Schwarze Waffenfans in den USA

Raus aus der Opferrolle

23:23 Minuten
Maj Toure (rechts) zeigt einem Teilnehmer seiner Workshops den richtigen Umgang mit Waffen.
Maj Toure (rechts) gibt in Philadelphia Kurse über den verantwortungsvollen Umgang mit Waffen. 2016 gründete er die Organisation Black Guns Matter. © Deutschlandradio / Rebecca Hillauer
Von Rebecca Hillauer · 11.10.2022
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Die USA sind das einzige Land mit mehr Schusswaffen als Menschen. Die Waffenfans berufen sich auf den Zweiten Verfassungszusatz. Auch Schwarze bewaffnen sich zunehmend. Die Organisation "Black Guns Matter" ist gegen striktere Waffengesetze.
Maj Toure ist ein bärtiger muskulöser Typ. Seine Rastalocken fallen ihm bis über die Schultern. In Philadelphia gibt er einen Workshop über Waffensicherheit. Toure trug seine erste Waffe mit 15, wie alle seine Kumpel im Kiez, erzählt er. Nun ist sein erklärtes Ziel, andere in der Black Community zu „verantwortungsvollen Waffenbesitzern“ auszubilden.
„Wir lernen die Teile einer Waffe kennen und wie man richtig mit ihr umgeht", sagt Juanita Miller, die einen seiner Kurse besucht hat. "Am Anfang sagte Maj auch, eine Waffe zu besitzen, ist ein von Gott gegebenes Recht. Dazu braucht es keine gesetzliche Regelung oder Erlaubnis, die die Regierung oder sonst wer dir wegnehmen kann. Außer, du gibst das Recht freiwillig ab.“
Juanita Miller ist in einer Küche, trägt ein weißes Basecap und eine rote Brille.
Juanita Miller lebt in Philadelphia, will sich bald eine Pistole kaufen und lehnt staatliche Waffenkontrolle ab.© Deutschlandradio / Rebecca Hillauer
Juanita Miller ist um die 40, mit kurzen Haaren, dazu eine knallrote Brille und ein weißes Basecap. Sie ist hier, weil sie vor zwei Jahren ein Interview mit Maj Toure las und sich darin wiederfand. Auch sie lehnt eine Waffenkontrolle durch den Staat ab und will sich bald ihre erste Pistole zulegen.
„Letztendlich denke ich, dass die Kontrolle bei den Menschen selbst liegt", sagt sie. Das heiße nicht, dass sie sich verantwortungslos verhalten werde. "Warum braucht es dann eine staatliche Kontrolle für die wenigen, die ihre Selbstkontrolle verlieren könnten?“

45.000 Schusswaffentote in den USA 2021

Sie meint damit bewaffnete Amokläufer. Die gehören in den USA fast schon zum Alltag. Im Jahr 2021 gab es laut der Nichtregierungsorganisation "The Gun Violence Archive" 691 Massenschießereien mit mindestens vier Verletzten oder Toten.
Insgesamt stieg die Zahl der getöteten US-Bürger durch Schusswaffen im Jahr 2021 auf 45.000. Dass Waffen in den USA so verbreitet sind, hängt mit dem Zweiten Zusatzartikel der Verfassung zusammen. Der stammt aus dem Jahr 1791. Darin heißt es:

Da eine gut ausgebildete Miliz für die Sicherheit eines freien Staates erforderlich ist, darf das Recht des Volkes, Waffen zu besitzen und zu tragen, nicht beeinträchtigt werden.

Zweiter Zusatzartikel der US-Verfassung

Was das genau bedeutet, darüber streiten Experten bis heute: Wer ist mit „dem Volk“ gemeint? Jede Einzelperson? Oder sollte damit sichergestellt werden, dass die US-Bundesstaaten eine Miliz aufstellen durften, um sich im Ernstfall gegenüber der neuen Zentralregierung in Washington zu verteidigen?

"Warum sollte nur die Polizei Waffen haben?"

