Wissenschaft

Das Klima nachbauen

Das Institut für Klimafolgenforschung (PIK) auf dem Potsdamer Telegrafenberg, aufgenommen am 12.11.2002.
Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung © picture-alliance / dpa / Jens Wolf
Von Anja Krieger · 13.02.2014
Das Klima der Erde verändert sich - und der Grund für die Erwärmung ist der Mensch. Darin ist sich die überwiegende Mehrheit der Klimaforscher einig. Am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung wird untersucht, wie es zur Erwärmung kommt und welche Folgen sie für verschiedene Lebensbereiche hat.
Mithilfe von Daten und Supercomputern errechnen die Wissenschaftler Modelle der sich verändernden Atmosphäre und den möglichen Auswirkungen auf das Leben. Das größte Problem für diese Vorhersagen ist aber, dass man nicht weiß, wie sich der "Faktor Mensch" zukünftig entwickeln wird.
Gramelsberger: "Klima ist ja an sich ein statistisches Phänomen."
Kriegler: "Das ist eben nicht so, dass wir Wahrsager oder irgendwelche Propheten der Zukunft sind, das ist 'ne absurde Vorstellung."
Warszawski: "Klimafolgenforschung bedeutet, zu verstehen, wie die Zukunft aussieht."
Kriegler: "Es wäre auch 'ne absurde Vorstellung von Modellen, dass Modelle letztendlich Projektionsmaschinen sind, die uns sagen, wie die Zukunft sein wird - das sind sie nicht. Sondern Modelle sind letztendlich Diskursinstrumente."
Warszawski: "Leider haben wir nur die Vergangenheit als Vergleichsmittel halt."
Gramelsberger: "Klima ist nicht erfahrbar. Nur Wetter ist erfahrbar. Das heißt, es ist an sich schon mathematisches, statistisches Konstrukt, Klima, und ein Konstrukt des Computers sozusagen."
Hoch über Potsdam
Auf dem Telegrafenberg, 94 Meter über Potsdam. Unter hohen grünen Bäumen liegt der Wissenschaftspark Albert Einstein. Ein kleiner Weg führt hinauf zum Süringhaus, dem alten meteorologischen Observatorium. Wo früher der Wetterbericht erstellt wurde, arbeiten heute die Forscher des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Einer von ihnen ist der Physiker Wolfgang Lucht.
Lucht: "Wir Menschen leben ja zwar sehr lange, aber dann doch in den größeren Zusammenhängen doch wieder nur kurz, und bekommen da ja eigentlich gar nicht so richtig mit, dass die Erde ein sehr kompliziertes, ein sehr komplexes System ist. Das ist uns als Menschen ja auch eigentlich im größten Teil der Zivilisationsgeschichte gar nicht so bekannt gewesen, und erst mit dem Aufkommen der modernen Naturwissenschaften haben wir das immer mehr gemerkt - es gab mal 'ne Eiszeit, es gibt 'ne Evolution, die Arten haben sich verändert, das Klima hat sich verändert."
Wolfgang Lucht ist Leiter des Forschungsbereichs Erdsystemanalyse. Die Wissenschaftler untersuchen, wie die vielen Prozesse, die in der Atmosphäre, den Ozeanen und auf dem Land ablaufen, zusammenwirken und das Gesamtsystem der Erde bestimmen.
Lucht: "Und heute stellen wir uns die Frage, da wir sehr große Einflüsse auf die Erde haben, die Zusammensetzung der Atmosphäre verändern durch unsere Emissionen, die Wälder abholzen, Arten sterben aus - welche Folgen hat das eigentlich in diesem komplizierten Erdsystem, und können wir uns darauf verlassen, dass es nicht zu unerwarteten Reaktionen kommt?"
Um das herauszufinden, experimentieren Wolfgang Lucht und seine Kollegen mit einem Abbild der Erde. Was würde passieren, wenn wir weiter fossile Energien nutzen, wenn die Weltbevölkerung wächst, das polare Eis schmilzt, oder die Ozeane noch saurer werden.
