UN-Weltflüchtlingstag

Ein Zeltlager aus Bildern

Der Künstler und Aktivist Hermann Josef Hack bei seiner Aktion "Klimaflüchtlingscamp"
Der Künstler und Aktivist Hermann Josef Hack bei seiner Aktion "Klimaflüchtlingscamp" © dpa picture alliance / Volker Dornberger
Hermann Josef Hack im Gespräch mit André Hatting · 20.06.2014
Der Aktionskünstler und Beuys-Schüler Hermann Josef Hack will vor dem Berliner Reichstag aus seinen Gemälden Hütten bauen. Kunst sei nur interessant, wenn sie "zum besseren Handeln anregt", sagt er. Später sollen die Bilder auf Plastikplanen in einem Flüchtlingslager im Libanon genutzt werden.
André Hatting: Der Streit über den Sinn von Kunst ist so alt wie die Moderne. Pointiert kann man zwei radikale Positionen unterscheiden: Die einen sagen, Kunst ist reiner Selbstzweck, ist l'art pour l'art. Die anderen: Kunst ohne gesellschaftliche Funktion hat überhaupt keine Berechtigung. Zu Letzteren gehört Hermann Josef Hack, er ist Jahrgang 1956. Als 17-Jähriger kam er als Schüler zu Joseph Beuys an die Kunstakademie Düsseldorf, das hat ihn bis heute geprägt. Hack macht immer wieder mit sozialpolitischen Aktionen auf sich aufmerksam, zum Beispiel das World Climate Refugee Camp, ein Miniaturflüchtlingslager aus über 1000 Zelten, das er im Zentrum europäischer Hauptstädte aufgebaut hatte - Mahnung an die Opfer des Klimawandels. Schönen guten Morgen, Herr Hack!
Hermann Josef Hack: Schönen guten Morgen!
Hatting: Zum heutigen Weltflüchtlingstag der Vereinten Nationen haben Sie sich eine Aktion vor dem Berliner Reichstag ausgedacht. Welche?
Hack: Die Aktion heißt "Bewohnbare Bilder". Ich werde also meine Bilder, Gemälde diesmal umfunktionieren zu Zelten. Also, was ich vorher im Kleinformat gemacht habe, kleine Minizelte zu Flüchtlingslagern in die Plätze gestellt habe, das werde ich diesmal machen mit originalgroßen Bildern, die noch vorige Woche in der Kunst- und Ausstellungshalle Bonn-Siegburg zum Beispiel an der Wand hingen. Diese Bilder werde ich zu Zelten umfunktionieren. Man muss dazusagen, das sind jetzt keine Leinwände im klassischen Sinne, sondern ich male schon seit vielen, vielen Jahren auf diesem Material Zeltplane, LKW-Plane, das also auch so wetterfest ist. Und diese symbolische Zeltanlage heute vor dem Bundestag soll also daran erinnern und aufrütteln, dass ganz, ganz viele Menschen heimatlos sind und es noch viele werden und dass das was mit uns zu tun hat.
Hatting: Warum benutzen Sie für dieses Symbol ausgerechnet Ihre Bilder?
Hack: Ich denke mir als Künstler, ich habe zu wenig Platz, um Flüchtlinge aufzunehmen, ich kann also nicht viel machen. Aber als Künstler kann ich eben das Wertvollste, was ich besitze, das sind meine Bilder, und diese Bilder kann ich einsetzen. Und die Idee ist, meine Bilder auf Planen wirklich einem realen Schutzzweck zuzuführen. Das heißt konkret, ich schicke diese Zeltplane, nachdem ich die hier in Berlin aufgebaut habe, später in ein Flüchtlingslager für syrische Flüchtlinge in den Libanon und dort werden sie tatsächlich zum Abdecken von Behausungen, also zur wirklichen Notbeherbergung benutzt. Das heißt, sie erfüllen nicht nur einen symbolischen Zweck, sondern einen tatsächlichen Zweck.
"Was ist die Kunst geworden?"
Hatting: Sie machen das heute gemeinsam mit Berliner Schülern. Warum?
Hack: Mir ist wichtig, dass ich nicht nur alleine das mache, sondern Menschen einbinde, die sich dafür interessieren, die das auch weiter kommunizieren können und die dann in ihrem Umfeld jeweils das auch weiter tragen. Und ich denke mal, das ist ein gutes Modell, um jetzt auch sozusagen gerade über die Schulen und so dieses Beispiel weiterzugeben.
Hatting: Warum, Herr Hack, ist es für Sie so wichtig, dass Kunst eine klare Botschaft, eine Message hat?
Hack: Wie soll ich sagen, mich nervt das, dass wir als Künstler immer nur eine bestimmte elitäre Zielgruppe erreichen können, weil, wer kann sich heute Kunst leisten? Selbst die Museen, die eigentlich für die Allgemeinheit gebaut sind, sind abhängig von reichen Sammlern, von Leuten, die viel Geld und Einfluss haben. Und ich frage mich eigentlich, was ist die Kunst geworden? Ist Kunst nur als Ware wichtig, die auf dem Markt gehandelt wird, von ganz wenigen Leuten bestimmt wird, oder ist sie für alle Menschen zugänglich, muss sie zugänglich sein? Und für mich ist Kunst nur dann interessant, wenn sie auch zum besseren Handeln anregt. Also eine Form der sozialen Plastik, die Beuys ja geprägt hat. Aber das muss auch weitergeführt werden, das ist nicht nur ein theoretischer Begriff, sondern der will mit Leben gefüllt werden.
