Und bist du nicht willig
Von der verdeckten Machtübernahme in Hawaii Ende des 19. Jahrhunderts bis hin zu den Kriegen in Afghanistan und dem Irak heute: Der Journalist Stephen Kinzer schildert die Übergriffe der Großmacht USA auf andere ausländische Regierungen und zeigt so in seinem Sachbuch „Putsch“ die Geschichte des amerikanischen Imperialismus auf.
Die Zeit zwischen 1893 und 1898 markiert einen welthistorischen Einschnitt. Das ist die Grundthese des aufwühlenden Buches des „New York Times“- Reporters Stephen Kinzer. In diesen fünf Jahren gingen amerikanische Regierungen dazu über, fremde Regierungen zu unterwandern oder mit militärischen Mitteln direkt zu beseitigen.
Kinzer untersucht in seinem Buch nicht alle Formen amerikanischer Einflussnahme, sondern nur 14 Fälle aus den letzten 110 Jahren. Es handelt nur von jenen Fällen, für die eindeutig belegbar ist, dass fremde Regierungen von den USA oder mit Hilfe der USA gestürzt wurden – und zwar aus wirtschaftlichen, ideologischen oder politischen Gründen beziehungsweise einer Mischung daraus. Wirtschaftliche Motive waren für die amerikanischen Regierungen, wie der Autor schreibt, vorherrschend:
„In den meisten Fällen indes lagen den Regierungsaktionen hauptsächlich ökonomische Gründe zugrunde – vor allem der Anspruch, amerikanische Geschäftsinteressen rund um die Welt zu untermauern, zu befördern und zu verteidigen und jede Störung von ihnen fernzuhalten.“
Maßgeblich befördert wurde diese Politik von der in den USA üblichen „Verschmelzung von politischen und ökonomischen Interessen“, was sich anhand der Biografien vieler Minister von John Foster Dulles bis zu Donald Rumsfeld und Dick Cheney zeigen lässt. Sie alle hatten enge Verbindungen zu weltweit operierenden Wirtschaftskonzernen, bevor sie Politiker wurden.
Bereits der erste Fall enthält zentrale Elemente der Putsch-Strategie. Nachdem Thomas Cook Hawaii 1778 „entdeckt“ hatte, zog es viele Pflanzer und Missionare auf die Insel. Insbesondere die Zuckerpflanzer, die oft aus Missionarsfamilien stammten, betrieben schnell den Anschluss Hawaiis an die USA. Dem Zuckerexport standen die Importzölle im Weg. Unter Präsident Ulysses S. Grant schloss der König von Hawaii mit den USA einen „Vertrag auf Gegenseitigkeit“, der Hawaii Exporterleichterungen und den USA Handelsniederlassungen und einen Militärstützpunkt eintrug. Der Vertrag enthielt auch die folgende Klausel:
„Auf Seiten Seiner Hawaiischen Majestät herrscht Einverständnis darüber, dass für die Geltungsdauer dieses Vertrags Seine Majestät keinem anderen Staat und keiner anderen Macht oder Regierung irgendeinen Hafen, Ankerplatz und sonstigen Raum auf seinem Hoheitsgebiet verpachten, übereignen oder verpfänden wird.“
Damit wurde das Königreich Hawaii faktisch zu einem Protektorat der USA. Als die Königin 1893 den Einfluss der eingereisten Pflanzer- und Missionarsdynastien einschränken wollte, unterstützten die USA mit ihrem Gesandten und 250 Marinesoldaten einen Putsch, mit dem die Monarchie abgeschafft und eine amerika- und anschlussfreundliche Regierung eingesetzt wurde.
Fünf Jahre später passierte Ähnliches auf Kuba. Die USA unterstützten zunächst José Martí und die kubanischen Aufständischen gegen das spanische Kolonialregime. Als dieses schon fast am Boden lag, wechselten die USA gleichsam die Fronten und gaben Kuba nicht die versprochene Unabhängigkeit, sondern installierten 1901 ein Marionettenregime und sicherten sich so eine indirekte Beherrschung des Landes.