Lucht: "Ganz wichtig sind zunächst einmal die grundlegenden Erkenntnisse der Wissenschaft - zum Beispiel, dass Gase in der Atmosphäre die Temperatur der Erde beeinflussen, das ist schon seit über hundert Jahren bekannt. Solche Erkenntnisse werden dann in Computermodelle verarbeitet, also in mathematische Modelle, die diese Erkenntnisse in einer formalen Weise umsetzen, und die wir heute auf unserem Computer laufen können, um damit Experimente mit der Erde im Computer anzustellen und die Frage zu beantworten, was wäre denn, wenn?"
Kombination aus Sozial- und Naturwissenschaften
Die Wissenschaftler bauen die Erde nach, natürlich nur virtuell im Computer. Um ihre Modelle zu testen und mit Informationen zu füttern, brauchen die Forscher Daten - viele Daten. Nicht nur darüber, wie die Umwelt heute und in der Vergangenheit aussah, sondern auch über die menschliche Gesellschaft – Daten über die Wirtschaft, soziale Entwicklungen, die Zustände in den Städten oder das Wachstum der Bevölkerung. Die große Herausforderung liegt darin, die sozialwissenschaftlichen mit den naturwissenschaftlichen Daten zu verknüpfen.
Lucht: "Denn die Umweltveränderungen, um die es uns geht, haben ihren Ursprung in der Gesellschaft, die ganzen Antriebe sind in der Gesellschaft, das Erdsystem reagiert auf diese Veränderungen und die Rückwirkungen geschehen auch wieder auf die Umweltsysteme."
Draußen, nur wenige Schritte von Wolfgang Luchts Büro entfernt, liegt das Messfeld der alten Säkularstation. Kleine, blaugraue Rohre schauen hinter dem Holzzaun aus dem Sand. Daneben weiße Kästen auf Stelzen und ein schlanker Mast mit kleinem Rotor. Nirgendwo sonst auf der Welt sind in den letzten hundert Jahren so kontinuierliche Zeitreihen über meteorologische Größen wie Temperatur, Niederschlag, Wind oder Sonne erhoben worden. Zusammen mit den Messungen von tausenden anderen Wetterstationen auf der ganzen Welt landen sie in einer riesigen Datenbank.
Lucht: "Dann gibt es natürlich den großen Fundus der Satellitendaten, wo die Erde dann beobachtet wird, ihre Muster, Strömungen, Wolkenmuster, Vegetationsverteilungen, Aktivitäten der Landwirtschaft ..."
Und es gibt Daten, die hunderttausende von Jahren in die Vergangenheit reichen. Im Dezember 2004 holten Wissenschaftler des europäischen EPICA-Projekts einen über 3000 Meter langen Bohrkern aus dem antarktischen Eis. Seine tiefsten Schichten sind über 900 000 Jahre alt. Durch Analyse des Eises und kleiner, darin eingeschlossener Luftbläschen können die Wissenschaftler Rückschlüsse auf das Klima der Vergangenheit ziehen. Solche historischen Daten nutzen die Forscher, um ihre Modelle zu testen: Schafft es der Computer zu errechnen, wie sich das Klima wirklich entwickelte?
Lucht: "Und auf dieser Grundlage trauen wir uns dann, diese selben Modelle, mit denen wir die Vergangenheit versuchen zu erklären und Phänomene der Vergangenheit transparent zu machen, uns zu fragen, was passiert nun, wenn wir weiter in die Zukunft gehen, und wir mal annehmen, dass es bestimmte Entwicklungen, zum Beispiel in den Emissionen bei CO2, um das bekannteste Problem zu nehmen, wenn wir die miteinbeziehen, was dann passieren würde, im Vergleich dazu, was passieren würde, wenn das nicht der Fall wäre."