Eine sechsköpfige irakische Familie auf der Flucht vor der Gewalt in Mossul kommt mit einer Tragetasche an einem Checkpoint in Erbil im Nordirak an.
Im Irak sind Hunderttausende Menschen vor der zunehmenden Gewalt auf der Flucht.© dpa picture alliance / Kamal Akrayi
Hatting: Sie benutzen für Ihre Kunst den öffentlichen Raum. Ist das heute schwieriger als noch vor, sagen wir mal, 20, 30 Jahren?
Hack: Ja, auf jeden Fall. Wenn Sie mal schauen, was alles durch Videokameras überwacht ist, wenn Sie versuchen, eine Genehmigung zu bekommen! Ich habe zum Glück eine bekommen, aber das wird immer schwieriger, weil halt im Vorfeld schon alles reglementiert wird. Sie können gar keine spontanen Aktionen mehr machen und oft ist es ja auch Sinn der Kunst, spontan einzugreifen, bestimmte Dinge auf den Kopf zu stellen. Und wenn man das vorher schon alles sich in langen Prozessen genehmigen lassen muss, dann bleibt von dieser Spontaneität, von dieser Chance nichts mehr übrig.
Also, wenn alles heutzutage nur noch privatisiert ist - der ganze öffentliche Raum gehört im Prinzip großen Ketten von Ladenzeilen, von großen Agenturen und so weiter, selbst die Reklamewände sind alle schon verkauft und verteilt, Sie finden als Künstler kaum noch ein paar Quadratzentimeter, auf denen Sie irgendetwas öffentlich zeigen können. Und wie gesagt, wenn, dann nur durch vorherige langfristige Genehmigungsverfahren.
"Ich glaube schon, dass etwas in Gang gesetzt wurde"
Hatting: Haben sie eigentlich im Laufe der Jahre auch mal die Erfahrung gemacht, dass eine Ihrer Aktionen konkrete Folgen hatte, oder wird das einfach immer nur als Show gesehen und wenn es vorbei ist, wird es vergessen?
Hack: Nein, im Gegenteil, ich würde schon sagen, dass die Dauerhaftigkeit, die Nachhaltigkeit meiner Thematik, mit der ich ja da auch immer unterwegs bin, dazu führt, dass mich Leute später ansprechen oder sagen, ja, das hat mich damals irgendwie schon angesprochen, ich wusste aber noch nicht so richtig, was damit passiert oder ich war da skeptisch, aber ein paar Jahre später habe ich doch gesehen, das hat ja was mit mir zu tun.
Beispiel Lampedusa, ich habe vor fünf, sechs Jahren die ersten Arbeiten gemacht zu diesem Thema, da war die Insel noch im Allgemeinen gar nicht gut bekannt. Da wurde vielleicht mal auf der dritten Seite irgendwo eine Meldung versteckt, dass da ein paar Flüchtlinge tot angestrandet wurden. Heute ist das ein Begriff, der in aller Munde ist, leider hat sich das Thema ja verstärkt. Gut, dass es in aller Munde ist, aber leider, weil es eben immer, immer schlimmer geworden ist und man wenig unternommen hat. Und so treffe ich viele Menschen, die mir sagen, ja, Sie haben das damals schon thematisiert und jetzt verstehe ich eigentlich diesen Zusammenhang. Ich glaube schon, dass dort etwas in Gang gesetzt wurde. Und ich bilde mir natürlich nicht ein, dass ich jetzt als Einzelner hier sofort alles ändern kann, aber wenn es darum geht, bestimmte Denkprozesse anzustoßen und Dinge zu vermitteln, einfach weiterzugeben, dass die Leute anfangen, selbst zu denken, dann, finde ich, ist schon einiges passiert.
Hatting: Worin besteht für Sie konkret der Unterschied zwischen Kunst und Politik?
Hack: Kunst ist etwas, das sich an das Unterbewusstsein, das Herz wendet, das ist ein sozialer Schmierstoff, das ist etwas, was, sagen wir mal, noch viel tiefer wirkt. Gute Politik kann das auch. Es fällt mir schwer, da eine Trennung zu ziehen. Politik ist natürlich eine Arbeit, die von vielen gewählten Vertretern durchgeführt wird, das sind Repräsentanten, das sind Abstimmungsprozesse. Als Künstler bin ich natürlich frei, ich kann Dinge machen, ohne andere zu fragen, habe natürlich auch eine andere Verantwortung, weil ich einfach in die Gesellschaft eingreife. Es gibt da, glaube ich, schon einige Unterschiede. Es gibt Dinge, die ich als Künstler machen kann, für die ich wahrscheinlich sonst zumindest schief angesehen, wenn nicht verurteilt würde. Und das ist schon, glaube ich, ein großer Unterschied, dass dort eine andere Freiheit herrscht, in der Kunst.
Hatting: Der Aktionskünstler Hermann Josef Hack, heute am Weltflüchtlingstag zu erleben vor dem Reichstag. Dort will er gemeinsam mit Berliner Schülern aus seinen Bildern Flüchtlingszelte bauen. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Hack!
Hack: Ich danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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