Dass es in den USA zum Umschwung von einer antikolonialistischen zu einer expansionistischen Politik kam, hat mit der Exportkrise für Agrarprodukte zu tun, aber auch mit der Stimmung, die ein Traktat des Kapitäns Alfred Thayer Mahan anheizte. Dieser beeinflusste auch in Europa das Meinungsklima. Mahan meinte, nur Seemächte könnten Großmächte sein, und um ihre Handelsflotte weltweit zu schützen, benötigten sie Stützpunkte. Seine schlichte These lautete:
„Ob sie das wollen oder nicht, die Amerikaner müssen jetzt anfangen, den Blick nach draußen zu richten. Die wachsende Produktion des Landes verlangt das.“
Ein drittes Grundmuster ergibt sich aus der Intervention in Nicaragua zwischen 1902 und 1910. Der Versuch des Staatspräsidenten José Santos Zelaya, die Einheit von Nicaragua, Guatemala, Costa Rica, El Salvador und Honduras, wie sie zwischen 1821 und 1838 bestanden hatte, zu befördern, lag nicht im Interesse der USA. Wegen zweier Todesurteile gegen US-Bürger erklärte Washington Nicaragua gleichsam zum „Schurkenstaat“ und unterstützte massiv den Aufstand eines Generals, der ein williger Präsident wurde.
Seit 1823 galt die sogenannte Monroe-Doktrin, mit der die USA europäischen Mächten jede Einmischung auf dem amerikanischen Kontinent einseitig untersagten. Präsident Theodore Roosevelt, der den Regimewechsel in Nicaragua veranlasste, verkündete 1904 den Roosevelt-Zusatz zur Monroe- Doktrin. Den Kern des Zusatzes umschrieb er so:
„Ständiges Fehlverhalten oder die Unfähigkeit, die auf eine allgemeine Lockerung der Bande der zivilisierten Gesellschaft hinausläuft, können in Amerika, wie auch anderswo, am Ende das Eingreifen irgendeiner zivilisierten Nation erforderlich werden lassen.“
Das lief in der Konsequenz auf eine weltweite Selbstermächtigung der USA hinaus, „das Fehlverhalten“ oder „die Unfähigkeit“ anderer Regierungen notfalls mit Gewalt zu bestrafen beziehungsweise zu korrigieren.
Nach 1945, das heißt mit dem Auftreten einer zweiten Supermacht und dem Ende des amerikanischen Kernwaffenmonopols, mussten die US-Regierungen ihre Strategie und Technik ändern. An die Stelle des direkten, offenen und auch offen eingestandenen Eingreifens traten heimliche Staatsstreiche.
Kinzer belegt das im Detail an den Staatsstreichen von 1953 im Iran, 1954 in Guatemala, 1964 in Südvietnam und 1974 in Chile. Eine zentrale Rolle spielte in allen vier Fällen die enge Zusammenarbeit des amerikanischen Geheimdienstes CIA mit einheimischen Militärs und konservativen politischen Eliten. Kinzer resümiert das Ergebnis dieser Politik:
„Jeder dieser vier Staatsstreiche richtete sich gegen eine einigermaßen demokratische Regierung, und jeder hatte letztlich die Einsetzung einer repressiven Diktatur zur Folge. Sie ließen sich, zumindest vorübergehend, als Siege der USA im Kalten Krieg betrachten, was seinerzeit von ziemlicher Bedeutung schien.“
Absehbar noch verheerender sind die Folgen amerikanischer Interventionen in der dritten Phase, obwohl die Kriege in Afghanistan und im Irak noch nicht abgeschlossen sind.
Seit dem Untergang der Sowjetunion 1991 hat die amerikanische Außenpolitik an Ellbogenfreiheit gewonnen und kann fast ohne Rücksichtnahme agieren. In Afghanistan gelang es zwar, das Taliban-Regime zu vertreiben, aber von einer Stabilisierung oder gar Demokratisierung ist das Land noch weit entfernt. Im Irak droht dasselbe Ergebnis wie den Briten nach 35 Jahren britischer Herrschaft:
„Als sie sich schließlich 1955 zurückzogen, ließen sie ein schwaches, undemokratisches politisches System zurück, das schließlich einen Saddam Hussein hervorbrachte.“
Dem gründlichen und gut lesbaren, manchmal zur Weitschweifigkeit neigenden Buch kann man nur viele Leser wünschen.
