Vadim Glowna war "ein Mann für ganz kleine, feine Momente"

Hans-Christoph Blumenberg im Gespräch mit Dieter Kassel · 26.01.2012
In der Nacht zum Dienstag starb Vadim Glowna in Berlin. Der Filmregisseur und Drehbuchautor Hans-Christoph Blumenberg hat ihn als großen Schauspieler gewürdigt. Glowna habe immer die Herausforderung gesucht. Das Wort "Furchtlosigkeit" treffe Glownas Spiel sehr genau.
Dieter Kassel: Nach kurzer schwerer Krankheit, so heißt es, ist der Schauspieler, Regisseur und Produzent Vadim Glowna gestern morgen im Alter von 70 Jahren in Berlin in einem Krankenhaus gestorben. Glowna - wir haben es gerade auch noch in den Nachrichten gehört - wurde 1941 in Eutin geboren in Schleswig-Holstein, ist in Hamburg aufgewachsen, überwiegend dort, am Hamburger Schauspielhaus kam er 1963 unter Gustav Gründgens auch das erste Mal auf die Bühne. Ziemlich bald fing er dann auch an, in Kino- und Fernsehfilmen und diversen weiteren Produktionen mitzuspielen, so zwischen 160 und 180 sind es wohl ungefähr gewesen. Er hat immer wieder in Deutschland auch in TV-Serien mitgespielt, hat aber bei Krimis wie "Tatort" oder "Der Alte" auch mehrfach Regie geführt. Für den Autor und Regisseur Hans-Christoph Blumenberg stand er unter anderem in Filmen wie "Das verlauste nackte Leben" und "Planet der Kannibalen" vor der Kamera, und auch - wann war das? - 2005 in der Fernsehserie "Kanzleramt". Hans-Christoph Blumenberg ist jetzt für uns am Telefon. Schönen guten Tag!

Hans-Christoph Blumenberg: Ja, schönen guten Tag!

Kassel: Sie haben wie ganz viele andere - die Meldung ist erst relativ spät gekommen - erst vor ein paar Stunden erfahren, dass Vadim Glowna tot ist. Was ging Ihnen da als erstes durch den Kopf? Was sind so die ersten Erinnerungen an ihn?

Blumenberg: Das sind ganz viele Erinnerungen, weil wir haben uns lange und auch relativ gut gekannt. Ich gehe vorsichtig mit Wörtern wie Freundschaft um, aber zwischen Vadim Glowna und mir ist schon im Laufe der Jahrzehnte so etwas entstanden, also eine Nähe, die in unserem Gewerbe also nicht so normal ist. Und ich war sehr schockiert, als ich das gehört habe, weil ich ihn in bester Gesundheit wähnte und vor wenigen Monaten gesehen habe. Und mir viel ein, wie lange wir uns gekannt haben, oder mehr noch, wie lange ich ihn gekannt habe.

Das war das erste Mal auf einer Bühne, da habe ich ihn gesehen 1964 oder 65 in Bremen, wo er zu der großen Zeit von Peter Zadek einer der Lieblingsschauspieler von Zadek war am Bremer Theater. ich bin damals in Bremen noch zur Schule gegangen, und ich erinnere mich an "Die Räuber", die berühmte zadek‘sche "Räuber"-Inszenierung, und wir hatten keine Ahnung, wer Zadek war, wer Vadim Glowna war, aber waren ganz begeistert und ergriffen von diesem neuen, tollen Theater, was da auf einmal zu sehen war. Und Vadim Glowna war ein ganz wichtiger Teil dieses Zadek-Theaters.

Kassel: Wann haben Sie denn Vadim Glowna das erste Mal als Filmschauspieler wahrgenommen?

Blumenberg: Na ja, also nicht sehr viel später, weil er hat ja doch in den 70er-, 80er-Jahren eine große internationale Karriere gemacht, muss man sagen. Er hat in Frankreich gespielt bei Leuten wie Bertrand Tavernier oder Claude Chabrol. Er hat mehrere Filme mit Romy Schneider gemacht, er war sehr stolz darauf, dass er mit Sam Peckinpah, mit dem großen Sam Peckinpah "Steiner - das Eiserne Kreuz" drehen durfte. Zwischen den beiden gab es auch später noch Kontakt, und als Vadim GLowna seinen ersten eigenen Film in Hamburg drehte, "Desperado City", das war Anfang der 80er-Jahre, war - wenn ich mich richtig erinnere, wenn ich das richtig erinnere - Peckinpah sogar jemand, dessen Rat er suchte und auch fand. Also das war für ihn eine sehr, sehr wichtige Beziehung.

Kassel: Umgekehrt gibt es auch diese Legende, die aber, glaube ich, keine Legende ist, sondern wahr, dass er, Vadim Glowna, damals Peckinpah dazu bewegt hat, bei "Steiner - das Eiserne Kreuz" Drehbuch zu ändern, weil er da eigene Ideen eingebracht hat. Ist das typisch für ihn, der mir immer so als ruhiger Mensch vorkam, doch ziemlich furchtlos alles Mögliche durchsetzen zu wollen?