Auf einem riesigen Globus werden im Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung die gravierenden Klimaveränderungen demonstriert.
Auf einem riesigen Globus werden im Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung die gravierenden Klimaveränderungen demonstriert.© picture alliance / dpa / Ralf Hirschberger
Gramelsberger: "Der Witz ist, dass man sich sehr früh schon angefangen hat, mit dem CO2-Gehalt zu beschäftigen, allerdings in dem Sinne, dass man dachte, das sei gut, dass die Menschheit immer mehr durch die Industrie CO2 in die Luft pustet, weil man hatte eigentlich 'ne Eiszeit erwartet. Und da gibt es einen britischen Ingenieur, ich glaub, es war in den 1930er-Jahren, Guy Callendar, der ausgerechnet hat, wieviel sich die Erde erwärmen würde, wenn man soundsoviel CO2 in die Umwelt pustet. Und das war völlig positiv gesehen, da hat auch keiner kritisiert, dass das nicht zutreffen würde, da waren alle d'accord, das finden sie super. Weil man dachte, es käme 'ne Eiszeit."
Gabriele Gramelsberger von der Freien Universität Berlin. Sie ist Wissenschaftsphilosophin und erforscht, auf welche Weise die Klimaforschung zu ihrem Wissen gelangt.
Gramelsberger: "Eines der ersten Experimente, Computerexperimente, wurde 1950 gemacht, von John von Neumann, der ein Computerpionier war, und Jule Charney, der ein Meteorologe war, in den USA, die haben das sozusagen verwendet, um die Leistungsfähigkeit dieser ganz, ganz neuen Computer zu messen. Wir sprechen hier wirklich über die allerersten Computer, elektrischen Computer, die gebaut worden sind."
24 Stunden für die Berechnung der ersten Wettervorhersage
Der Computer hieß ENIAC, kurz für Electronic Numerical Integrator and Computer: 1942 von der US-Armee entwickelt und zunächst für Berechnungen an einer Wasserstoffbombe eingesetzt, angeblich groß wie eine Dampfmaschine und viele Tonnen schwer, und pro Sekunde konnte ENIAC mehrere tausend Operationen rechnen.
Gramelsberger: "Das war natürlich unterhalb jeglicher Leistungsgrenze eines billigen Taschenrechners von heute. Aber trotzdem konnten sie Luftdruckveränderungen für eine kleine Region in den USA berechnen, über einen gewissen Zeitraum. Also, man konnte schon eine gewisse Vorhersage machen, die war natürlich noch nicht so aussagekräftig wie die heutigen Vorhersagen, weil einfach die Computer noch nicht besonders leistungsfähig waren zu der Zeit."
ENIAC brauchte 24 Stunden, um diese erste computergestützte Wettervorhersage auszurechnen. Schon neunzig Jahre früher hatte der britische Physiker John Tyndall festgestellt, welch wichtige Rolle einige Gase in der Atmosphäre spielen: Wasserdampf und Kohlendioxid lassen kurzwelliges Sonnenlicht einfach in die Atmosphäre hinein, die von Boden und Luft reflektierten Infrarotwellen aber nicht mehr einfach hinaus - der Treibhauseffekt. Dieses Phänomen hatte der Franzose Joseph Fourier schon 1824 entdeckt. Doch der menschliche Einfluss blieb weit bis ins 20. Jahrhundert umstritten. Im Jahr 1951 erklärte die US-amerikanische Meteorologische Gesellschaft in einer Publikation:
Zitat aus Compendium of Meteorology, 1951: "Durch das Verbrennen von Kohle hat sich die Menge an CO2 in den letzten hundert Jahren messbar erhöht. Aber es gab während der letzten 7000 Jahre ohne den Eingriff des Menschen weit größere Fluktuationen in der Temperatur. Es ist kein Anlass zu sehen, warum der jüngste Anstieg mehr sein soll als Zufall. Die Theorie wird nicht weiter berücksichtigt."
