venezuela ist eines der wahrscheinlich militärisch am höchsten gerüsteten Länder weltweit", so Hannes Bahrmann, Autor des Buches "Venezuela: Die gescheiterte Revolution".
Venezuelanische Truppen während einer Pressekonferenz, die der Verteidigungsminister General Vladimir Padrino Lopez in Caracas gibt.
Venezuelanische Truppen stehen mit Waffen auf einer Militärbasis in Caracas.© AFP/Federico Parra
Der Lateinamerika-Fachmann erkärt die verschiedenen Einheiten:
"Die Armee ist von Russland in den letzten Jahren gut ausgerüstet worden und hat zwischen 230.000 und 270.000 Soldaten. Dahinter gibt es die Nationalgarde mit 70.000 Mann - das ist eine Polizeitruppe mit Überschneidungen zur Infantrie. Dahinter gibt es die Milizen: Arbeitermilizen, Studentenmilizen, Frauenmilizen, Bauernmilizen. Das sind momentan 500.000 - diese Zahl stammt aus dem Jahr 2017. Es können mittlerweile mehr sein. Sie sind bewaffnet mit leichten Waffen, haben aber auch schultergestützte Anti-Luft-Raketen russischer Produktion. Eine starke Bremse für alle, die das Land überfallen wollen. Und dann gibt es noch die Collectivos von der Sozialistischen Einheitspartei Venezuelas - von Maduro gelenkt, sind sie bei Massendemonstrationen immer durch besondere Brutalität aufgefallen."
Seine Prognose: "Es ist ein hochexplosives Gemisch und es bedarf nur eines unbedachten Schrittes und die Sache kann ganz furchtbar enden."
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