Blumenberg: Also das Wort Furchtlosigkeit trifft Vadim Glowna, glaube ich, sehr gut und sehr genau. Er war jemand, der das Risiko suchte, sowohl in den Filmen, die er selber inszenierte - das waren wenige, er war auch immer wieder bereit, mit sehr viel Fantasie, sehr viel Kraft und sehr wenig Geld, dann auch Projekte aus dem Boden zu stampfen, unabhängig von komplizierteren wirtschaftlichen Überlegungen - bis hin zu seinem allerletzten Film "Das Haus der schlafenden Schönen" vor ein paar Jahren, wo dann Maximilian Schell unter anderem eine große Rolle spielte. Aber er suchte die Herausforderung halt auch immer in den Rollen, die er spielte. Und es ist kein Zufall, dass er jetzt, in den letzten Jahren sehr viel mit meinem hochgeschätzten Kollegen Oskar Roehler zusammengearbeitet hat, der so in seinen Projekten eine ähnliche Furchtlosigkeit hat. Da haben sich also auch zwei Seelenverwandte getroffen.

Kassel: Er hat, Vadim Glowna, ja immer ganz verschiedene Dinge gemacht. Er hat - Sie haben dieses Beispiel "Das Haus der schlafenden Schönen", ich habe damals das Vergnügen gehabt, mit ihm kurz vor diesem Film, als der Film noch ein Projekt war, zu reden, was wirklich eine unglaubliche Herzensangelegenheit von ihm war, wo er aber als Profi auch wusste, so richtig reich wird man vielleicht mit solchen Produktionen nicht. Auf der anderen Seite hat er ganz viel Fernsehen gemacht in Deutschland: "Der Alte", "Tatort", "Siska", viele Geschichten als Schauspieler, manchmal auch als Regisseur. Gab es für ihn da eigentlich verschiedene Wertigkeiten, war er einer von denen, die gesagt haben, Fernsehen ist schön und gut, aber Kino ist besser und Theater ist noch besser?

Blumenberg: Ich glaube nicht, dass er so gedacht hat. Es war sicher so, dass er wie andere auch sich da zum Teil selber subventioniert hat. Er war in der Lage, seine kleinen steilen Low-Budget-Filme zu drehen, indem er beim Fernsehen gerade bei den Freitags-ZDF-Krimis, sowas wie "Der Alte" und "Siska" entweder spielte - und er war ein wirklich sehr gefragter Schauspieler -, oder eben auch, was ihm großen Spaß machte, da auch unter relativ zeitlich begrenzten Bedingungen Regie zu führen bei dem berühmten Produzenten Ringelmann, der von "Der Alte", "Derrick", "Siska", diese ganzen ZDF-Krimis auf den Weg gebracht hatte, und Vadim gehörte da einfach zu dieser Truppe dazu. Aber ich glaube nicht, dass er so in so einem starren hierarchischen Sinn gedacht hat.

Kassel: Wir reden heute Nachmittag im Deutschlandradio Kultur über den Schauspieler Vadim Glowna, der im Alter von 70 Jahren gestern Morgen gestorben ist. Wir reden über ihn mit seinem Kollegen und - Sie haben es ja gesagt, man kann auch sagen - Freund, Hans-Christoph Blumenberg. Reden wir doch mal über die Zusammenarbeit. Ich muss dazu sagen, ich hatte einmal zwei Stunden mit ihm im Studio, und ich habe wirklich noch niemals einen so prominenten Menschen getroffen, mit dem zu reden so einfach war, der so unkompliziert war. War er das denn, wenn Sie als Regisseur ihn als Schauspieler hatten, auch?

Blumenberg: Ich meine, Vadim war jemand, der sehr genau wusste, was er konnte, und das hat ihm auch eine große Gelassenheit gegeben. Also er war nie jemand, der so vor lauter schauspielerischer Nervosität anfing, mit seiner Umwelt ungut umzugehen. Er war ein wirklich sehr entspannter Profi. Seine Memoiren heißen ja "Der Geschichtenerzähler", und er war ein Geschichtenerzähler, sowohl als Regisseur, aber auch als Schauspieler, so ein Mann für auch so ganz kleine, feine Momente, und er war jemand, der diesen Beruf wahnsinnig liebte, also wo man merkte, wie gerne er agierte vor der Kamera, aber auch nicht nur mit welcher Leidenschaft, auch mit welcher Intelligenz, mit welcher Einfühlung. Er war schon ein sehr besonderer Mensch, und er hat es allen, die mit ihm gearbeitet haben, dann auch immer sehr leicht gemacht.