Doch schon bald zeigte sich, wie stetig die Menge an Klimagasen in der Luft tatsächlich wuchs. 1958 begann der amerikanische Chemiker Charles Keeling eine Messreihe im Pazifik über den Wolken von Hawaii auf dem Berg Mauna Loa. Mit einem eigens konstruierten Messgerät maß er die Konzentration von CO2 in der Atmosphäre.
Zitat aus "The Keeling Curve Turns 50" / Scripps Oceanography: "Wir stellten fest, dass sie mit den Jahreszeiten stieg und fiel. Die andere bemerkenswerte Sache war, dass sie im zweiten Jahr ein wenig höher war, und im dritten Jahr wurde es ziemlich deutlich: Wir bekamen einen Anstieg von Jahr zu Jahr, von fast einem pro einer Millionen Teile. Wir sahen, dass es sowohl nach oben tendierte, als auch zwischen den Jahreszeiten schwankte."
Als Keeling seine Messungen begann, stellte er einen CO2-Anteil von 314 parts per million fest – auf eine Millionen Teile Luft kamen also 314 Anteile Kohlendioxid. Im Mai 2013 überschritt die Messung das erste Mal die kritische Marke von 400 Anteilen pro Millionen. Auch der globale Anstieg der Temperaturen war bald nicht mehr von der Hand zu weisen. Die erste Dekade des neuen Jahrtausends wurde die wärmste seit Beginn der Aufzeichnungen.
Treffen ISI-MIP-Koordinationsteams / Geraschel: "Womit wollen wir anfangen? Also das größte ist eigentlich das Protokoll. - mmh - ja."
Zurück am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Im Flur sitzen sieben junge Forscher zusammen und besprechen die nächste Phase ihres Projekts. Sie wollen Klimafolgen-Modelle anhand historischer Daten prüfen.
"Aber ist es uns wichtig, dass das Protokoll total vollständig ist? Wenn … - Nee, aber es wäre nur schade, wenn wir jetzt wirklich irgend 'nen Datensatz verpassen würden, der das Ganze konsistent mit dem Fischereisektor machen kann und wir nehmen ihn nicht, weil wir nicht darüber nachgedacht haben, dass der Fischereisektor auch noch … Mmmh, mmmh"
Das Projekt ist ein sektorübergreifendes Vergleichsprojekt, das von Potsdam aus koordiniert wird. Es heißt ISI-MIP, kurz für Intersectoral Impact Model Intercomparison Project. Die gelernte Mathematikerin Katja Frieler leitet das Team.
Frieler: "Also Sektoren ist sowas wie Landwirtschaft, Wasserhaushalt, natürliche Vegetation, Gesundheitssektor haben wir mit Malaria dabei und Küsteninfrastruktur, das sind die Sektoren, die wir uns in dieser ersten Phase von dem Projekt angeguckt haben, und wo wir eben versucht haben, möglichst viele Gruppen zusammenzubringen, die zu diesen Themen modellieren, und die bereit sind, ihre Modelle zu vergleichen, also die gleichen Klimaszenarien durchzurechnen, und dann eben zu gucken, welche Klimafolgen in diesen verschiedenen Bereichen beschreiben denn ihre Modelle und sind sie sich einig oder kommen die zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen."
Bisher decken die Modelle nur Teilsysteme der Wirklichkeit ab. Mit dem Vergleichsprojekt werden sie erstmals zusammengeführt. Die Forscher wollen so besser verstehen, wie verschiedene Folgen, die der Klimawandel auf Bereiche des menschlichen Lebens haben könnte, zusammen wirken.
Eine Besucherin betrachtet sich am Dienstag (04.09.2007) in der "Wetterküche" auf dem Telegrafenberg im Bildungs- und Informationszentrum des Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) in Potsdam eine nachgebaute Bodentemperatur-Station, die Temperaturen im Freien in bis zu 12 m Tiefe misst.
