Urenkel Zilles: Er ist ein politischer Mensch gewesen

Moderation: Stefan Karkowski |
<strong>Stefan Karkowski:</strong> Bei mir zu Gast ihm Radiofeuilleton ist nun ein Urenkel des Künstlers, der Gründer der Heinrich Zille Gesellschaft Hein-Jörg Preetz-Zille, guten Morgen!
Hein-Jörg Preetz-Zille: Guten Morgen, herzlichen Dank für die Einladung!

Karkowski: Sehr gerne! Sie selbst sind 67 Jahre alt, Sie haben Ihren Urgroßvater also nicht mehr persönlich kennen lernen können. War denn Heinrich Zille dennoch bestimmend für Ihr eigenes Leben?

Preetz-Zille: Jetzt im späteren, im reiferen Leben, ja. In den jüngeren Jahren war er für uns eine Selbstverständlichkeit, so wie jeder seinen Namen trägt, so haben wir also auch den Namen Zille mitgetragen, ohne dass es uns in irgendeiner Art und Weise beeindruckt hat. Sicherlich, wenn wir als Kinder mal drauf angesprochen wurden: "Zille? Ist das der Maler aus Berlin?" Natürlich haben wir dann gesagt: "Na klar!" Aber das war nichts Ungewöhnliches für uns. Das war ein ganz normaler Tagesumgang.

Karkowski: Sie sind selber kein Maler geworden.

Preetz-Zille: Nein, ich bin kein Zeichner und Maler. Dieses Talent habe ich nur weiter – oder ich nicht – aber Urgroßvater weitergeben können an meine Tochter.

Karkowski: War das denn bei Ihnen zu Hause so, dass da überall Zille-Porträts an den Wänden hingen, Erbstücke?

Preetz-Zille: Keineswegs. Wir sind vertrieben worden aus Pommern und dementsprechend ist das, was als Erbe mal im Märkischen Museum an meine Großmutter weitergegeben worden ist, alles letzen Endes bei der Vertreibung in Pommern geblieben. Es ist ein, zwei kleine Zeichnungen, die meine Mutter gerettet hat, die sie mir in den Kinderwagen gelegt hatte, die sind natürlich erhalten geblieben. Aber ansonsten, wir haben, wenn wir was gehabt haben, Bücher in die Hand genommen, die wir aber dann auch irgendwo von Freunden und Bekannten bekommen haben. Aus der Vertreibung haben wir nichts mitnehmen können.

Karkowski: Was sagt denn eigentlich die Familienlegende über Heinrich Zille? Was war er für ein Mensch?

Preetz-Zille: Meine Mutter, die ja das einzige Enkelkind von Heinrich Zille war, hat ihn besucht in Berlin und ist vom Lande her öfter mal hier in die Stadt gekommen oder umgekehrt, dass er mal aufs Land gekommen ist, hat seinen Sohn Hans besucht. Daraus haben sich so kleine Storys ergeben und es gab natürlich Geschichten, die Mutter sehr gerne erzählt hat, weil er ein sehr, sehr, sehr liebenswürdiger Mensch war, der gerade die Kinder geliebt hat und sich um Mutter gesorgt hat. Er ist gerne mit ihr in den Zirkus gegangen, er ist gerne mit ihr in den Zoo gegangen, er ist aber auch gerne mal in den "Nussbaum" mit ihr gegangen oder in die Kneipe "Beere", die damals noch die Zille-Stube war, in der Charlotte-Straße.

Karkowski: Aber er hat ihr niemals Buntstifte geschenkt, um ihren eigenen zeichnerischen Drang zu verwirklichen.

Preetz-Zille: Nein, wenn sie hier in Berlin war und hat gesehen, dass er an der Staffelei saß, dann hat sie natürlich auch sich da mal hingesetzt und wollte an der Staffelei ein paar Zeichnungen machen, aber Mutter hat genauso wenig das Talent gehabt wie ich.

