Urheberrecht in der Popmusik
Ed Sheeran auf dem Weg ins Gericht. Im Streit um "Shape of You" bekam der Superstar Recht. © picture alliance / ZUMAPRESS.com / Tayfun Salci
Zwischen Plagiaten und Zitaten
05:57 Minuten
In der Popmusik gehören Plagiatsvorwürfe zum Alltag, auch die Klagen nehmen zu. Manche fürchten bereits eine Art Selbstbeschränkung der Künstler, um Problemen aus dem Weg zu gehen. Und Branchengrößen wie Ed Sheeran sorgen inzwischen vor.
Kein Song wurde weltweit so oft gestreamt wie Ed Sheerans "Shape of You" aus dem Jahr 2017. Als Sami Chokri und Ross O'Donoghue den Song hörten, fanden sie: Bestimmte Zeilen und Formulierungen klingen doch wie in ihrem eigenen Song „Oh Why“ von 2015.
Der Fall landete vor Gericht in Großbritannien und besorgt Labels, Musikwissenschaftler und Musikwissenschaftlerinnen, Juristen und Juristinnen. Hayleigh Bosher, Dozentin für Urheberrecht an der Brunel University in London, sagt: „Es gibt immer mehr Fälle von Urheberrechtsverletzungen, bei denen zwei Songs gleich klingen.“
Dass das Urheberrecht Ideen, Melodien und Kompositionen schütze, sei gut und wichtig, meint die Juristin, aber es passe nicht mehr zur aktuellen Musikwelt. „Es entsteht mehr Musik als je zuvor. Neue Songs werden dadurch mit viel mehr Musik weltweit verglichen. Auch, weil es einfacher als je zuvor ist, Musik zu produzieren und zu veröffentlichen durch die Streaming-Plattformen.“
Welt der Zitate und Erinnerungen
Und wir leben auch in einer Popwelt, die gerne zitiert und sich an die eigene Vergangenheit erinnert. Weil mögliche Noten-, Akkord- und Harmonie-Abfolgen endlich sind, gehören kleine Ähnlichkeiten schon immer zum Pop. Wenn aber schon kleinste Parallelen dazu führen, dass Stars wie Ed Sheeran vor Gericht landen, dann könnte das die Kreativität bedrohen, meint Hayleigh Bosher.
Ed Sheeran hat der BBC in einem Interview gesagt, dass er durch diesen Urheberrechtsstreit nicht mehr so unbefangen Songs schreiben könne. Diese Sorge beschäftigt nicht nur einen Weltstar wie Ed Sheeran, sondern auch Martin Fliegenschmidt und seine Kollegen.
Fliegenschmidt hat Songs wie „80 Millionen“ für Max Giesinger mitgeschrieben, war am aktuellen Helene Fischer-Album beteiligt und gehört zu Verso, der Vereinigung deutscher Songwriter (w/w/d).
„Ich habe das Gefühl, es ist heute noch mal stärker so, dass man sich beim Prozess des Schreibens ständig hinterfragt: Okay, gibt es das schon? Ist das zu nah an irgendwas Existierendem dran?‘“, sagt Fliegenschmidt.
Trend zur Plagiatsklage
Dass jemand verklagt wird, weil ein Song mutmaßlich an einer kleinen Stelle so ähnlich klingt wie ein anderer, das sei natürlich bei extrem populären Songs wie „Shape of You“ häufiger der Fall. Aber, so Fliegenschmidt: „Das ist auch hier in Deutschland ein Phänomen, das verstärkt auftritt."
Komponistinnen und Komponisten versuchen solche Fälle, sagt er, natürlich komplett zu vermeiden. Aber die Labels würden sich manchmal mit sehr konkreten Wünschen an die Songschreiberinnen und Songschreiber wenden, nach dem Motto: Schreibt doch mal einen Song, der so klingt wie dieser eine Hit.
Komponistinnen und Komponisten versuchen solche Fälle, sagt er, natürlich komplett zu vermeiden. Aber die Labels würden sich manchmal mit sehr konkreten Wünschen an die Songschreiberinnen und Songschreiber wenden, nach dem Motto: Schreibt doch mal einen Song, der so klingt wie dieser eine Hit.
„Und wenn es wirklich ein konkreter Song ist, dann kann es natürlich so etwas wie eine Vorlage sein, ein Blueprint fast. Das gibt es schon solche Vorgaben", sagt der Songschreiber. Und betont im nächsten Satz: "Aber wir als Songwriter*innen versuchen immer sehr bewusst im Umgang damit zu sein: Man kann es nicht kopieren und eine Sache austauschen. Das ist halt Diebstahl.“
Vorabprüfung von Werken
Zwischen diesen Polen – der Kopie großer Hits und der Popkunst an sich als Zitat, Nachahmung und Huldigung – scheint die Sorge vor der Klage um sich zu greifen.
„Was neu ist", sagt Verbandsvertreter Fliegenschmidt, "ist, dass bei solchen Sachen teilweise vor dem Release der Song von musicologists, also von Gutachtern, überprüft wird im Auftrag von den Songwritern oder dem Produzenten oder dem Label, um zu große Ähnlichkeiten zu anderen existierenden Werken ausschließen zu lassen."
Eine Art vorauseilender Gehorsam, eigentlich Feind der freien Kreativität.
Mittlerweile hat Ed Sheeran den Fall nach vier Jahren gewonnen – die Richter haben entschieden, dass er nicht abgekupfert hat, weder absichtlich noch unterbewusst.
Der BBC hat Ed Sheeran kurz nach dem Urteil verraten, dass er sich seit diesem Fall beim Songschreiben filmt – falls es nochmal zu so einem Fall kommen sollte. Dass er gewonnen hat, ist allerdings ein starkes Statement für die Popmusik.
Sorgfältige Abwägung
Urheberrechtsdozentin Hayleigh Bosher schreibt nach dem Urteil per Mail: "Das Urheberrecht ist ein Balance-Akt: Der Richter hat in diesem Fall die richtige Entscheidung getroffen, indem er die Grenze zwischen dem, was durch das Urheberrecht geschützt werden kann, und dem, was in der Musik alltäglich ist, also nicht geschützt werden sollte, sorgfältig abgewogen hat."
Gut also – denn sich nur auf den Neuheitswert zu konzentrieren, hat den Kern der Popmusik schon immer verfehlt. Sie war immer Zitat: Generationen haben wiederholt, was ihre Eltern schon gesungen haben.
All das ist Pop-Kunst. Und das Urheberrecht sollte Kopie von der Kunst unterscheiden – und nicht Angst verbreiten.