Eine Besucherin betrachtet sich am Dienstag (04.09.2007) in der "Wetterküche" auf dem Telegrafenberg im Bildungs- und Informationszentrum des Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) in Potsdam eine nachgebaute Bodentemperatur-Station, die Temperaturen im Freien in bis zu 12 m Tiefe misst.© picture alliance / dpa / Nestor Bachmann
Forschungsgruppen aus aller Welt
Frieler: "Es wird Veränderungen in der Landwirtschaft geben, und es wird Veränderungen im Wasserhaushalt geben, was bedeutet das denn, wenn man das kombiniert anguckt, also wenn man sich fragt, wie viel Wasser ist für die Bewässerung von Feldern zur Verfügung. Und dann kann man einmal die Ergebnisse aus den Wassermodellen nehmen, die einem das verfügbare Wasser liefern, und man kann die Getreidemodelle nehmen und gucken, wie reagiert denn das Getreide, also um wie viel kann ich die Produktion steigern, wenn ich das verfügbare Wasser einsetze zur Bewässerung."
Die Forscher arbeiten mit über 30 Modellierungsgruppen aus aller Welt zusammen. Zum Potsdamer Koordinationsteam gehört auch die australische Astrophysikerin Lila Warszawski.
Warszawski: "Wir hatten eine relativ enge Verbindung mit 'nem anderen Projekt und sie waren hauptsächlich in New York basiert, in Europa in verschiedenen Ländern haben Forschungsgruppen mitgemacht, sowohl in Niederland, in Deutschland natürlich, in Österreich auch, in Frankreich, in England gibt's ein relativ großes Netzwerk von Menschen an verschiedenen Instituten, die mitgemacht haben, dann in Asien gab's auch Teilnehmer in Japan und in China auch."
Um die Klimafolgen-Modelle zu vergleichen, müssen alle Gruppen mit denselben Daten rechnen. Und die kommen wieder aus Modellen. Katja Frieler:
"Der wichtigste Input für die Modelle ist eigentlich das, was aus den Klimamodellen kommt, also das kommt schon aus 'nem Modell, was die Folgenmodelle dann als Input brauchen, und Klimamodelle gibt's eben auch globale Modelle und da sind solche Modellvergleichsprojekte auch schon sehr etabliert, viel etablierter als in dem Klimafolgenbereich."
Die Forscher bauen Modelle, gespeist von anderen Modellen, die wieder andere Modelle speisen.
Frieler: "Und wir haben auf so einem Modellvergleichsprojekt für die Klimamodelle zurückgegriffen, uns da einfach fünf Modelle rausgegriffen und gesagt, von denen nehmen wir jetzt die Information über die Änderung in Temperatur und Niederschlag und unsere Folgenmodelle sollen genau das nutzen und dann sagen, was bedeutet das in der Konsequenz für Landwirtschaft und Wasserhaushalt und die anderen Sektoren, die wir betrachtet haben."
An modellierte Klimadaten kommen die Forscher relativ leicht. Doch bei anderen Daten wird es schwieriger, erklärt Lila Warszawski:
Warszawski: "Für die letzten hundert Jahre ungefähr kann man ja beobachtete Klimadaten bekommen, aber sie sind nicht unbedingt total zuverlässig, vor allem so in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Und das ist für uns ganz, ganz wichtig, weil in dem nächsten Schritt von diesem Projekt wollen wir die Ergebnisse von den Klimafolgenmodellen mit beobachteten Daten vergleichen. Und das benötigt auf jeden Fall, dass wir zuverlässige Klimadaten für diese Periode haben. Und nicht nur Klimadaten, auch auch Klimafolgendaten, das heißt so Getreidedaten von 1950 oder 1901. Und damals gab's vielleicht in Europa ganz viele Messstationen, aber in Afrika zum Beispiel nicht so viele."