Stephen Kinzer: Putsch!
Zur Geschichte des amerikanischen Imperialismus
Aus dem Amerikanischen von Ulrich Enderwitz
Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2007
Kinzer untersucht in seinem Buch nicht alle Formen amerikanischer Einflussnahme, sondern nur 14 Fälle aus den letzten 110 Jahren. Es handelt nur von jenen Fällen, für die eindeutig belegbar ist, dass fremde Regierungen von den USA oder mit Hilfe der USA gestürzt wurden – und zwar aus wirtschaftlichen, ideologischen oder politischen Gründen beziehungsweise einer Mischung daraus. Wirtschaftliche Motive waren für die amerikanischen Regierungen, wie der Autor schreibt, vorherrschend:
„In den meisten Fällen indes lagen den Regierungsaktionen hauptsächlich ökonomische Gründe zugrunde – vor allem der Anspruch, amerikanische Geschäftsinteressen rund um die Welt zu untermauern, zu befördern und zu verteidigen und jede Störung von ihnen fernzuhalten.“
Maßgeblich befördert wurde diese Politik von der in den USA üblichen „Verschmelzung von politischen und ökonomischen Interessen“, was sich anhand der Biografien vieler Minister von John Foster Dulles bis zu Donald Rumsfeld und Dick Cheney zeigen lässt. Sie alle hatten enge Verbindungen zu weltweit operierenden Wirtschaftskonzernen, bevor sie Politiker wurden.
Bereits der erste Fall enthält zentrale Elemente der Putsch-Strategie. Nachdem Thomas Cook Hawaii 1778 „entdeckt“ hatte, zog es viele Pflanzer und Missionare auf die Insel. Insbesondere die Zuckerpflanzer, die oft aus Missionarsfamilien stammten, betrieben schnell den Anschluss Hawaiis an die USA. Dem Zuckerexport standen die Importzölle im Weg. Unter Präsident Ulysses S. Grant schloss der König von Hawaii mit den USA einen „Vertrag auf Gegenseitigkeit“, der Hawaii Exporterleichterungen und den USA Handelsniederlassungen und einen Militärstützpunkt eintrug. Der Vertrag enthielt auch die folgende Klausel:
„Auf Seiten Seiner Hawaiischen Majestät herrscht Einverständnis darüber, dass für die Geltungsdauer dieses Vertrags Seine Majestät keinem anderen Staat und keiner anderen Macht oder Regierung irgendeinen Hafen, Ankerplatz und sonstigen Raum auf seinem Hoheitsgebiet verpachten, übereignen oder verpfänden wird.“
Damit wurde das Königreich Hawaii faktisch zu einem Protektorat der USA. Als die Königin 1893 den Einfluss der eingereisten Pflanzer- und Missionarsdynastien einschränken wollte, unterstützten die USA mit ihrem Gesandten und 250 Marinesoldaten einen Putsch, mit dem die Monarchie abgeschafft und eine amerika- und anschlussfreundliche Regierung eingesetzt wurde.
Fünf Jahre später passierte Ähnliches auf Kuba. Die USA unterstützten zunächst José Martí und die kubanischen Aufständischen gegen das spanische Kolonialregime. Als dieses schon fast am Boden lag, wechselten die USA gleichsam die Fronten und gaben Kuba nicht die versprochene Unabhängigkeit, sondern installierten 1901 ein Marionettenregime und sicherten sich so eine indirekte Beherrschung des Landes.
