Valentin Groebner: "Wer redet von der Reinheit?"

Reinheit ist nicht ohne Ekel zu denken

05:23 Minuten
Montage: Buchcover von "Wer redet von der Reinheit" und Reflektionen von Wasser.
Was ist Reinheit und was macht dieser Begriff mit uns? © Passagen Verlag / imago / fStop Images / Norman Posselt
Von Philipp Schnee |
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Valentin Groebner versucht sich in seinem Sachbuch "Wer redet von der Reinheit?" an einer Begriffsgeschichte sowie Definition. Und stellt fest: Der Begriff ist eine imaginierte Kategorie mit sehr realen Konsequenzen.
Rein ist Alpenmilchschokolade, das Mineralwasser und die Bio-Öle der Body Lotion. Reinheit ist allgegenwärtig. Und das obwohl die Reinheit als Begriff in der Wissenschaft längst verfemt, als Fiktion und Konstruktion entlarvt ist, wie der Kulturhistoriker Valentin Groebner feststellt.
Das Hybride, Plurale, Gemischte und Vielfältige wird dort gefeiert. Jenseits der akademischen Welten aber funktioniert die Vorstellung von der "Reinheit" nach wie vor, vielleicht besser denn je. Eine erklärungswürdige Diskrepanz, findet Groebner: Wieso geht es nicht ohne Reinheit? Das ist die Frage, die sich der Kulturhistoriker Valentin Groebner in seinem Büchlein stellt. Und stellt fest: Reinheit ist eine imaginierte Kategorie mit sehr realen Konsequenzen.

Zwei Arten von Reinheit

Klar wird das, wenn Reinheit nicht nur mit Quellwasser, sondern mit Menschen, mit Gesellschaften in Verbindung gebracht wird. Reinheit ist eben auch ein Begriff für Rigoristen und Fundamentalisten, Fanatiker.
Kurz und knapp seziert Groebner den Begriff: Reinheit ist Reden über vergangene Zustände: "als die Flüsse und Sprache noch rein war", eine "kollektive Vorstellung von Zugehörigkeit und Kontamination."
Das heißt, dass, um all das Klare, Glänzende, Tugendhafte und moralisch Überlegene des "Reinen" herausarbeiten zu können, die Reinheit den Schmutz, die Krankheit, die Verunreinigung braucht. Sie muss Grenzen ziehen, sie muss eine Bedrohung miterschaffen. Reden über Reinheit heißt also immer auch reden über den Ekel.
Dabei unterscheidet Groebner zwei Arten von Reinheit. "Typ 1" beschwört einen unbefleckten Ur-Zustand, den es zu bewahren gilt. "Typ 2" ist Reinheit durch Anstrengung, eine Reinheit, die durch konkrete Handlungen hergestellt werden kann.

Begriff mit religiösen Konzepten verbunden

Und er setzt dort an, wo er sich am Besten auskennt – im Mittelalter und in der Renaissance – um zu zeigen, dass dieser "problematische Begriff" immer noch stark mit religiösen Konzepten, Bildern und Farben aus dem 14., 15. und 16. Jahrhundert verbunden ist.
Ein "milde lächelndes Frauengesicht mit unspezifischem Alter, gleichzeitig Jungfrau und Mutter", kann uns auch heute noch alles verkaufen, vom Mineralwasser bis zur E-Zigarette, so Groebner. Das Marienbild, die Mutter Gottes, ist dank unbefleckter Empfängnis das Emblem der Reinheit früherer Jahrhunderte. Auch die Signalfarben dieser alten religiösen Reinheitsabbildungen – Blau und Weiß – sind auch heute noch die Farben, die die Werbung für "Reinheit" benutzt.

Kluge Beobachtungen und schöne Fundstücke

Für ein Buch, das eine Begriffsgeschichte verspricht, ist der Text etwas stark auf Reinheitsvorstellungen in der Werbung zugeschnitten. Reinheit als Diskursbegriff, in Politik und Gesellschaft, jenseits der Werbung, geht da etwas unter. Was leider fehlt, ist auch eine Abgrenzung von anderen "Buzzwords" unserer Zeit, die meist ganz ähnliche Distinktionsvorstellungen bedienen: Natürlichkeit, Authentizität, Ursprünglichkeit.
Trotzdem, in Groebners Essay gibt es kluge Beobachtungen und schöne Fundstücke zu den Reinheitsvorstellungen durch die Jahrhunderte zu entdecken.
Und mit dem letzten Satz, seinem letzten Zitat, bringt Groebner das Unbehagen an allen Reinheitsvorstellungen zur Welterkenntnis noch mal auf den Punkt:
"Empirie, Empirie ist sowieso per Definition unrein."

Valentin Groebner: "Wer redet von der Reinheit? Eine kleine Begriffsgeschichte"
Passagen-Verlag, Wien 2019
108 Seiten, 11,90 Euro.

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