Gramelsberger: "Es ist natürlich immer leichter, Wissenschaftler im Labor, wenn sie irgendwas zusammen mixen, zu beobachten, als wie wenn sie auch wie wir alle vor dem Computer sitzen und dort irgendetwas machen, und man muss rauskriegen, was machen die denn eigentlich an dem Computer."
Die Wissenschaftsphilosophin Gabriele Gramelsberger analysiert die Methoden der Klimaforschung. Am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg konnte sie einen genaueren Blick auf eines der Modelle werfen.
Gramelsberger: "Das hab ich mir auch zeigen lassen, ich habe das auch auf 'nem USB-Stick mit nach Hause nehmen können, und das sind einfach 250, 260 Dateien. Und diese Dateien sind in Fortran geschrieben, eine der ältesten Programmiersprachen, Formular Translator, und die ist deswegen immer noch so beliebt in der Wissenschaft, weil sie eben die Mathematik sehr einfach dann in Code übersetzen kann."
Zuhause machte sich die Philosophin daran, herauszufinden, wie das Modell funktioniert und was in den einzelnen Dateien tatsächlich kodiert ist.
Klimamodell als Organismus
Gramelsberger: "Und nach 'ner Weile stellt man fest, dass diese Klimamodelle, dass das im Grunde ein sich ständig verändernder, wachsender Korpus an Dateien ist, schon fast wie ein Organismus, da findet man wirklich auch sehr alte Stücke Code, die wirklich 20 Jahre alt sind drin, aber auch ganz neues, und dass an dem permanent gearbeitet wird."
Eine künstliche Welt, die Stück für Stück wächst, über Jahre, und die mit dem technischen Fortschritt der Realität immer näher kommt. Je schneller und besser die Computer werden, desto detaillierter können die Klimaforscher die Welt nachbilden.
Gramelsberger: "Ein Klimamodell wird für eine gewisse Auflösung berechnet. Und diese Auflösung war lange Jahre sehr, sehr grob. Wir reden hier von 500 Kilometer am Äquator Auflösungsgröße. Wolken sind aber viel kleiner als 500 Kilometer. Das heißt alles, was unterhalb dieser Auflösungsgrenze ist, die heute bei 80 Kilometer in etwa liegt, fällt durch das Raster, im sprichwörtlichen Sinne."
Als Anfang der 50er-Jahre die erste computergestützte Wettervorhersage erstellt wurde, kamen darin noch keine Wolken, kein Regen und kein Schnee vor. Heute liefern die meteorologischen Modelle ein sehr viel genaueres Bild. Das gilt auch für die Klimaforschung, die nicht das kurzfristige, lokale Wetter betrachtet, sondern die langfristigen Prozesse auf unserem Planeten.
Gramelsberger: "Die Klimaforschung existiert eigentlich vor dem Computer nicht, das war vorher halt Meteorologie und das war vor allem Wetterforschung und Wettervorhersage, und die Wettervorhersage war ohne Computer wirklich rein aus dem Bauch heraus gemacht. Also, der Computer ist überhaupt das Instrument, mit dem man in die Zukunft rechnen kann, und daher Prognosen erstellen kann, über die Zukunft."
Dank Computern, Satelliten, neuen Daten aus der Erdgeschichte und der Arbeit von vielen tausend Forschern weltweit werden die Klimamodelle immer besser. Lässt man die Programme mit Daten aus der Vergangenheit laufen, bilden sie die tatsächlichen Entwicklungen immer genauer nach. Selbst wenn jedes Modell im Detail andere Ergebnisse liefert: Durch Vergleiche lassen sich die großen Trends jenseits der Variation erkennen. Etwa, dass der Anstieg globaler Temperaturen in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts nur noch dann nachvollzogen werden kann, wenn man den Menschen einberechnet. Erdsystemanalytiker Wolfgang Lucht:
Lucht: "Vor zehn Jahren war der große Punkt nachzuweisen, dass der Klimawandel wirklich stattfindet und real ist. Das ist weitgehend abgeschlossen. In den letzten zehn Jahren ging's darum nachzuweisen, dass die Auswirkungen fundamental sein werden, da machen wir noch weitere Fortschritte. Nun geht es darum, die Auswirkungen dieser Klimaveränderungen und Umweltveränderungen, die daraus folgen, auf die menschlichen Gesellschaften zu erforschen, und uns mal die Frage zu stellen, wie sicher eigentlich der Boden ist, auf dem unsere heutigen Verfahrensweisen ruhen. Da herrscht noch mehr Unsicherheit."
