US-Intellektuelle beklagen "Klima der Intoleranz"

"Es gibt eine Kultur der Angst"

08:06 Minuten
Ein junger Mann sitzt in seinem Sessel.
Yascha Mounk verteidigt den offenen Brief für Meinungsfreiheit. © picture alliance/dpa/NurPhoto/Michal Fludra
Yascha Mounk im Gespräch mit Julius Stucke · 08.07.2020
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In den USA haben 150 Schriftsteller, Journalisten und Intellektuelle einen Brief für Meinungsfreiheit unterschrieben, der prompt kritisiert wurde. Mitunterzeichner und Politikwissenschaftler Yascha Mounk plädiert für einen offenen Meinungsaustausch.
Ein offener Brief macht aktuell in den USA und darüber hinaus die Runde. Ein Brief, der gleich zu Beginn anerkennt, dass gerade eine sehr wichtige Diskussion über Rassismus geführt wird, Demonstrationen für Gerechtigkeit stattfinden und überfällige Reformen erfolgen müssen. Dieser Brief geht vor allem mit dem Aber weiter: Der Diskussion mangele es an Toleranz, Kritik werde nicht zugelassen, abweichende Meinungen würden verschmäht und klein gemacht.
Unterzeichnet wurde er von rund 150 bekannten Schriftstellern und Schriftstellerinnen wie Margret Atwood oder J.K. Rowling, von Journalisten und Journalistinnen und Intellektuellen - vor allem aus den USA. Einer davon ist Yascha Mounk, Politikwissenschaftler, Autor und Professor an der Johns Hopkins University.

"Gegen die Kultur eines echten Meinungsaustauschs"

So seien der beste Beweis für die kritisierte Einengung von Meinungen die Reaktionen auf den Brief selbst, sagt Yascha Mounk. Innerhalb von nur wenigen Stunden sei versucht worden, einen Unterzeichner beruflich zu schädigen. "Das illustriert das Problem, um das es uns in diesem Brief geht besser, als alles, was davor passiert ist."
Man könne öffentlich den Brief kritisieren und das begründen, sagt Yascha Mounk. Wenn allerdings in den USA Chefs angeschrieben werden, und von einem beruflichen Klima der Angst berichtet werde, das von einem der Unterzeichner angeblich ausgehen würde, dann habe das in den USA unter Umständen auch juristische Konsequenzen.
"Es ist ganz klar der Versuch, jemanden von seinem Job zu feuern, weil er einen Brief für Meinungsfreiheit unterzeichnet hat", erklärt Yascha Mounk. Das sei keine offene Diskussion. "Das ist gegen die Kultur eines echten Meinungsaustausches."
Für Menschen in bestimmten Institutionen, die von ein "paar sehr progressiven Stimmen dominiert werden", gebe es eine "Kultur der Angst", sagt Yascha Mounk. Es gebe aber auch "ganz normale Menschen", die unbegründet unter Rassismusverdacht geraten würden. So habe ein Latino seinen Job als Elektriker verloren, weil er angeblich ein rechtsradikales Handzeichen gezeigt haben soll.

Eine diverse Gruppe hat den Brief unterschrieben

In den USA werden gerade Diskussionen darüber geführt, wer in der Debatte um Rassismus und Diskriminierung gehört werde mit seiner Stimme und sich äußere und wer nicht. Daran knüpft auch die Kritik an dem offenen Brief an und es wird den Unterzeichnenden vorgeworfen, es werde mit dem Brief "Meinungsplatz" verteidigt.

Dass der Brief für Meinungsfreiheit sofort Kritik hervorgerufen hat, sei ein Symbol unserer Zeit, sagt der Journalist Stephan Anpalagan. Das Gespräch mit ihm hören Sie hier:
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Viele Menschen, die den Brief unterschrieben hätten, seien selbst Schwarz oder gehören zur queeren Community, erläutert Yascha Mounk. Es handele sich um eine diverse Liste von Menschen, daher sei der Vorwurf, es handle sich um einen "Identitätskampf" schwer haltbar.
Leider seien die USA tief geprägt von Rassismus und Sexismus. Das sei keine Frage, so Yascha Mounk. Aber Journalistinnen und Journalisten Angst zu machen, wenn sie einen "vorsichtig formulierten Brief für Meinungsfreiheit" unterzeichnen, das sei keine Gerechtigkeit.
Yascha Mounk forscht auch zu Populismus und hat das Buch "Der Zerfall der Demokratie: Wie der Populismus den Rechtsstaat bedroht" geschrieben, in dem er sich mit Rechtspopulisten wie Donald Trump und auch Linkspopulisten wie Hugo Chávez beschäftigt. Daher sei der Vorwurf, er sei auf diesem Auge blind "vollkommen absurd".
Der Brief selbst sage auch ganz klar, dass der "Rechtspopulismus und Donald Trump" ein Problem sei. Wenn man sich aber in dieser Art auf eine polarisierte Debatte einlasse, wo man nur noch über ein Problem sprechen dürfe, dann "sind wir nicht mehr offen und nicht mehr ehrlich und können die Realität nicht mehr akkurat bezeichnen".

Hören Sie dazu auch ein Gespräch mit dem Chefkorrespondenten des Deutschlandradios, Stephan Detjen.
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(jde)
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