Umweltpolitik

"Gesamte Infrastruktur im Land überprüfen"

Robert Habeck im Gespräch mit Gaby Wuttke · 14.02.2014
Der schleswig-holsteinische Umweltminister Robert Habeck sieht im derzeitigen ungewöhnlichen Wetter ein Anzeichen für den Klimawandel. Über die Jahrzehnte seien die Extreme immer extremer geworden, sagte er.
Gabi Wuttke: Dürre in Kalifornien, Land unter in Großbritannien, Schneechaos in den USA – und bei uns ein Winter, der nicht wirklich Winter genannt werden kann. Zweifelt da noch jemand am Klimawandel? Was muss uns das milde Wetter dringend vor Augen führen? Das wollen wir gerne mit Robert Habeck besprechen, dem grüßen Umwelt- und Landwirtschaftsminister von Schleswig-Holstein, wo der Frühling erwiesenermaßen immer früher beginnt. Einen schönen guten Morgen, Herr Habeck!
Robert Habeck: Guten Morgen, grüße Sie!
Wuttke: Passt dieser Winter in die Klimawandelszenarien Ihres Ministeriums?
Habeck: Es ist immer schwer, von Einzelfällen zu verallgemeinern. Aber wir haben jetzt über Jahrzehnte im Grunde feststellen können, dass die Extreme immer extremer werden. Und das ist sicherlich der erste Befund, der da ist, und im Durchschnitt der Welttemperatur, auch der Nordhemisphäre, wird es eben auch wärmer, dem amerikanischen Winter zum Trotz. Ja, es passt in die Szenarien.
Wuttke: Worauf richtet sich Schleswig-Holstein also ein?
Habeck: Die Hauptsorge oder der Hauptblick geht natürlich aufs Meer. Wir haben schon im letzten Jahrhundert einen 20 Zentimeter höheren Meeresspiegel bekommen. Die Prognosen für dieses Jahrhundert sind schwankend, sie reichen von 40 Zentimeter bis zwei Meter. Da kann natürlich ein Politiker oder ein Ingenieur wenig mit anfangen. Entsprechend haben wir unser Deichbaukonzept völlig geändert und bauen ganz breite Deiche, die dann einen Klimazuschlag bekommen können, also dann Generationen nach unseren Kindern, die die Deiche noch mal erhöhen müssen, dann müssen die nicht wie wir noch mal ganz von vorne anfangen. Aber das heißt, wir geben jedes Jahr 50 bis 70 Millionen für den Deichbau aus. Für ein armes, kleines Land echt eine Stange Geld!
Wuttke: Frost und Kälte sind ja keine nutzlosen Erfindungen. Wie schädlich ist denn so ein milder Winter und womöglich immer mehr heiße Sonnentage? Obwohl, das ist natürlich schön für den Tourismus in Schleswig-Holstein, aber wie schädlich sind so milde Winter für die Landwirtschaft in Schleswig-Holstein?
Mal zu viel Wasser, mal zu wenig
Habeck: Ja, Sie haben es genau richtig angesprochen. Erst einmal scheint man sich als Landwirt, wenn man nur ökonomisch denkt, sich darüber freuen zu können und zu sagen, ach, die Vegetationsperiode beginnt früher und dauert länger. Aber man muss eben auch einrechnen, dass diese Extreme auch innerhalb der Vegetationsperiode zunehmen. Das heißt, es wird möglicherweise feuchter werden, Pilzbefall, Insekten werden kommen, die wir davor nicht kannten. Es wird in der warmen Periode möglicherweise sehr trocken werden, auf den sandreichen Böden, wo wenig Wasser ist, kann dann das schöne Wetter gar nichts nützen.
Dann kann uns der Grundwasserspiegel abhanden oder absinken. Und in den Wäldern, das muss man auch sagen, wird die Trockenheit auch zu Veränderungen und Anfälligkeiten führen. Und dann kommen dazu eben auch noch Stürme oder Starkregenereignisse, wie wir sie eben beim Hochwasser an der Elbe im letzten Jahr gesehen haben oder beim Sturm Xaver und Christian jetzt im letzten Herbst. Also, es ist nicht so, dass man sagen kann, es wird wärmer, ist doch super, jetzt kommt Mallorca zu uns und wir werden das Tourismusland, sondern ich sehe eher Probleme und Herausforderungen.
Wuttke: Die Herausforderungen sind aber offensichtlicherweise nicht nur finanzieller Natur?
