Song Dong in Düsseldorf

Kunsthalle würdigt chinesischen Konzeptkünstler

Um ein leeres Holzhaus herum stehen akkurat geordneten Textilien, Zeitungen, Geschirr, Schuhe, Zahnpasta-Tuben, bunte Limonadenflaschen-Schraubverschlüssen, alte Stühlen und vergammeltes Mobiliar
"Waste Not" - Installation von Song Dong, erschaffen gemeinsam mit seiner Mutter Zhao Xiangyuan © Katja Illner
Von Michael Köhler · 04.12.2015
Moderne chinesische Kunst hat mehr zu bieten als Ai Weiwei. Das beweist die Kunst­hal­le Düs­sel­dorf mit einer Ausstellung zum Werk des Konzeptkünstlers Song Dong. Seine Kunst ist ausdrucksstark, feinsinnig - und immer sehr persönlich.
"Meine Mutter sagte, behalte das, schmeiß´ nichts weg!"
"Waste not", Nichts wegwerfen, kein Abfall! So heißt die großformatige, zentrale Arbeit in der Düsseldorfer Kunsthalle, die schon in New York, San Francisco und Peking zu sehen war.
Auf den ersten Blick sieht es wie auf einem Flohmarkt aus. Um ein leeres Holzhaus herum ist alles vollgestellt mit akkurat geordneten Textilien, Zeitungen, Geschirr, Schuhen, Zahnpasta-Tuben, bunten Limonadenflaschen-Schraubverschlüssen, alten Stühlen, rostigem und vergammeltem Mobiliar. Scheinbar wertloses Zeug.
"Ich habe damit 2002 angefangen, als mein Vater plötzlich starb. Ich arbeite mit meiner Mutter und habe das erstmals 2005 in Peking gezeigt. Dann ging es um die Welt."
Die Furcht vorm leeren Zimmer
Rasch merkt der Besucher, dass sind private Haushaltsgegenstände von Generationen angesammelt. Die chinesische Mangelwirtschaft in den 60ern ließ keine andere Wahl. Es handelt sich nicht nur um gebrauchte Gegenstände, die durch viele Hände gegangen sind, sondern auch um durchlebte Geschichten, die sich dahinter verbergen.
"All das haben wir zuvor benutzt. Ich bin 1966 geboren, zur Zeit der Kulturrevolution. In jener Zeit haben alle ähnlich gelebt. Die Idee meiner Mutter war, alles kann man künftig noch brauchen. Ihre Zukunft bin ich. Es ist mein Leben."
Als Song Dongs Vater starb, war seine Mutter nicht nur einsam und traurig, sondern auch ängstlich.
"Ich habe sie gefragt, warum häufst du das alles an, machst den Raum voll. Sie sagte, dein Vater ist nicht hier. Sie fürchtete das leere Zimmer. Jedes Objekt, sagte sie, kann die Erinnerung zurückbringen."
Song Dongs Kunst findet an der Schnittstelle von individuellem und öffentlichem Leben statt. Er ist einer der wichtigsten chinesischen Gegenwartskünstler. Für Kunsthallendirektor Gregor Jansen ist das keine kühle Konzeptkunst, sondern sehr anschaulich.
"Ja, es ist Lebenskunst. Alles hat einen prägenden Einfluss auf den Menschen, auf den Charakter, auf das Individuum. Sein Vater wurde ja inhaftiert. Er hat eine schwierige Beziehung aufbauen müssen und können, letztlich auch über die Kunst. Ich würde es Lebenskunst bezeichnen. Er hat einen wunderbaren Zugriff, diese extreme Sinnlichkeit auf die Frage hin, was ist das Leben."
"Das ist alles sehr privat, aber als ich das öffentlich zeigte, entriss ich meine Mutter einer traurigen Zeit. Sie konnte mit anderen sprechen. Als ich das erstmals in Peking zeigte, kamen viele Menschen. Sie haben die gleichen Geschichten mit meiner Mutter geteilt. Die Lebensumstände waren ja so ähnlich."
Ein Feld aus Granitwürfeln mit kleinen Tintenfässern
Song Dongs Kunst ist über weite Strecken Erinnerungskunst, die Gegenwärtiges mit vergangenem verbindet. Sehr poetisch etwa sind die kleinen Steinklötze: Ein Feld aus Granitwürfeln, enthält kleine Tintenfässer mit Wasser. Der Besucher soll einen Pinsel nehmen und mit Wasser seine Erinnerungen aufschreiben. Während des Schreibens verdunstet alles. Die privaten Notizen bleiben uneinsehbar. Song Dongs Vater trainierte ihn einst in Kalligrafie. Er schrieb mit Wasser, um Tinte zu sparen.
"Wissen Sie, Vater und Mutter sind gestorben, aber für mich sind sie in der Kunst. Wenn ich sie sehen will, muss ich arbeiten, Kunst machen. Dann kann ich mich mit ihnen unterhalten."
Nach dem Tian´ anmen - Massaker hörte Song Dong auf zu malen. Er hat sich in einer Performance auf den Platz des Himmlischen Friedens gelegt, 45 Minuten ausgeatmet und dabei Eis erzeugt, das wieder schmolz. Umgekehrt hat er auf einem See in Peking gelegen und ausgeatmet und mit seinem Atem ein Loch im Eis erzeugt. Was in der Nacherzählung kitschig klingen mag, ist insgesamt von Song Dongs Taoismus geprägt, einem achtsamen Umgang von Mensch mit Erde und Natur. Wunderbar auch das Werk "Eating the world". Auf einer Weltkarte sind Süßigkeiten aufgebaut. Die Besucher sollen sie im Verlauf der Ausstellung nach und nach aufessen. Landschaftsverzehr, Mega-Cities, Wachstum, Ressourcenschonung, Recycling, Überlieferung und Generationengerechtigkeit wurden selten so leicht und ernsthaft, künstlerisch überzeugend in einer Ausstellung gezeigt wie gerade in Düsseldorf.
"Für mich gilt, ich bin Künstler. Mein Leben ist Kunst. Ich liebe Kunst und ich liebe das Leben. Für mich ist das das Gleiche."
Mehr zum Thema