"Unsere Möglichkeiten werden immer schlechter"

Ulrich Maly im Gespräch mit Marietta Schwarz · 03.05.2011
Auf dem diesjährigen Deutschen Städtetag in Stuttgart wollen Städte und Kommunen angesichts der immensen Verschuldung noch enger zusammenrücken. Die Lage ist dramatisch, weil die Kommunen in der Steuer-Hierarchie ganz unten stehen, sagt Nürnbergs OB, Ulrich Maly.
Marietta Schwarz: Um Zusammenhalt und Zukunft mit starken Städten geht es auf dem diesjährigen Deutschen Städtetag. Heute beginnt die Hauptversammlung in Stuttgart mit dieser frohen Losung, die aber vielleicht auch darauf hinweist, dass gerade um Zusammenhalt und Stärke gerungen werden muss, dann nämlich, wenn die Kassen der Kommunen besonders leer sind, und das sind sie ja. Auch wenn die Gewerbesteuern wieder mehr sprudeln, erwarten die Kommunen ein Haushaltsdefizit von knapp zehn Milliarden Euro. Und die seit Anfang des Jahres gesetzlich verankerte Schuldenbremse von Bund und Ländern schwebt über vielen Kommunen wie ein Damoklesschwert. Am Telefon ist Ulrich Maly, SPD, er ist Oberbürgermeister von Nürnberg, guten Morgen, Herr Maly!

Ulrich Maly: Guten Morgen, Frau Schwarz!

Schwarz: Man hat ja schon Horrorgeschichten von vielen Städten gehört, da wird das letzte Theater, das letzte Schwimmbad geschlossen, die Kommunen leben komplett auf Pump. Haben Sie in Nürnberg noch Handlungsspielraum?

Maly: Ja, wir haben noch Handlungsspielräume, aber auch wir gehen eigentlich immer den Grat entlang in der Gefahr, abzurutschen, weil es uns im Grunde geht wie dem Durchschnitt der meisten deutschen Städte, dass man sagt, man hangelt sich im Grunde von Haushaltsjahr zu Haushaltsjahr, die Einnahmen werden immer ungewisser durch Steuerrechtsänderungen, die Ausgaben sind bombensicher durch explodierende Sozialausgaben. Das ist eine eher unerotische Lage für Politik.

Schwarz: Wie macht sich denn die Anfang des Jahres eingeführte Schuldenbremse von Bund und Ländern in Ihrer Stadt bemerkbar?

Maly: Bis jetzt noch gar nicht. Nur wir kennen ja die Pappenheimer, die Kommunen sind in der Hierarchie der steuerverzehrenden Organismen die letzten in der Nahrungskette, wenn man so will. Von einem Steuer-Euro in Deutschland kommen etwa elf Cent auf kommunale Leistungen, davon bauen wir alles, was die Menschen überwiegend als staatliches Handeln wahrnehmen: von der Kinderkrippe bis zum Friedhof, vom sozialen Wohnungsbau bis zur Straßenbahn oder bis zum Bus. Und es besteht die Gefahr – das kennen wir aus vielen anderen Fällen –, dass die Länder, wenn sie dann nicht mehr so dürfen, wie sie heute dürfen, also wenn sie in ihrer Verschuldung begrenzt sind, das Ganze schlicht nach unten weiterreichen. Das heißt, unsere Möglichkeiten, einen modernen Dienstleistungsstaat bereitzustellen, werden immer schlechter. Was tun wir am Ende? Wir generieren frustrierte Bürger, denn die stehen mit ihren Erwartungen immer vor den Rathäusern, selten vor den Landtagen, und sagen, wir wollen mehr Kinderkrippen, wir wollen ordentliche Ganztagsschulen, wir wollen eine bessere ÖPNV-Anbindung. – Zu Recht, wie ich finde, und wir können diese berechtigten Ansprüche an einen modernen Dienstleistungsstaat dann definitiv nicht mehr erfüllen.

Schwarz: Das Defizit der Länder ist aber, so liest man heute im "Handelsblatt", unerwartet kräftig gesunken im ersten Quartal, die haben nur sechs Milliarden zu viel ausgegeben …

Maly: … ja, aber weniger durch eigene Leistung …

Schwarz: … das ist doch eigentlich eine gute Nachricht auch für die Städte?

Maly: Ja, das ist aber ein Ergebnis, das weniger durch eigene Leistung, also nicht durch Konsolidierung, zustande kommt, sondern eben durch die bessere Konjunktur in den letzten zwei, drei Quartalen. Das strukturelle Defizit der Länder und Stadtstaaten geht an die 30 Milliarden. Und das will abgebaut werden bis Ende dieses Jahrzehnts, so sieht es das Gesetz über die Schuldenbremse vor und auch das Grundgesetz. Und da wird es noch Bremsspuren geben, die richtig wehtun werden.

Schwarz: Welche erwarten Sie da, in welchen Bereichen?

