Unda Hörner: "1919: Das Jahr der Frauen"

Als Frauen die Welt neu erfanden

Buchcover Unda Hörner: "1919: Das Jahr der Frauen". Im Hintergrund ist die Künstlerin Hannah Höch in ihrem Atelier zu sehen.
Das Jahr 1919 ist auch eine politischen Zeitenwende für die Frauen. © Ebersbach & Simon / picture-alliance / akg-images
Von Simone Schmollack · 11.08.2018
1919 war das Jahr der Frauen: Sie haben in der Kunst, in der Kultur und vor allem in der Politik viel bewegt. Davon profitieren wir bis heute. Endlich erinnert ein Buch an die damaligen Heldinnen.
"Zwischen Dreivierteltakt und Straßenwirrwarr, zwischen Konfetti und roten Fahnen gleiten Paare hinüber ins neue Jahr. Die Luft ist wie elektrisch geladen (...) Der Boden von Berlin glüht. (...) So ein Silvester hat Berlin noch nicht erlebt." So beschreibt das Berliner Tageblatt den 1. Januar 1919. Endlich Frieden, endlich wieder ausgelassen feiern - so lässt sich der Artikel verstehe: Der Erste Weltkrieg ist zu Ende, im November 1918 hatte Kaiser Wilhelm II. abgedankt und war außer Landes. Die Monarchie ist Geschichte und der Weg frei für eine demokratische Staatsordnung.
Dies ist eine Zeit, in der vor allem von Männern die Rede ist: Philipp Scheidemann, der die Deutsche Republik ausruft. Der Architekt Walter Gropius, der das Bauhaus gründet. Der Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld, der in Berlin das erste Institut für Sexualwissenschaft eröffnet.

Mit Gänseblümchen den Reichspräsidenten bloßgestellt

Doch die Monate nach dem Krieg sind vor allem eine weibliche Zeit, meint die Schriftstellerin Unda Hörner und gibt ihrem neuen Buch einen ebensolchen Titel: "1919. Das Jahr der Frauen". Und wie wahr: Die französische Modemacherin Coco Chanel war mittlerweile reich und berühmt, ihre funktionale wie formschöne Mode aus wadenlangen Röcken und weiten Hosen, die man als den Vorläufer der allseits berühmtem Marlene-Hose bezeichnen darf, revolutionierten die Damenmode auch in Deutschland. Dazu der Kurzhaarschnitt, den Chanel selbst trug - schon war ein neues weiblichen Selbstbewusstsein geboren.
Oder Hannah Höch. Im Sommer 1919 schlägt die Dadaistin eine Illustrierte auf und sieht ein Foto des Reichspräsidenten Friedrich Ebert und des Reichswehrministern Gustav Noske, beide Männer in Badehose, knietief im Wasser. Sie schneidet das Bild aus, und Monate später, im Oktober, kommt es zum Einsatz. Sie klebt das Foto auf bemaltes Papier, garniert die Badehosen mit Gänseblümchen, lässt im Hintergrund eine Badenixe posieren und setzt in die linke Ecke den Schriftzug "Deutsche Frauen Nationalversammlung". Die Parodie auf die beiden Sozialdemokraten veröffentlicht sie in der Dada-Rundschau. Damit löst sie einen Skandal aus und Ebert wird das "Badehosen-Stigma" bis zu seinem Tod nicht mehr los. Vor allem aber erfindet Hannah Höch damit eine neue Art politischer Collage. Männer wie George Grosz, John Heartfield und Kurt Schwitters machen ihr das umgehend nach.

Eine politische Zeitenwende

Vor allem aber politisch bedeutet das Jahr 1919 eine Zeitenwende für Frauen: Am 19. Januar treten Frauen nicht nur das erste Mal in Deutschland an die Wahlurnen, im Februar spricht zudem eine Frau das erste Mal im Parlament. Die Sozialreformerin Marie Juchacz, die die Rede hält, ist eine der 37 ersten Parlamentarierinnen in der Weimarer Nationalversammlung. Im Dezember gründet Juchacz die Arbeiterwohlfahrt, bis heute einer der wichtigsten Wohlfahrtsvereine in Deutschland.
1919 ist allerdings auch das Jahr, in dem die Sozialistin Rosa Luxemburg ermordet wird. Die Frauenrechtlerin Anita Augspurg warnt das erste Mal laut vor einem "gewissen Adolf Hitler", der im Oktober im Münchner Hofbräukeller eine geifernde Rede gegen Juden und alles Fremde hält. Es ist Hitlers erste parteipolitische Rede, und Augspurg fordert, dass der Volksverhetzer ausgewiesen wird. Bekanntermaßen ohne Erfolg.

Unda Hörner: "1919: Das Jahr der Frauen"
Ebersbach & Simon
256 Seiten, 22 Euro

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