Kriegler: "Wir arbeiten natürlich viel am Computer, wir arbeiten im Team, das ist ganz wichtig, weil die Modelle sind sehr komplex, das kann kein Mensch mehr alleine machen."
Der Physiker Elmar Kriegler arbeitet in der ersten Etage des Michelsonhauses am Potsdam-Institut. Die großen Kuppeln und Sterne an dem alten Gebäude erinnern daran, dass hier früher mal Astrophysik betrieben wurde. Heute schauen die Forscher nicht zu den Sternen, sondern auf unseren eigenen Planeten.
Kriegler: "Es hat energietechnische, also Ingenieurselemente, wir müssen uns fragen, was für Technologien gibt es, welche fossilen Energietechnologien werden zur Zeit genutzt. Wie ist deren Kostencharakteristik, warum werden die genutzt, und eben nicht alternative Energien, was sind die Alternativen?"
Elmar Kriegler befasst sich mit der Modellierung von Lösungsstrategien angesichts des Klimawandels. Doch wie sich die Zukunft entwickeln wird, hängt ab von vielen Fragen, die niemand sicher beantworten kann. Es gibt zu viele Faktoren, die Zahl potenzieller zukünftiger Welten ist schier unendlich. Um die vielen Möglichkeiten zu bündeln, arbeitet die Wissenschaft mit Szenarien, die der Weltklimarat vorgibt.
Kriegler: "Die haben sehr einprägsame Namen, das ist A1, A2, B1, B2. Da sieht man schon, die Wissenschaftler wollten denen nicht irgendwelche Namen geben, um da ein Bild entstehen zu lassen. Aber letztendlich, wenn Sie sich das angucken, dann sind das zwei Achsen, die die definieren, die eine Achse ist, wird sich die Welt in Zukunft stärker globalisieren, oder wird sie sich im Gegenteil wieder etwas mehr regionalisieren gegenüber heute - das ist die eine Achse, die gewählt wurde, und die andere Achse, die damals formuliert wurde, war wie stark die Umwelt und das Umweltbewusstsein sich global ausprägt."
Mit diesen vier Szenarien rechnen Forscher weltweit seit über zehn Jahren. Doch in der Zwischenzeit hat sich viel getan. Die Wissenschaftler haben neue Erkenntnisse gewonnen. Und die Technik hat sich verbessert. Der Wissensstand, auf dem die Szenarien entwickelt wurden, ist veraltet.
Kriegler: "Da wird schon viel reingebaut in diese Szenarien, und wenn ich die einmal formuliert hab, und ich benutze die Standardszenarien, dann bin ich auf diese Welten festgelegt. Und man muss sich immer klar sein, dass da eben auch schon viele Annahmen reingehen, und es gibt zum Beispiel 'ne Reihe von Leuten, die diesen sehr doch einfachen Zusammenhang, entweder ich bin ökonomisch orientiert und tu’ der Umwelt nicht gut, oder ich bin umweltorientiert und tu der Wirtschaft nicht gut, die den in Frage stellen und sagen, das ist zu einfach."
Neue Szenarien - neue Ansätze
Der Weltklimarat arbeitet mittlerweile an neuen Szenarien. Wie die genau aussehen, weiß Elmar Kriegler noch nicht - sicher aber ist, dass sie einen ganz neuen Ansatz verfolgen werden.
