Unternehmensberaterin Natalya Nepomnyashcha

"Wenn Widerstände kommen, mache ich einfach weiter"

33:37 Minuten
Porträt von Natalya Nepomnyashcha vor einer Backstein-Wand.
Natalya Nepomnyashcha arbeitet in einer der größten internationalen Unternehmensberatungen und ist Gründerin von "Netzwerk Chancen". © Inka Junge
Moderation: Ulrike Timm · 24.06.2020
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Sie hatte es schwer und will es anderen leichter machen: Natalya Nepomnyashcha hat trotz schlechter familiärer Startchancen Karriere gemacht. Mit ihrer Organisation "Netzwerk Chancen" hilft sie benachteiligten jungen Menschen beim Aufstieg.
Welche Chancen hätte Natalya Nepomnyashcha verpasst, hätte sie seinerzeit auf den Direktor eines Augsburger Gymnasiums gehört. Die damals 13-jährige Tochter von Flüchtlingen aus der Sowjetunion hatte sich bei ihm beworben.
"Ich war Realschülerin, hatte gerade die 9. Klasse mit einem Schnitt von 1,3 abgeschlossen und wollte eigentlich einen neuen Weg gehen: Abitur machen, studieren." Der Direktor lässt sie abblitzen: Sie gehöre nicht auf ein Gymnasium.
Nepomnyashcha ließ sich nicht entmutigen. Heute arbeitet sie in einer der größten internationalen Unternehmensberatungen und ist Gründerin von "Netzwerk Chancen". Die Organisation hilft sozial benachteiligten jungen Menschen dabei aufzusteigen.

Die optimistische Realistin

Geboren ist Natalya Nepomnyashcha 1989 in Kiew. Nach dem Zerfall der Sowjetunion sind die Eltern arbeits- und perspektivlos. Da es in der Familie jüdische Vorfahren gibt, können sie 2001 als jüdische Kontingentflüchtlinge nach Deutschland ausreisen. Ihre Tochter, ein Einzelkind, soll es einmal besser haben. Sie alle sprechen kein Deutsch; die Eltern leben bis heute von Hartz IV.
Natalya beißt sich durch: Sie schließt die Realschule in Augsburg als Jahrgangsbeste ab. Da es mit dem Abitur so nicht klappt, zieht sie mit 17 Jahren nach München – gegen den Widerstand der Eltern. Sie macht eine Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin, anschließend zur Übersetzerin und Dolmetscherin. Die Basis, um in London studieren zu können: internationale Politik.
2012 kehrt sie nach Deutschland zurück: Mit 22 Jahren hat sie einen Masterabschluss und spricht fünf Sprachen. Ihr Motto seither: "Wenn Widerstände kommen, mache ich einfach weiter." Sie sei eben eine "optimistische Realistin".

Netzwerk für Benachteiligte

Dennoch muss sie sich von ihrem ersten Berufswunsch verabschieden: Den Einstieg in die internationale Politik findet sie nicht. Nach 80 erfolglosen Bewerbungen muss sie erkennen: "Du brauchst Leute, du brauchst Fürsprecher, du brauchst Kontakte in diesem Bereich."
Eine Erkenntnis, die 2016 zur Gründung von "Netzwerk Chancen" führt:
"Wir möchten allen in Deutschland helfen, die benachteiligt aufgewachsen sind und nicht die gleichen Chancen haben wie andere Menschen. Die entweder in finanzschwachen oder nichtakademischen Familien aufgewachsen sind und sozial aufsteigen möchten."
Ihnen gibt sie ihre Erfahrungen weiter, bietet das Netzwerk, das sie gebraucht hätte, und versucht, ihnen eine berufliche Karriere zu ermöglichen. Sie weiß aber auch: Ein solcher Aufstieg bleibt mitunter nicht ohne Folgen.
"Am schlimmsten ist die Entfremdung vom Elternhaus. Ich muss ehrlich sagen, dass meine Eltern und ich kaum Gemeinsamkeiten haben, weil sie natürlich einen ganz anderen Alltag haben. Weil sie nicht verstehen, was ich beruflich mache, weil sie nicht verstehen, was 'Netzwerk Chancen' macht. Sie verstehen überhaupt nicht, was mein Arbeitgeber macht, also, was ich im echten Berufsleben mache. Das ist natürlich sehr schwierig."

Traum vom chancengleichen Bildungssystem

Heute arbeitet Natalya Nepomnyashcha nur noch stundenweise für das Netzwerk – neben ihrem Fulltime-Job als Unternehmensberaterin in Berlin. Manchmal träume sie davon, den Direktor wiederzutreffen, der sie damals abblitzen ließ. Ihr Ziel:
"Ihn und andere davon zu überzeugen, dass es durchaus sehr viele Wege gibt, wie das deutsche Bildungssystem chancengleicher werden kann. Und dass wir uns endlich, endlich, endlich daran machen, etwas zu ändern."
(sus)
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