Krieg in der Ukraine

Russland zerstört auch die Natur

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Schwarzer Rauch steigt in die Luft: Raketenangriff auf eine Öl-Raffinerie bei Odessa.
Raketenangriff auf eine Raffinerie bei Odessa: Jeder Treffer kann Öl, Dioxine oder andere giftige Stoffe freisetzen. © picture alliance / Photoshot / Avalon / Nina Liashonok
Von Sven Kästner · 24.05.2022
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Der russische Krieg gegen die Ukraine tötet Menschen und zerstört auch die Umwelt. Die Schäden sind vielfältig, von ausgelaufenem Giftmüll über Munitionsreste bis hin zu Landminen.
"Russische Soldaten auf dem Gelände des ehemaligen Atomkraftwerks Tschernobyl. Sie haben es schon am ersten Tag des Krieges am 24. Februar besetzt“, heißt es in den ARD-Tagesthemen. Die Bilder zeigen Erschreckendes: Russische Panzer wühlen Anfang April den Boden rund um das explodierte Kraftwerk auf – und damit Millionen radioaktive Teilchen aus der Reaktorkatastrophe von vor 36 Jahren. Soldaten heben Schützengräben aus, ohne das Risiko zu beachten.
Mit ihrem Vorrücken auf Tschernobyl hat die russische Armee große Umweltsorgen ausgelöst – auch bei Sebastian Pflugbeil. Der Physiker ist der ehemalige Vorsitzende der Gesellschaft für Strahlenschutz. „Man kann vielleicht mal so durchgehen, ohne dass man gleich tot umfällt. Aber wenn man in diesem Gebiet gräbt, dann muss man damit rechnen, dass man auf hoch-radioaktive Partikel stößt“, sagt er.

Schäden in Böden und Grundwasser

Die atomaren Hinterlassenschaften sind die offensichtlichste Umweltgefahr des Krieges in der Ukraine. Aber der russische Angriff gefährde die Natur überall, wo Raketen einschlagen oder gekämpft wird, sagt Michael Brombacher von der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt. „Wir haben Bilder gesehen von zerschossenen Tanklagern, all die Fahrzeuge, die zerschossen werden. Überall werden Öl und andere Flüssigkeiten ins Grundwasser gelangen, die jahrzehntelang zu Schäden in den Böden, im Grundwasser führen.“
Regelmäßig greift die russische Armee Raffinerien, Lagerhallen mit gefährlichen Stoffen, Kohlegruben oder große Industriebetriebe an, wie das Stahlwerk in Mariupol. Jeder Treffer kann Öl, Dioxine, radioaktive oder andere giftige Stoffe freisetzen, sagt Wim Zwijnenburg von der niederländischen Friedensorganisation PAX.  "In der Folge kommt es zu lokalen oder auch größeren Verseuchungen. Wenn die Zivilbevölkerung all diesen Chemikalien ausgesetzt ist, besteht ein akutes Risiko für die Gesundheit der Menschen."

Seuchengefahr und Gesundheitsrisiken

Zwijnenburg hat 2010 im Irak, später in Syrien, im Jemen und seit 2014 im ukrainischen Donbass dokumentiert, wie sich solche Umweltschäden auswirken. Überall haben die Angreifer auch bewusst Anlagen zur Trinkwasserversorgung zerstört. Weil die Bevölkerung dann keinen Zugang mehr zu sauberem Wasser hat und im Krieg oft auch die Müllentsorgung nicht funktioniert, breiten sich schnell Krankheiten aus.
Zu dieser Seuchengefahr kommen die langfristigen Folgen – für das „Ökosystem selbst und auf die biologische Vielfalt aus. Die Menschen beginnen Wälder abzuholzen, weil sie Holz zum Heizen und Kochen brauchen. Das haben wir zum Beispiel in Syrien und im Südsudan gesehen. Bewaffnete Konflikte lösen in der Umwelt eine Art Echo aus, das sich noch lange nach Kriegsende auf das Leben der Menschen auswirkt."

Landminen verhindern Feldarbeit

Auf einem brachliegenden Acker in der Region Kiew spürten ukrainische Soldaten vor einigen Tagen eine weitere gefährliche Hinterlassenschaft auf: Landminen. Die Russen hätten hier Raketenwerfer stationiert und ihre Position mit Minen gesichert, sagt einer der Minensucher dem US-finanzierten Sender Radio Svoboda.
Auch anderswo soll die russische Armee Landminen ausgebracht haben. Eine Gefahr für Leib und Leben der Bauern bei der Feldarbeit – und für die Landwirtschaft generell, warnt Wim Zwijnenburg. "Wir haben auch beobachtet, dass landwirtschaftliche Flächen zerstört werden. Blindgänger auf den Feldern sorgen dafür, dass Bauern ihre Äcker langfristig nicht nutzen können.“ Das bedrohe die Ernährungssicherheit. „Wir haben gesehen, wie Wasserpumpstationen zerstört wurden – auch das hat Auswirkungen auf die Landwirtschaft."

Abholzung droht

Der Krieg belastet auch die Natur. Die Ukraine hat mehr als 50 Nationalparks auf ihrem riesigen Territorium ausgewiesen, gilt in Osteuropa als vorbildlich in Sachen Naturschutz. Etwa in den Karpaten. Dort wächst der größte Buchenurwald Europas. Er speichert große Mengen Kohlendioxid, wichtig für den internationalen Klimaschutz. Der Waldboden hält Wasser zurück, was in der Region Überschwemmungen mildert.
Die Karpaten sind – wie andere Schutzgebiete der Ukraine – ein Hotspot der Artenvielfalt: Braunbären, Wölfe, Luchse, Gämsen und Rotwild leben dort. 76 der Tierarten in den Karpaten stehen auf der Roten Liste. Die Zoologische Gesellschaft erforscht die verschiedenen Populationen seit Jahren.
Jetzt fürchtet Europaratschef Michael Brombacher, dass den wertvollen ukrainischen Wäldern die Abholzung droht: Krieg und Wiederaufbau kosten das Land viel Geld – die alten, kräftigen Bäume könnten dafür gefällt und verkauft werden. Ein Szenario, vor dem Brombacher warnt, nicht nur wegen der Folgen für Klima- und Artenschutz. „Wenn man die Wälder verliert, verliert man auch die Karpaten als einzigartige Naturlandschaft, die einfach auch so wichtig ist für den Tourismus in der Ukraine und auch ein bisschen für den Nationalstolz der Ukraine.“

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