Uploadfilter vs. Zivilgesellschaft

Wenn Algorithmen über Inhalte entscheiden

04:36 Minuten
"Uploadfilter Nein Nein!" steht auf einem Plakat bei der "Save the Internet"-Demonstration in Hamburg.
Demo gegen EU-Urheberrechtsreform im März 2019: Zu falschen Sperrungen ganz legaler Inhalte wird es bald häufiger kommen, fürchtet Julia Reda. © picture alliance / xim.gs
Ein Einwurf von Julia Reda · 11.03.2021
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Beim Laden von Inhalten ins Netz soll zukünftig geprüft werden, ob diese die Rechte anderer verletzen. Welchen Preis der flächendeckende Einsatz von Uploadfiltern dabei hat, beschreibt die Wissenschaftlerin Julia Reda - von Spaßbremse bis Zensur.
Großbritannien wird gerade von der dritten Welle heimgesucht. Die Familie Marsh befindet sich wie viele andere Familien mit ihren vier Kindern im Lockdown. Um in dieser Extremsituation nicht die Nerven zu verlieren, musizieren sie zusammen. Sie interpretieren Pophits neu und veröffentlichen ihre Werke auf Youtube.
Aus "Total Eclipse of the Heart" wird "Totally Fixed Where We Are", aus Leonhard Cohens "Hallelujah" wird "Have the New Jab". Ein Aufruf, sich den neuen Covid-Impfstoff zu holen.

Sperrungen legaler Parodien

Mit ihren Liedern hält die Familie Marsh nicht nur sich selbst bei Laune. Hunderttausende erfreuen sich an ihren Videos. Doch die Freude ist von kurzer Dauer, denn ihre Parodie des Leonhard Cohen-Songs wird durch Youtubes Uploadfilter kurzerhand gesperrt. Und das, obwohl sie die Melodie selbst auf der Gitarre eingespielt und ihren eigenen Text eingesungen haben.
Außerdem sind solche Parodien gemäß des Urheberrechtes eigentlich erlaubt. Erst nach einem öffentlichen Aufschrei und der Intervention von mehreren Abgeordneten, schaltet Sony Music das Lied schließlich wieder frei.
Zu falschen Sperrungen ganz legaler Inhalte wird es bald häufiger kommen, wenn die EU-Urheberrechtsreform umgesetzt ist. Dann sind viele Plattformen verpflichtet, Uploadfilter einzusetzen, um vermeintliche Urheberrechtsverletzungen automatisch zu sperren.

Kommerzielle Interessen verdrängen kreatives Chaos

Das Internet, das einmal als kreatives Chaos begann, wird immer stärker durch kommerzielle Interessen dominiert. Ein Kräftemessen großer Firmen wie Sony oder YouTube. Die Nutzer:innen, die durch das Teilen, Remixen und Weiterentwickeln von Inhalten den Reiz vieler Plattformen ausmachen, bleiben dabei auf der Strecke.
Deshalb sind vor zwei Jahren über hunderttausend Menschen gegen die Urheberrechtsreform auf die Straße gegangen. Wenn Algorithmen entscheiden, was im Netz gesagt werden darf, ist die Meinungsfreiheit in Gefahr. Die CDU hat damals versprochen, die Reform ohne Uploadfilter umzusetzen. Doch das erwies sich als leeres Wahlversprechen, wie der Gesetzesentwurf zeigt, über den der Bundestag jetzt entscheiden muss. Tatsächlich schreibt die EU-Richtlinie aber Uploadfilter vor.

Warten auf den Europäischen Gerichtshof

Der Europäische Gerichtshof berät deshalb bereits, ob die Regelung gegen die Grundrechte verstößt. Bis dieses Urteil gefallen ist, kann es aber noch Monate dauern. In der Zwischenzeit muss Deutschland die Reform bis Juni diesen Jahres umsetzen.
Wenn die Bundesregierung ihr Versprechen schon nicht halten kann, auf Uploadfilter zu verzichten, dann muss sie zumindest dafür sorgen, dass keine legalen Inhalte gesperrt werden. Auch das schreibt die EU-Richtlinie vor, alles andere wäre Zensur.
Der deutsche Gesetzesentwurf schafft das nicht. Nutzer:innen können beim Upload zwar angeben, dass ein Inhalt legal genutzt wird, zum Beispiel als Zitat oder Parodie. Trotzdem sollen Plattformen alle Uploads sperren, die mindestens die Hälfte eines fremden Werks enthalten. Die Parodie-Songs der Familie Marsh müssten also gesperrt werden, denn sie enthalten regelmäßig die gesamte Melodie eines Lieds.

Probleme auch für die Pressefreiheit

Uploadfilter sind nicht nur ein Problem für die Internetkultur, sondern auch für die Pressefreiheit. Auf dem Youtube-Kanal "Bold Medya" berichten türkische Exiljournalist:innen kritisch über die Regierung Erdoğan. Mehrere ihrer Beiträge wurden gesperrt, weil sie angeblich Material des türkischen Staatssenders TRT enthielten. Das war aber nicht der Fall.
Die Journalist:innen sehen darin einen gezielten Versuch, Regimekritik zu unterdrücken. Bisher haben nur wenige große Medienunternehmen wie TRT Zugriff auf Youtubes Uploadfilter. Das wird sich durch die Urheberrechtsreform ändern. Dann wird auch die Zahl solcher Missbrauchsfälle durch die Decke gehen.
Den Betroffenen bleibt nur die Beschwerde im Nachhinein. Aber dann ist der Schaden bereits angerichtet.

Julia Reda leitet bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte e. V. das Projekt control ©, das sich mit dem Schutz von Grundrechten im Spannungsfeld mit dem Urheberrecht beschäftigt. Von 2014 bis 2019 war sie Mitglied des Europäischen Parlaments. Fokus ihrer politischen Arbeit war die EU-Urheberrechtsreform, die sie als Vertreterin der Grünen/EFA-Fraktion mitverhandelt hat.

Julia Reda posiert für ein Pressefoto
© Diana Levine
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