Für Maj Toure ist die Interpretation klar: Jeder soll eine Waffe tragen dürfen – mit oder ohne Waffenschein. Das sehen viele in den USA ähnlich, und so steigt die Zahl der Waffen, auch in Philadelphia. Die Metropole ist immer wieder in den Schlagzeilen durch die hohe Kriminalitätsrate und die Zahl der Schusswaffenopfer. Besonders Nord-Philadelphia, wo vor allem Schwarze leben und Maj Toure seine Workshops gibt.
„Ich besuche den Waffensicherheitskurs, damit ich mich selbst schützen kann", sagt Mama Nzinga. "Ich habe keine Angst, aber ich will vorbereitet sein. Das könnte mir das Leben retten. Am Wochenende gab es mehrere Schießereien in der Nooker Street, das ist vielleicht 20 Häuserblocks von hier entfernt.“
Die 63-Jährige trägt einen grünen Turban und kennt Maj Toure von Poetry Slams, denn sie schreibt auch Gedichte – und er Hip-Hop-Songs. „Er versucht, die Gemeinschaft zu verbessern. Dafür bewundere ich ihn", sagt sie. "Er setzt seine ganze Energie ein und stellt sich im Grunde gegen das System, das nicht will, dass Schwarze Waffen haben. Eigentlich soll überhaupt keiner Waffen haben, weil sie dann die Bevölkerung mit ihren Waffen kontrollieren können."
An einer Straßenecke eines Wohnviertels in Philadelphia befindet sich das Solutionary Center: rote Klinkersteine und ein großes, weißes Schild über dem Eingang.
Im Solutionary Center in Philadelphia bietet der Gründer Maj Toure neben Workshops zu Waffen auch Kurse über gesunde Ernährung, Finanzen oder Erste Hilfe an.© Deutschlandradio / Rebecca Hillauer
Warum sollte nur die Polizei Schusswaffen haben, fragt Maj Toure in seinem Workshop. Er will kein Gewaltmonopol des Staates, sein Misstrauen gegenüber dem Staat ist groß. Ganz anders argumentiert Rentner Bill: Der frühere Elektriker kommt aus einer schwarzen Polizistenfamilie in Philadelphia, ist mit einer Polizistin verheiratet und sagt, dass die Polizei immer bewaffnet sein wird und nicht unser Feind sei.
Er besitzt selbst mehrere Schusswaffen, plädiert aber für strengere Personenüberprüfungen vor einem Waffenkauf, auch, wenn das allein die Gewalt wohl nicht beenden werde. „Weniger Waffen allein werden gegen die Waffengewalt nicht helfen", sagt er. "Entscheidend ist die mentale Verfassung der Waffenbesitzer. Mindestens zwei oder drei der Amokläufer hatten Waffenscheine. Ein Schießtraining wird eine Person, die geistig gestört ist, nicht aufhalten. Sie wird dadurch höchstens lernen, wie er besser töten kann.“

Mehrheit der Schusswaffentoten sind Suizide

Maj Toure argumentiert ähnlich. Wie viele Waffenanhänger meint er: „Nicht Waffen töten Menschen, sondern Menschen töten Menschen.“ Von den 45.000 Schusswaffentoten im vergangenen Jahr in den USA hat die Mehrheit in der Tat nichts mit Schießereien zu tun. Es sind Menschen, die sich selbst das Leben genommen haben. Hier müsse die Gesellschaft ansetzen.
„Wenn 60 Prozent der Schusswaffentoten Suizid begangen haben, sollten wir als Nation vielleicht das Problem der Suizide angehen, damit sich nur noch halb so viele selbst töten, und uns um die psychische Gesundheit von potenziellen Amokläufern kümmern", so Toure. "Das Ganze geht weit über den engen Rahmen hinaus, den man uns glauben lassen will. Die Menschen sollten sich um die Umwelt kümmern, gut essen und Sport treiben. Die meisten Amerikaner leben aber völlig ungesund. Ich will sagen: Das Problem sind nicht die Waffen. Es ist Ernährung, Gesundheit, geistige Gesundheit.“
Maj Toure glaubt an eine ganzheitliche Lösung. In dem von ihm gegründeten Solutionary Center, was man mit Lösungszentrum übersetzen könnte, bietet er deshalb nicht nur Workshops für Waffensicherheit an. Es gibt auch Kurse für gesunde Ernährung, Home Schooling, Finanzen.
Mama Nzinga geht auch zu Yoga und Tai-Chi und hat Erste Hilfe gelernt. „Wie Maj sagt: Wenn du auf jemanden schießen musst, dann kannst du ihn hinterher so zusammenflicken, dass er überlebt – und du keinen Mord am Hals hast."

"Das Problem ist nicht die Hautfarbe"

