USA

Die Ohnmacht der politisch Korrekten

Plakat mit dem Hinweis auf eine Veranstaltung mit Sally Kohn, politische CNN-Kommentatorin und Daily Biest-Kolumnistin, zur Verteidigung von Politischer Korrektheit im September 2016 in Hempstead, New York
Plakat mit dem Hinweis auf eine Veranstaltung mit Sally Kohn, politische CNN-Kommentatorin und Daily Biest-Kolumnistin, zur Verteidigung von Politischer Korrektheit im September 2016 in Hempstead, New York © imago/ZUMA Press
Von Tanja Dückers · 13.12.2016
Kaum ein Begriff wurde in der letzten Zeit so scharf angegangen, wie der des "politisch Korrekten". Trotz mancher Übertreibungen sieht die Schriftstellerin Tanja Dückers in diesen Grabenkämpfen um eine vermeintliche Kleinkariertheit eine große Gefahr.
Seit einiger Zeit häuft sich die Kritik an Auswüchsen von politischer Korrektheit. Ein gefundenes Fressen bieten dafür amerikanische Colleges und Universitäten. Denn hier scheint der akademische Nachwuchs sein Augenmerk besonders auf die richtige Wortwahl zu legen, auf das authentische Mensa-Essen oder die korrekten Karnevals-Kostüme.
In einem meiner Seminare am Oberlin College in Ohio regten sich Studenten über einen Indianerfilm auf. Der Indianer sei ein gebürtiger Jugoslawe gewesen, kein Indianer, das sei ja eine Form von kultureller Aneignung. Es handelte sich um einen alten DEFA-Film. In der Tat, die Studenten schießen manchmal übers Ziel hinaus. Es ist auch die Frage, ob die Welt nicht andere Probleme hat als zu klären, ob ein thailändisches Mensa-Essen in Ohio jetzt wirklich so authentisch ist, dass man es noch mit seinem traditionellen Namen versehen kann oder nicht.
Aber die Häme, die nun gerade von deutschen Journalisten stammt, die nach dem Sieg Trumps schnell mal ein paar Colleges abklapperten, um ihre Vorurteile bestätigt zu sehen, scheint doch unangemessen – ebenso die radikalen politischen Kurzschlüsse, die sie aus "safe spaces" und harmlosen regenbogenbunten LGBTI-Aufklebern an Seminarräumen ziehen. Da heißt es nun, die Progressiven seien mit ihren Forderungen übers Ziel hinausgeschossen und hätten, so wörtlich im "Spiegel", "die Rechte stark gemacht". Da reibt man sich doch die Augen.

Geistreiche Witze über übertriebene Korrektheit

Zum einen wird übersehen, dass – wie immer – die schärfsten Kritiker Amerikas in eben diesem Land selbst leben. Nirgendwo werden so geistreiche und ironische Witze über übertriebene politische Korrektheit gemacht wie an amerikanischen Universitäten.
Es bedarf keiner deutschen Besserwisserei. Zumal es hierzulande auch einige politisch korrekte Übertreibungen gibt, auf die man vielleicht erstmal seinen Blick richten könnte.
Zum anderen scheint es reichlich übertrieben, den im Zweifelsfall eher wirkungslosen Political-Correctness-Maßnahmen so viel Bedeutung beizumessen. Zu glauben, an ihnen sei die Wahl Clintons gescheitert, ist einfach naiv. Damit spiegelt man nur die Haltung der Fürsprecher der politischen Korrektheit wieder. Derjenigen, die ernsthaft glauben, die Welt wandele sich zum Besseren, weil sie dafür plädieren, in dem Wort Latina nun statt dem geschlechtsbestimmenden Buchstaben a den Buchstaben x – Latinx – zu verwenden. Denn der Mensch soll nicht gleich nach seinem Geschlecht klassifiziert werden können.
Ein Trumpwähler würde aber mit oder ohne x keine Latina wählen. Und er lehnt schwullesbische Minoritäten in jedem Fall ab, ob mit oder ohne safe-space-Aufkleber am Seminarraum. Er macht sich eher lustig über solche Hoffnungsfünkchen.

Kritik weißer, deutscher Männer wirkt arrogant

Ein wenig arrogant wirkt es im Übrigen schon, wenn weiße deutsche Männer nun die Bemühungen von schwarzen, lateinamerikanischen oder zu anderen Minderheiten gehörenden amerikanischen Studenten kritisieren und meinen, sie würden übertreiben. Nur wer blind ist, glaubt, dass es Rassismus und Homophobie in den USA nicht mehr gäbe.
Vielleicht ist der Kampf der Studenten um Buchstaben und um Kostüme ein wenn auch ein wenig hilflos wirkender Versuch, die kleinen Dinge im Alltag ändern zu wollen, auf die sie Einfluss haben – statt der großen gesellschaftlichen Narrative, an denen sie eh nichts ändern können.
Im Übrigen: Junge Menschen haben ein Recht darauf, auf andere Art politisch zu sein als ihre Eltern.
Vor allem droht nun in Zeiten, in denen die Welt andere, größere Probleme hat, ein typischer linker Grabenkampf um die richtigen Buchstaben, um die Frage, ob die Beschäftigung mit ihnen nun überflüssig ist oder nicht. Es wäre wichtiger, jetzt ohne kleinkarierte Anwürfe zusammenzustehen und den Antiprogressiven, den Rassisten, Antisemiten, Antimuslimen und Frauenfeinden etwas entgegenzusetzen – und sich nicht gegenseitig zu massakrieren. Wenn etwas den Rechtspopulisten hüben wie drüben nutzt, dann genau das.

Tanja Dückers, *1968 in Berlin (West), Schriftstellerin, Publizistin, Literaturwissenschaftlerin. Zu ihren Werken zählen u. A. die Romane "Himmelskörper", "Der Längste Tag des Jahres", "Spielzone" und "Hausers Zimmer", der Essayband "Morgen nach Utopia" sowie mehrere Lyrikbände und Kinderbücher. Zuletzt erschien der autobiographisch gefärbte Rückblick "Mein altes West-Berlin". Tanja Dückers schreibt regelmäßig über gesellschaftspolitische Themen für die ZEIT Online und das DeutschlandRadio. Leitung von Schreibwerkstätten im In- und Ausland, u. A. in Belarus, Indien, Kenia und den USA. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin.

© Anton Landgraf
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