Karkowski: Wir reden im Radiofeuilleton DeutschlandRadio Kultur mit Hein-Jörg Preetz-Zille, Urenkel des Berliner Künstlers Heinrich Zille, der heute 150 Jahre alt gewesen wäre. Herr Preetz-Zille, mit seinen Berliner Milieustudien hat Heinrich Zille ja relativ spät erst angefangen. Er ist ja als 50-Jähriger arbeitslos geworden und hat dann im Grunde genommen diese ganzen Milieustudien mal zusammengefasst in dem Buch "Kinder der Straße", das ja auch Titel wurde der Ausstellung, die in Berlin morgen eröffnet wird und aus diesen Zeichnungen bezieht nun Matthias Flügge seine Einschätzung, Zille sei ein imminent politischer Künstler gewesen. Ist das denn in der Familie auch so gesehen worden?

Preetz-Zille: Flügge hat nicht unrecht, er ist ein politischer Mensch gewesen und ich glaube auch, wenn ich so jetzt in den Jahren in denen ich mich befinde, mit Heinrich Zille auseinandergesetzt habe, resümiere, kann ich auch nicht umhin, ihn als politischen Menschen zu erkennen, doch zweifelsohne. Aber in der Familie wurde er nicht als politischer Mensch dargestellt.

Karkowski: Was meinen Sie heute, was ist das Politische an seinen Arbeiten?

Preetz-Zille: Na, ich denke einfach, die Sozialkritik, die er geübt hat. Also, in die politische Richtung, einer Richtung, hat er sich eigentlich nie drängen lassen, obwohl er, ich möchte fast sagen, eher auf dem linken Flügel angesiedelt war, aber sich nie politisch irgendwo hat vereinnahmen lassen. Ob das jetzt damals war, zu Kaisers Zeiten, oder ob das nachher war, zur Weimarer Republik oder es war nachher ja zu DDR-Zeiten oder zur westdeutschen Zeit oder zur nationalsozialistischen Zeit, jeder hat versucht, ihn irgendwo für sich zu vermarkten.

Karkowski: Die Vermarktung ist ein gutes Stichwort. Zille wird ja heute vor allem als Berlin-Folklore wahrgenommen. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Preetz-Zille: Finde ich nicht gut, Folklorist, das wird ihm nicht gerecht. Er war Zeitkritiker und Folklorist...

Karkowski: Hat das nicht vielleicht auch damit zu tun, dass Zilles Name ja auch vermarktet wurde, dass vielleicht Lizenzen verkauft wurden an Postkartenfirmen, dass die Motive auf Souvenirbecher gedruckt werden durften, an Schnapsfabrikanten und so weiter vergeben wurden?

Preetz-Zille: Na ja, diese Vermarktung, da sind natürlich die Erben nicht ganz unschuldig daran.

Karkowski: Also Sie auch mit.

Preetz-Zille: Natürlich, natürlich, klar, weil ja letzen Endes das für die Erben auch ein gewisser Erwerb war. Wir dürfen ja nicht vergessen, es kam die Kriegszeit, es kam die Nachkriegszeit, der gute Walter Zille, der Sohn von Heinrich, der noch in der Sophie-Charlotten-Straße gewohnt hat, hatte ja noch sein Drittel gehabt, das konnte er verkaufen, weil er auch arbeitslos war, der bei Siemens Beschäftigte und hat versucht, jetzt mit Zille sich über Wasser zu halten, nicht nur mit seinem Namen, sondern auch mit dem Namen seines Vaters. Und so ist es uns nach der Vertreibung ähnlich gegangen. Wir haben Bücher publiziert, wir haben Postkarten publiziert, letzen Endes mit der Prämisse, nicht Heinrich Zille alleine als den sozialkritischen Menschen darzustellen, sondern auch letzen Endes für den Mammon.