Mama Nzinga deutet auf einen jungen Schwarzen, der gerade die Straße entlang schlendert. Er sei auch ein Hip-Hopper. Schneeweiße Sneaker, weiße Jeans und Tanktop. Seine Dreadlocks hat er oben am Kopf zusammengebunden. In der Hand hält er keine Knarre, sondern ein Buch.
Bis vor drei Jahren hätte er auch noch eine Waffe getragen, erzählt Muhammad Ijtihad. Inzwischen hätte er sie verkauft und will sich auch keine neue zulegen. „Die eigene Familie schützen zu wollen, ist ein guter Grund für eine Schusswaffe. Aber die meisten Menschen haben eine, weil jeder eine hat. Es ist wie im Wilden Westen. Aber vielleicht beschwört man damit nur eine Situation herauf, in der man die Waffe auch benutzen muss.“
In Maj Toures Workshop ist Deeskalation ein wichtiges Thema. Er erklärt den Teilnehmenden, wie sie im direkten Kontakt mit Polizisten die Situation verbal entschärfen und Konflikte friedlich lösen können. Laut Statistik werden die meisten Schwarzen in den USA allerdings nicht von weißen Polizisten erschossen, sondern von anderen Schwarzen aus dem Stadtviertel. Das wirkliche Problem sei aber nicht die Hautfarbe, meint Mama Nzinga. „Ich sehe Verrückte gegen Verrückte, Straßengangs und Drogen. Die Dealer sind weiß, schwarz, Italiener und Asiaten, sie haben alle möglichen Farben.“
Der junge Hip-Hopper Muhammad Ijtihad ergänzt: „Die meiste Waffengewalt hat mit einer Art persönlichem Rachefeldzug zu tun: Du hast meinen Bruder getötet, also werde ich deinen Bruder töten. Sogar bei diesen Gang-Geschichten. Es braucht Anstöße von außen, um diesen Kreislauf zu durchbrechen, Orte wie das Solutionary Center von Maj Toure. Wenn mehr Menschen mehr Respekt vor Waffen hätten, würden sie anders damit umgehen.“

"Waffenkontrolle war rassistisch"

Der größte Verband der Waffenlobby ist die berühmt-berüchtigte National Rifle Association (NRA). Sie existiert seit 1871 und hat rund fünf Millionen Mitglieder. Seit 2015 hat sie auch eine afroamerikanische „kleine Schwester“: die National Afro American Gun Association (NAAGA). Von Schwarzen für Schwarze gegründet, hat sie inzwischen fast 50.000 Mitglieder, Tendenz steigend.
Weil viele Schwarze eine Alternative zu der von Weißen geprägten NRA suchen, erzählt Rentner Bill, der Mitglied bei beiden Verbänden ist: „Viele Schwarze dachten damals, dass die NRA für sie nicht der richtige Ort war. Heute gibt es aber eine Menge schwarzer NRA-Mitglieder. Ich denke, die NRA ändert ihr Konzept, sogar bei Werbespots. Früher wurden dort überwiegend Weiße mit Waffen gezeigt, jetzt sieht man in einigen Werbespots Schwarze mit Waffen. Sie haben wohl erkannt, dass sie da einen Fehler gemacht hatten.“
Für Maj Toure beginnt die Diskriminierung von Schwarzen als Waffenbesitzer bereits weit früher: Als zu Zeiten des Amerikanischen Bürgerkriegs im 19. Jahrhundert die ersten Maßnahmen zur Waffenkontrolle eingeführt wurden. „Diese Waffenkontrolle war rassistisch. Sie wurde speziell eingeführt, um Schwarze daran zu hindern, sich selbst zu verteidigen", sagt er.
Nach dem offiziellen Ende der Sklaverei wurde mit immer neuen Gesetzen versucht, das Recht zum Besitz und Tragen einer Waffe explizit auf Weiße zu beschränken. Dies währte bis zur Bürgerrechtsbewegung in den 1960er-Jahren.

Selbstbewusstsein statt Scham

Auch die aktuellen Debatten um den Zweiten Verfassungszusatz haben in der Black Community für den jungen Rapper Muhammad Ijtihad viel mit der Vergangenheit zu tun und mit einer unbewussten kollektiven Scham, Nachfahre von Sklaven zu sein.
„Da ist ein großer Mangel an Selbstliebe und eine Menge Selbsthass", sagt er. "Das kommt noch aus der Sklaverei, besonders bei schwarzen Männern. Aber jetzt können wir nicht mehr alles dem weißen Mann anlasten. Das war in der Vergangenheit das Narrativ wegen des direkten Rassismus damals. Das gibt es heute nicht mehr. Im Innern haben wir aber immer noch mit der Scham zu kämpfen, darüber, dass wir uns früher vielleicht nicht genügend gewehrt haben.“
Wenn es nach dem jungen Hip-Hopper geht, sollten Weiße sich für Sklavenhalter-Vorfahren ebenso wenig schämen wie Schwarze für ihre versklavten Ahnen. So sieht es auch Juanita Miller. Sie schätzt zudem das selbstbewusste Auftreten von Maj Toure, der auch den Verein Black Guns Matter gegründet hat und in anderen US-Bundesstaaten seine Workshops gibt.
In Philadelphia hat er sogar schon für das Amt des Bürgermeisters kandidiert – für die Libertären, eine kleine Partei, die sich gegen staatliche Eingriffe und für Eigenverantwortung einsetzt, was auch Juanita Miller gefällt. „Wir sind das Land der Rebellen und der Waffen. Aber die Waffen helfen uns nur, unsere Freiheit zu bewahren. Sie ist uns das Wichtigste. Darum geht es.“

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