Kassel: Ich hatte manchmal so den Eindruck, dass sein Gesamtwerk - ich habe überhaupt nicht den Anspruch zu kennen, aber was ich davon alles kenne -, dass eines seiner Talente manchmal so ein bisschen unterschätzt wurde, und zwar sein komisches Talent. Sie haben ja in "Kanzleramt" 2005 mit ihm zusammengearbeitet. Was sagen Sie dazu, zu recht, oder war das wirklich ein Fehler? Weil ich hatte immer das Gefühl, wenn der mal eine richtige Comedy-Rolle kriegt, der kann auch da dann glänzen.

Blumenberg: Also ich bin sicher, dass das so ist. Meine Erfahrung in dieser Richtung war weniger "Kanzleramt", wo er einen depressiven Minister spielte, sondern ein kleiner Kinofilm, den wir zusammen gemacht haben, wo er mir die Freude machte, neben Peter Fitz die Hauptrolle zu spielen, der hieß "Planet der Kannibalen", eine Science-Fiction-Geschichte, die im Jahre 2020 spielt, wo er sozusagen einen Menschenfresser spielt, der vom Hochsicherheitstrakt eines Zuchthauses aus eine Talkshow betreibt, und das war wirklich auch eine große komische Nummer, also voll von schwarzem Humor, die Vadim auf eine Weise zum Leben erweckt hat, diese Figur, wie ich es kaum mir je hatte vorher vorstellen können. Also ich glaube, sein Talent war so breit und so reich, dass er da in der Wahl seiner Rollen überhaupt nicht eingeschränkt war.

Kassel: Er hat in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" gesagt, nur zehn der Filme, die er je gemacht hat, seien wirklich bedeutend gewesen. Das wird jetzt ständig zitiert nach seinem Tod. Sie haben Ihn ja auch gekannt - war das Koketterie oder war das wirklich ernst gemeint? Was denken Sie?

Blumenberg: Na ja, also vielleicht war es eine Mischung zwischen den beiden, weil wer will das schon entscheiden. Ich denke, wahrscheinlich waren es mehr, aber solche Sätze kommen in Interviews vor. Die klingen auch immer ganz gut, aber Vadim, der ja auch über einen schönen Sinn für Selbstironie verfügen konnte, hat das sicher nicht allzu ernst gemeint.

Kassel: Jetzt kommt natürlich die böse Frage an Sie, die Sachen, die Sie mit ihm gemacht haben, nehmen wir jetzt mal außer Konkurrenz - keine zehn, aber zwei, drei: Welche Filme von ihm wird man denn auch in 50 Jahren noch sehen?

Blumenberg: Oh, ich denke, da gibt es einige. Also von seinen eigenen Filmen, die er inszeniert hat, ganz sicher "Desperado City", seinen ersten Film, eine große leidenschaftliche Hamburg-Ballade, damals mit Karin Baal, mit seiner langjährigen Lebensgefährtin Vera Tschechowa, die eine ganz wichtige Rolle in seinem Leben gespielt hat, also nicht nur als private, sondern auch als künstlerische Partnerin. Das sind sicher Filme wie die Sachen, die er in Frankreich mit Bertrand Tavernier gedreht hat, da fällt mir gerade der deutsche Titel nicht ein, er ist, glaube ich "Das Auge", auch eine Science-Fiction-Geschichte mit Romy Schneider - also sicher auch sein Peckinpah-Film, und sehr, sehr viele große Fernsehrollen natürlich darf man nicht vergessen, bis hin zu den "Borgias" jetzt vor einigen Monaten, sein fantastischer kurzer Auftritt in der "Unberührbaren" von Oskar Roehler, für die er, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, den Preis der deutschen Filmkritik bekommen hat vor zehn, zwölf Jahren. Also da bleibt sehr viel übrig, aber im Moment überwiegt, muss ich ehrlich sagen - weil ich war wirklich auch im Zweifel, ob ich so ein Gespräch jetzt führen sollte und könnte -, bei denen, die ihn gekannt haben wirklich, einfach ein großer Schock und eine große Trauer, weil wir alle haben uns schon vorgestellt, dass man jetzt nicht über sein Lebenswerk reden müsste, und dass sein Lebenswerk noch sozusagen viel Jahre bei uns sein würde.

Kassel: Hans-Christoph Blumenberg, ich danke Ihnen, dass Sie trotzdem unter diesen Umständen - ich habe es ja erwähnt, Sie wissen das ganze erst seit rund drei, dreieinhalb Stunden - mit uns gesprochen haben. Danke Ihnen sehr für das Gespräch!

Blumenberg: Ja, ich danke Ihnen!

Kassel: Das war ein Gespräch zum Tod des Schauspielers, Regisseurs und Produzenten Vadim Glowna. Glowna ist gestern morgen überraschend im Alter von 70 Jahren gestorben.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.



Links auf dradio.de:

Nachruf von Waltraud Tschirner: Vadim Glowna ist gestorben

Unter anderem wirkte Glowna auch in Hörspielen mit, die untern anderem von Deutschlandradio Kultur und dem WDR produziert wurden:

Freispiel: Tempo
Kriminalhörspiel: Ringkampf
Hörspiel: Sweet Home Europa
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