Maly: Das wird in den Bundesländern sehr unterschiedlich sein. Bei uns ist es so, dass in den meisten westlichen Ländern vermutlich in die Finanzausgleichssysteme eingegriffen wird, das ist das Geld, das uns die Länder geben für die allgemeinen Kostensteigerungen im Bereich der Sozialkosten und Ähnlichem. Da fällt es nicht so auf, da sind die Spuren schneller verwischt, wenn … Wie sollen sie dagegen protestieren, wenn von 500 Millionen mal 50 gekürzt werden, das wären jetzt die Größenordnungen des Freistaats Bayern, dann kann kein Mensch was damit anfangen. Es trifft aber uns, weil – und das ist jetzt ein Beispiel der letzten zehn Jahre –, in den letzten zehn Jahren sind die Zuweisungen der Länder um sechs Milliarden gestiegen an die Kommunen, die Sozialausgaben der Kommunen aber um 14 Milliarden. Und wenn diese Schere weiter auseinandergeht, dann wird man sich ganz unauffällig, sodass die Spuren nicht erkennbar sind, zu unseren Lasten versuchen zu entschulden.

Schwarz: Man kann sich dagegen wehren als Stadt, lautstark auch, wie Sie das tun, aber man muss natürlich auch reagieren. Also Herr Maly, wie sparen Sie in Nürnberg? Mit höheren Steuern, Eintrittspreisen, Theaterschließung?

Maly: Ja, es ist im Grunde das volle Programm, das Sie in ganz Deutschland vorfinden: Zunächst mal konsolidiert man im eigenen Bereich. Es ist sicher so, dass man vor zehn, 15, 20 Jahren noch da und dort unwirtschaftliche Ecken im öffentlichen Dienst gehabt hat. Wir haben zum Beispiel in Nürnberg fast 1000 Stellen eingespart in den letzten 20 Jahren. Natürlich geht es auch auf dem Rücken der Bürger raus, es werden Gebühren erhöht, es werden Eintrittspreise erhöht. Steuern erhöhen ist gar nicht so einfach, denn Sie sind auch als Kommune in einem kompetitiven Verhältnis mit anderen Kommunen, ich kann also weder Grundsteuer noch Gewerbesteuer in unermessliche Höhen schrauben. Es ist schwierig, am Ende geht immer auch ein Stück des Weges in die Verschuldung.

Schwarz: Wenn die kommunalen Kassen leer sind, gibt es vielleicht auch andere Strategien, wie man seine Stadt betrieben bekommt, etwa zum Beispiel durch bürgerschaftliches Engagement, Schnee selbst schaufeln, Bäume selbst pflanzen … – Ist das naiv?

Maly: Es ist rührend, aber als Problemlösung für echte, für einen modernen Dienstleistungsstaat tatsächlich naiv, wie Sie sagen. Natürlich engagieren sich unsere Bürger, das tun sie heute schon, aber ich finde es eigentlich fast einen Missbrauch von Bürgerengagement, wenn wir dieses Geld, diese Zeit, die da gestiftet wird, sozusagen zum Ersatz von Pflichtleistungen verwenden würden. Es gibt berechtigte Erwartungen an die Angebotspalette einer modernen Stadt, und die sind, sage ich mal, verdammt noch mal durch die Steuereinnahmen auch abzudecken. Natürlich brauchen wir Kinderkrippen, natürlich brauchen wir ordentliche Schulen, Ganztagsschulen, Straßen ohne Schlaglöcher und viele Dinge, die die Menschen zu Recht von uns erwarten. Das kann man nicht durch bürgerschaftliches Engagement ersetzen. Bürgerschaftliches Engagement setzt sich obendrauf dann als das, was unsere Gesellschaft im Inneren zusammenhält, aber die Basis-Infrastruktur ist staatliche Aufgabe.

Schwarz: Die von der Regierung geplante Reform der Gewerbesteuer lehnt der Deutsche Städtetag ja kategorisch ab. Sie auch?

Maly: Ja.

Schwarz: Warum?

Maly: Weil es keine Reform wäre, sondern es wäre der Versuch, die Gewerbesteuer in ihrer Substanz auszuhöhlen. Die Gewerbesteuer ist eine Steuer, die zwar Schwankungen unterliegt - auf die lange Sicht gesehen, aber eine ordentliche Wachstumsdynamik hat, im Grunde das Einzige, was uns in den 20 Jahren explodierender Sozialkosten noch halbwegs gerettet hat. Und es geht nicht um Reform, sondern es geht um das Erliegen der Einflüsterungen der Wirtschaftsverbände, dass man sie doch entlasten solle zu Lasten der Kommunen. Und deshalb kämpfen wir da völlig einstimmig, Ost wie West, Groß wie Klein, Rot wie Schwarz, für den Erhalt der Gewerbesteuer in der bisherigen Form.

Schwarz: Und was fordern Sie?

Maly: Es soll alles so bleiben, wie es ist. Wir könnten uns auch vorstellen, dass einige eigentlich nicht mehr vermittelbare Restbestände aus den 30er-Jahren noch beseitigt werden, so zahlt zum Beispiel der Freiberufler keine Gewerbesteuer, das kann man eigentlich niemandem vernünftig erklären. Dann hätten wir eine ordentliche Stabilität dieser kommunalen Einnahme, müssten auch nicht ständig den Ländern die Sakkos nass weinen, was denen ja auch nicht gefällt – uns im Übrigen auch nicht –, sondern könnten autonom unsere Aufgaben so erledigen, wie es die kommunale Selbstverwaltung auch vorsieht.

Schwarz: Der Oberbürgermeister von Nürnberg Ulrich Maly, SPD, war das zur Zukunft seiner Stadt unter der Last der Schuldenbremse. Herr Maly, vielen Dank für das Gespräch!

Maly: Bitte schön!
Mehr zum Thema