Dass es in den USA zum Umschwung von einer antikolonialistischen zu einer expansionistischen Politik kam, hat mit der Exportkrise für Agrarprodukte zu tun, aber auch mit der Stimmung, die ein Traktat des Kapitäns Alfred Thayer Mahan anheizte. Dieser beeinflusste auch in Europa das Meinungsklima. Mahan meinte, nur Seemächte könnten Großmächte sein, und um ihre Handelsflotte weltweit zu schützen, benötigten sie Stützpunkte. Seine schlichte These lautete:
„Ob sie das wollen oder nicht, die Amerikaner müssen jetzt anfangen, den Blick nach draußen zu richten. Die wachsende Produktion des Landes verlangt das.“
Ein drittes Grundmuster ergibt sich aus der Intervention in Nicaragua zwischen 1902 und 1910. Der Versuch des Staatspräsidenten José Santos Zelaya, die Einheit von Nicaragua, Guatemala, Costa Rica, El Salvador und Honduras, wie sie zwischen 1821 und 1838 bestanden hatte, zu befördern, lag nicht im Interesse der USA. Wegen zweier Todesurteile gegen US-Bürger erklärte Washington Nicaragua gleichsam zum „Schurkenstaat“ und unterstützte massiv den Aufstand eines Generals, der ein williger Präsident wurde.
Seit 1823 galt die sogenannte Monroe-Doktrin, mit der die USA europäischen Mächten jede Einmischung auf dem amerikanischen Kontinent einseitig untersagten. Präsident Theodore Roosevelt, der den Regimewechsel in Nicaragua veranlasste, verkündete 1904 den Roosevelt-Zusatz zur Monroe- Doktrin. Den Kern des Zusatzes umschrieb er so:
„Ständiges Fehlverhalten oder die Unfähigkeit, die auf eine allgemeine Lockerung der Bande der zivilisierten Gesellschaft hinausläuft, können in Amerika, wie auch anderswo, am Ende das Eingreifen irgendeiner zivilisierten Nation erforderlich werden lassen.“
Das lief in der Konsequenz auf eine weltweite Selbstermächtigung der USA hinaus, „das Fehlverhalten“ oder „die Unfähigkeit“ anderer Regierungen notfalls mit Gewalt zu bestrafen beziehungsweise zu korrigieren.
Nach 1945, das heißt mit dem Auftreten einer zweiten Supermacht und dem Ende des amerikanischen Kernwaffenmonopols, mussten die US-Regierungen ihre Strategie und Technik ändern. An die Stelle des direkten, offenen und auch offen eingestandenen Eingreifens traten heimliche Staatsstreiche.
Kinzer belegt das im Detail an den Staatsstreichen von 1953 im Iran, 1954 in Guatemala, 1964 in Südvietnam und 1974 in Chile. Eine zentrale Rolle spielte in allen vier Fällen die enge Zusammenarbeit des amerikanischen Geheimdienstes CIA mit einheimischen Militärs und konservativen politischen Eliten. Kinzer resümiert das Ergebnis dieser Politik:
„Jeder dieser vier Staatsstreiche richtete sich gegen eine einigermaßen demokratische Regierung, und jeder hatte letztlich die Einsetzung einer repressiven Diktatur zur Folge. Sie ließen sich, zumindest vorübergehend, als Siege der USA im Kalten Krieg betrachten, was seinerzeit von ziemlicher Bedeutung schien.“
Absehbar noch verheerender sind die Folgen amerikanischer Interventionen in der dritten Phase, obwohl die Kriege in Afghanistan und im Irak noch nicht abgeschlossen sind.
Seit dem Untergang der Sowjetunion 1991 hat die amerikanische Außenpolitik an Ellbogenfreiheit gewonnen und kann fast ohne Rücksichtnahme agieren. In Afghanistan gelang es zwar, das Taliban-Regime zu vertreiben, aber von einer Stabilisierung oder gar Demokratisierung ist das Land noch weit entfernt. Im Irak droht dasselbe Ergebnis wie den Briten nach 35 Jahren britischer Herrschaft:
„Als sie sich schließlich 1955 zurückzogen, ließen sie ein schwaches, undemokratisches politisches System zurück, das schließlich einen Saddam Hussein hervorbrachte.“
Dem gründlichen und gut lesbaren, manchmal zur Weitschweifigkeit neigenden Buch kann man nur viele Leser wünschen.
Stephen Kinzer: Putsch!
Zur Geschichte des amerikanischen Imperialismus
Aus dem Amerikanischen von Ulrich Enderwitz
Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2007

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