Kritik an den Kritikern von Carolin Emcke

Aus ihren Zeilen spricht Verachtung

Die Publizistin Carolin Emcke sitzt zwischen ihrer Lebensgefährtin Silvia Fehrmann und Bundespräsident Joachim Gauck und lächelt.
Die Publizistin Carolin Emcke freute sich sichtlich über den Friedenspreis, die Kritik an ihrer Rede hingegen untermauerte ihre Beobachtungen über die Verrohung der Gesellschaft. © picture-alliance / dpa / Arne Dedert
Von René Aguigah · 30.10.2016
Meistens verpuffen Sonntagsreden - die von Friedenspreisträgerin Carolin Emcke aber hat eine noch immer laufende Debatte entfacht. Unter anderem heißt es, sie sei ein "Darling der Anständigen" - und ihre Thesen werden als liberale Binsenweisheiten verspottet. Unser Autor René Aguigah wirft den ach so gebildeten Herren Verachtung vor.
Sonntagsreden verpuffen normalerweise ohne Folgen. Das gehört zu ihrem Genre: moralische Appelle – und das Publikum schläft alles freundlich weg.
Das war am vergangenen Sonntag anders, als die Berliner Reporterin und Philosophin Carolin Emcke mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde. In der Frankfurter Paulskirche hielt sie eine standesgemäß exzellente Dankesrede.

Begeisterung vs. Spott

Darin trug sie auch Gedanken vor, die sie ausführlich in ihrem neuen Buch entwickelt: "Gegen den Hass" heißt es. Es analysiert Hass-Phänomene von den sogenannten "Patriotischen Europäern gegen die Islamisierung des Abendlandes" bis hin zum Terror des sogenannten Islamischen Staats. Und Analyse heißt: Sie zerlegt diese unterschiedlichen Phänomene, Schritt für Schritt versucht sie, sie zu verstehen. Behutsame Beobachtung, ausgewählte Theorie, das sind ihre Mittel. Wer hätte gedacht, dass das Publikum etwas anderes tut als klatschen oder schlafen oder weiterdenken, sei es in Zustimmung oder Widerspruch?
Stattdessen: Begeisterung – auf der einen Seite. Und auf der anderen Seite?
Schon vor der Preisverleihung trug der Kritiker der Wochenzeitung "Die Zeit" seinen Verriss des Buches "Gegen des Hass" als ironisch stichelnde Schmährede vor. Carolin Emckes Buch erfülle die "volkspädagogisch wichtige Funktion einer … Selbstvergewisserung über grundlegende ethische Standards". Der Kritiker fühlte sich, schreibt er, "in die schöne alte Zeit von Proseminaren der achtziger und neunziger Jahre versetzt".
Wobei er, der Kritiker, 1975 geboren ist und die Seminare zumindest der 80er als Grundschüler erlebt haben müsste. Einen sachlichen Einwand trägt er dann doch vor. Er habe das "Gefühl, dass bei Emcke abgeleitete Oberflächenphänomene als zentrale begriffen" würden, "während die sozialen (harten Fakten) ganz in den Hintergrund" rückten. Offenbar hat er all jene Stellen nicht gelesen, an denen Emcke auch in diesem Buch "ökonomische und soziale Interventionen" fordert, um gegen Hass und Gewalt vorzugehen.

Arroganz oder Frauenfeindlichkeit?

Der Kritiker der "Zeit" legt einen Pfad, auf dem der Kritiker der "Welt" hinterherdackelt. In Emckes Friedenspreis-Rede hat er nichts anderes gehört als Dinge, die in der liberalen Bürgergesellschaft "selbstverständlich" sein sollten; einen "Feldgottesdienst der Zivilgesellschaft", wie bei der "Allerweltstheologin Margot Käßmann", so schreibt er.
Und so rauscht es weiter im Internet, seit Tagen. Ulf Poschardt, Chefredakteur der "Welt", bezeichnet Emcke auf Twitter als "Darling der Anständigen". Jan Fleischhauer, Kolumnist bei "Spiegel online" fällt ein: "Antje Vollmer und die Betroffenheit sind zurück. Vollmer heißt jetzt Carolin Emcke." Twitter, der Kurznachrichtendienst, als Stammtisch. Nicht die Zahl der geklopften Schenkel zählt, sondern die Zahl der angeklickten Herzchen und der Weiterleitungen. Käßmann, Vollmer, Emcke, höhö.
Überboten hat diese Pointen bislang nur einer. Thomas Fischer, seines Zeichens Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof. Ein Zitat aus seiner jüngsten Kolumne für die "Zeit", leider etwas länger als 140 Twitter-Zeichen: "Nehmen wir einen Apfelbutzen: Abgegessen, teilweise bräunlich oxidiert, mit Spuren von Zahnfleischbluten. Charles Bukowski, ein unbekannter Dichter, hätte dazu gesagt: 'Dein Schlüpfer, meine Seele: Auf beidem eine Spur von Scheiße.' Der Preisträgerin (Carolin Emcke) würde so etwas nicht über die Lippen gehen. Sie hat persönlich ein Tempotaschentuch beweint. Wir lieben so was. Wir möchten unbedingt ebenfalls den Friedenspreis des deutschen Kuscheltuchhandels. Und spenden ihn dann an ein Waisenkind auf Haiti. Wir melden uns hiermit an auf der Warteliste der zehn verfolgtesten lesbischen Friedenskämpferinnen ohne eigene Meinung."
Ob das den Tatbestand der Hassrede erfüllt? Nicht ganz. Wohl aber spricht aus all den zitierten Zeilen dieser Herren nichts anderes als Verachtung. Hass ist Sache des Herzens, schreibt Arthur Schopenhauer; und Verachtung ist eine Sache des Kopfes (und Schopenhauer kannte sich da aus). Es ist also kein Zufall, dass die gebildeten Herren nicht mit Schaum vor dem Mund hassen, sondern mit routiniert gesetzten Pointen verachten. Müßig, darüber zu spekulieren, warum genau sie das tun; Arroganz oder zu viel oder zu wenig Bildung oder Frauenfeindlichkeit – egal. Eins steht fest: Diese Verachtung ist ein Symptom genau jener Verrohung der öffentlichen Debatte, die Carolin Emcke analysiert. Die gebildeten Stände lassen hassen.
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