UN-Flüchtlingskonvention

"Wir müssen ein Holsystem entwickeln"

10:20 Minuten
Eine Mutter mit ihrem Kind beim Backen in einem Flüchtlingscamp in Torbali, Izmir, in der Türkei
Syrische Flüchtlinge in einem türkischen Lager: Barbara John fordert, die UN-Flüchltingskonvention an heutige Verhältnisse anzupassen. © picture alliance / AA | Mahmut Serdar AlakuÅ
Barbara John im Gespräch mit Dieter Kassel · 28.07.2021
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Vor 70 Jahren wurde die Genfer Flüchtlingskonvention verabschiedet. Die CDU-Politikerin Barbara John fordert eine Anpassung an die "vollkommen veränderten Zustände". Sie plädiert dafür, Menschen aus Flüchtlingscamps gezielt nach Deutschland zu holen.
"Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge" - so lautet der eigentliche Titel der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK). Am 28. Juli 1951 verabschiedet, war das Abkommen als völkerrechtliches Instrument für die Nachkriegszeit gedacht. Es gibt Verfolgten ein Recht auf Asyl und verbietet es, Menschen dahin zurückzuschicken, wo ihnen Verfolgung droht.
70 Jahre später stellt sich nun die Frage, ob die Regelungen noch zeitgemäß sind. Die CDU-Politikerin Barbara John, u.a. Mitglied der unabhängigen Fachkommission der Bundesregierung zu den Rahmenbedingungen der Integrationsfähigkeit, sieht in dem Jubiläum einen Anlass zum Feiern.
"Das ist damals der Goldstandard gewesen für Menschen, die nach dem Krieg entwurzelt, vertrieben waren und die nicht aufgenommen wurden, weil es dafür keinen Mechanismus gab." Das habe viele Menschenleben gerettet.

70 Jahre Genfer Flüchtlingskonvention
"Es ist ein Ideal, das wir nicht umsetzen können" [AUDIO]
An das in der Genfer Flüchtlingskonvention formulierte Ideal könne es nur eine Annäherung geben, sagt die Journalistin Friederike Sittler. Trotzdem gebe es das humanitäre Gewissen im Hintergrund. Immer wieder einen moralischen Standard zu setzen und gleichzeitig zu gucken, wie er in der Realität funktionieren kann, sei Aufgabe weltweiter Politik, meint Sittler, auch im Hinblick auf das Zusammenleben in Demokratien.

Blick durch Stacheldraht in das Flüchltingscamp Kara Tepe auf der griechischen Insel Lesbos
© picture alliance / NurPhoto / Nicolas Economou

Menschen das Überleben sichern

Wichtig sei jedoch eine Anpassung an die "vollkommen veränderten Zustände" 70 Jahre danach.
"Niemand wird aufgehalten, es gibt keinen Eisernen Vorhang mehr, das Reisen ist viel billiger geworden mit dem Flugzeug und vor allem die Kommunikation, man tauscht sich aus, wo geht es, wo geht es nicht, wo komme ich leicht hin, wo ist ein Schlepper, der mich für diese und diese Summe weiterbringt."
Damals sei es darum gegangen, Menschen aus "einer unglaublichen Notlage nach den zwei Weltkriegen" heraus zu helfen. Heute gelte es, ein neues Ziel zu formulieren. "Und ich glaube, die Antwort kann nur sein, diesen Menschen das Überleben zu sichern", sagt John.
"Und jetzt ist die Frage: Tun wir das mit unserem Flüchtlingssystem, wo wir die Leute sozusagen zwingen, ihr müsst euren Fuß auf europäischen Boden setzen, bevor ihr überhaupt einen Antrag stellen könnt."
Denn das bedeute, dass viele Menschen dabei ihr Leben verlieren.

Gezielte Auswahl in Flüchtlingscamps

Menschen müssten dort, wo sie sind, auch eine Zukunft entwickeln können. "Das gelingt nicht, wenn wir sagen, diese Menschen müssen alle nach Europa kommen, das ist unsinnig", meint John. Asyl müsse auch in den europäischen Vertretungen in den Heimatländern beantragt werden können.
"Wir müssen ein Holsystem entwickeln, also nicht sagen, wer es schafft, wer jung ist, wer genug Geld hat, wer stark genug ist, den nehmen wir auf, die anderen interessieren uns nicht."
Die CDU-Politikerin plädiert dafür, sich am Beispiel Kanada zu orientieren und Menschen gezielt aus Flüchtlingscamps nach Deutschland zu holen. "Die schicken ihre Leute hin und suchen die Menschen aus, die dort nicht mehr weiterleben können." Das sei eine angepasste Flüchtlingspolitik, über die es nachzudenken gelte.
(cwu)
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