Habeck: Nein, die betreffen alle möglichen Lebensbereiche, jedenfalls alle Bereiche, die in dem Land sind. Ich fange mal an mit dem Wattenmeer zum Beispiel. Das ist ja ein Nationalpark. Wie entwickeln wir das Wattenmeer weiter oder wie wird sich das Wattenmeer weiterentwickeln, wenn der Meeresspiegel anderthalb Meter höher sein wird? Die Halligen sind extrem wichtig für uns, dass wir den Küstenschutz aufrechterhalten können, aber wie erhalten wir die Halligen gegen einen höheren Meeresspiegel?
Die Wälder habe ich angesprochen. Wir haben feststellen müssen, dass sich die Windrichtung geändert hat durch die veränderte Wetterrichtung. Das heißt, im Grunde sind alle unsere Hafeneinfahrten auf einmal falsch gebaut, weil die Wellen nicht mehr so laufen, dass die Molen sie genau schützen, sondern sie laufen jetzt teilweise in die Häfen rein oder es fängt an jedenfalls. Im Grunde ist die ganze Infrastruktur im Land – und mit Infrastruktur meine ich nicht nur die menschgemachte Infrastruktur – noch einmal zu überprüfen!
Wuttke: Der Klimaschutzbericht für Schleswig-Holstein, der stammt aus dem Jahr 2009. Sie haben gerade gesagt, wie rasant sich doch Dinge entwickeln. Wie aktuell muss eigentlich ein Klimaschutzbericht sein, wie oft gehört er aktualisiert, um sich dann wiederum auch kurzfristig mit Strategien auseinanderzusetzen? Oder braucht es dafür einfach den langen Bogen, ist es anders nicht zu machen?
Deutschland kann noch auf Klimawandel reagieren
Habeck: Wir müssen vor allem die Folgen immer wieder anpassen. Allerdings versuchen wir tatsächlich in längeren Zyklen und nicht in hektischen Jahresrhythmen zu denken. Wir schreiben alle 14 bis 15 Jahre den Küstenschutzbericht fort, Generalplan Küstenschutz, entlang dem dann verausgabt wird, welche Bauwerke wie ertüchtigt werden müssen. Und das sind eben lange Planungszyklen. Ich sprach schon die hohen Geldsummen an, die da reingehen, also 50 Millionen jährlich mindestens, häufig mehr. Sodass man sich genau überlegen muss, wie man das Geld klug einsetzt.
Aber die Antwort auf Ihre Frage ist: Wir denken tatsächlich, in zehn bis 15 Jahreszyklen nur immer die Anpassungsstrategien fortzusetzen. Wir reden ja hier die ganze Zeit in diesem ganzen Interview über Anpassung an den Klimawandel. Man muss einmal sagen, bei all dem, was wir besprochen haben, so bedrängend es ist: Wir können es uns noch leisten. Es tut zwar weh, ich würde das Geld auch lieber in Schulen stecken, aber es geht noch. Andere Länder werden dieses Glück nicht haben.
Wuttke: Heißt das wiederum, wir müssen uns bundesweit mal wieder Gedanken machen? Und Sie sind ja auch Minister für die Energiewende, alle Aufmerksamkeit und auch viel Geld konzentriert sich jetzt darauf. Das eine und das andere hängt natürlich wiederum zusammen, aber das, was Sie auch gerade geschildert haben, erfordert doch offensichtlich einen aktualisierten strategischen Plan für die ganze Republik!
Habeck: Wenn Sie die Energiewende ansprechen, da bin ich dankbar für! Wir sind eigentlich ja bisher nur dabei, den Atomstrom zu ersetzen. Wir haben ja noch gar nicht richtig angefangen, den Kohlestrom auch aus unserem System zu drängen. Und mit den neuen Plänen der Bundesregierung bekommen wir es nach unseren Berechnungen noch nicht mal hin, den Atomstrom mit erneuerbaren Energien zu ersetzen, sondern wir werden die Jahre 19 bis 22, 23, 24 mehr Kohlestrom brauchen. Das sind ja alles verheerende Signale.
Wenn Sie noch dazunehmen, was die EU jetzt gerade beschlossen hat, wir produzieren so viel Braunkohlestrom wie seit Jahrzehnten nicht mehr in Deutschland. Also, keiner kann sagen, dass wir unsere Hausaufgaben im Bereich von Klimaschutz wirklich machen. Und wenn Deutschland sich da mutiger zu bekennen würde, würde das sicherlich nicht nur den Küstenländern guttun, sondern insgesamt Europa. Und letztlich, wie gesagt, Europa kann es sich leisten (…). Ich sehe da den Westen und den Nordwesten der Nordhemisphäre eindeutig in der Pflicht.
Wuttke: Energiewende und Klimaschutz, der Umweltminister von Schleswig-Holstein Robert Habeck im Deutschlandradio Kultur. Herr Habeck, besten Dank, dass Sie Zeit für uns hatten, schönen Tag!
Habeck: Gerne, wünsche ich Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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