Karkowski: Und ich kann mich dran erinnern, vor ein paar Jahren hat dann mal ein Biograf hingewiesen auf Zilles erotische Motive. Da gab es die große Diskussion, da wurde Zille in die Nähe von Pornografie sogar gerückt. Das war glaube ich, 1991, muss das gewesen sein, wie war das damals für Sie, dass Ihr Urgroßvater da so ein Schmuddelimage bekam?

Preetz-Zille: Das war in der Familie eigentlich auch ein Problem. Mutter ist ja eine sehr zurückhaltende Person gewesen und die sehr moralistisch war. Dass das nachher geradegerückt wurde, das es auch zu Zilles Kunst und zu Zilles Leben gehört, das finde ich in Ordnung. Und wenn wir heute die Hurengespräche, die Sie sicherlich jetzt hier gerade ansprechen wollten, veröffentlicht haben, sehe ich darin keine Problematik. Problematischer sind für mich die Zeichnungen, die Zille in der balzacschen Buchreihe, "Die tolldreisten Geschichten" gezeichnet hat. Das war eine Privatsache, die ist drastisch, die ist auch pornografisch. Aber alles andere, was er jetzt mit den Hurengesprächen gezeichnet hat oder mit der Landpartie oder Ähnlichem, das sehe ich als heute ganz normal an.

Karkowski: Und eins sollten wir vielleicht am Schluss noch klären, es gibt da doch noch eine berühmte Zille, die zum 150. Geburtstag Heinrich Zilles unterwegs ist, nämlich Hellen Zille, die deutschstämmige Bürgermeisterin von Kapstadt. Sie wird ja auch immer als Großnichte Zilles eingeführt. Ist sie wirklich ein Cousine von Ihnen?

Preetz-Zille: Hellen Zille mag den Namen Zille tragen, aber sie hat mit Heinrich Zille überhaupt nichts zu tun. Wir sind, weil wir damit konfrontiert worden sind und wir hätten Hellen Zille gerne bei uns als Familienmitglied gehabt, ich hätte mich gefreut. Wir sind aber in der Chronik der Familie bis auf 1514 zurückgegangen. Es gibt dort keine Linie, die auf Hellen Zilles Vater zurückweist. Zille hat ja bis 1867 nicht Zille, sondern Zill geheißen. Und erst `67 ist der Name verlängert worden auf Zille und außerdem gab es in der gesamten Zille-Linie auch keine jüdische Linie...

Karkowski: ...auf die sich Frau Hellen Zille beruft.

Preetz-Zille: Frau Hellen Zille beruft sich ja auf ihren Vater Wolfgang, der aus einer jüdischen Linie stammt.

Karkowski: Wie werden Sie den 150. Geburtstag Ihres Urgroßvaters begehen?

Preetz-Zille: Na, ich hoffe, dass wenn er heute Abend vorbei ist, dass ich dann endlich auch vor den Flimmerfritzen und vor Zille-Bille Ruhe hab. Wir werden ihn natürlich feiern, so wie es sich gehört, wir werden ihm ein Denkmal setzen im Nikolaiviertel, das gestiftet worden ist, und wir werden sicherlich auch ein Glas Bier auf ihn anheben, ne Molle, aber ansonsten möchte ich sagen, ich wäre froh, wenn dieses Brimborium sich über das Jahr hinzöge und wir im Museum etwas mehr Besucher hätten.

Karkowski: … sagt Hein-Jörg Preetz-Zille, bei dem ich mich recht herzlich bedanke. Er ist der Urenkel von Heinrich Zille, der heute 150 Jahre alt geworden wäre. Die bislang größte Ausstellung mit Zilles Werken, darunter viele nie zuvor gezeigte, eröffnet morgen parallel an zwei Orten in Berlin, der Akademie der Künste und dem Ephraim-Palais und eine Dauerausstellung von Werken Zilles sehen Sie täglich im Berliner Heinrich-Zille-Museum.
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