Kriegler: "Wir wollen ja eigentlich gesellschaftsrelevante Fragen beantworten mit unseren Szenarien, und die beziehen sich immer darauf, was können wir tun im Angesicht des Klimawandels, sowohl im Sinne von Klimaschutz, Emissionsvermeidung, als auch im Sinne von Anpassung, wie können wir uns schützen gegen den dann noch existierenden Klimawandel, denn selbst bei ambitionierten Klimaschutz wird sich das Klima trotzdem noch sehr stark verändern."
Bräuer: "Wir sind jetzt im Herzen des Institutes, dem Rechnerraum, das ist der Keller, in dem sich der Großrechner befindet, das sind diverse Schränke sehen Sie hier, schwarz verkleidet, jeder Schrank für sich macht einen Höllenlärm, deshalb rede ich hier auch so ein bisschen lauter ..."
Was so rauscht, erklärt Ingo Bräuer, sind über zweitausend Rechenkerne, verkabelt zu einem Supercomputer. Unter der Last der Klimamodelle läuft der Rechner auf Hochtouren. Über eintausend Megawattstunden Strom verbraucht er im Jahr und produziert dabei soviel heiße Luft, dass er das Gebäude darüber mit heizt. Im Jahr 2009, als der Großrechner installiert wurde, gehörte er zu den 250 schnellsten Computern weltweit. Mittlerweile reicht er den Wissenschaftlern nicht mehr aus.
Bräuer: "Mit dem neuen Rechner wird es hoffentlich dann natürlich deutlich schneller werden. Zum einen gibt es natürlich den Wunsch nach einer höheren Auflösung, das man auf kleineren Ebenen rechnet, beziehungsweise, dass wir auch unterschiedliche Modelle, die wir haben, miteinander koppeln, und diese Koppelung erfordert dann natürlich zusätzlich extra wieder Rechen- und Ressourcenleistung."
Ein Stück weiter den Telegrafenberg hinunter wird schon gebaggert - an einem weiteren Gebäude für das Potsdam-Institut. Hier wird auch der neue Großrechner stehen - eine Rechenmaschine, die so heiß laufen wird, dass sie nicht nur den gesamten Neubau mit Wärme versorgen kann - sondern noch mehrere weitere Häuser. Mit dem leistungsstarken neuen Computer wollen die Forscher ihre Modelle weiter ausbauen.
Der Wissenschaftler Werner von Bloh vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) steht an einem Hochleistungsrechner, mit dem Klimamodelle berechnet werden.
Der Wissenschaftler Werner von Bloh vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) steht an einem Hochleistungsrechner, mit dem Klimamodelle berechnet werden.© picture alliance / dpa / Patrick Pleul
Kriegler: "Das brauchen wir schon, weil man sehr schnell an die Grenzen stößt. Ich mein', es ist immer so gefährliches Spiel, je mehr Rechenpower man hat, um so komplexer können dann die Modelle werden, und schnell baut man das ein, und manchmal ist es sinnvoll sich auch zu überlegen, brauch ich das wirklich oder nicht, aber mehr Rechenpower ist auf jeden Fall sehr, sehr wertvoll. Man muss ja nicht immer nur das Modell komplexer machen, man kann dann eben auch mehr Läufe machen, in der gleichen Zeit und mehr Szenarien explorieren, und das ist ganz wichtig, eben nicht nur einen Fall zu rechnen, sondern sich viele Fälle anzugucken, um ein Gefühl dafür zu kriegen, wie die Unsicherheiten sind und wie dann der Möglichkeitsraum aussieht."
Angereichert mit den Daten von Satelliten, Bohrkernen, Messstationen und Statistiken werden die Modelle immer präziser. Es ist faszinierend: Der Fortschritt, der die globale Erwärmung erst auslöst, hilft uns auch zu erkennen, was passiert. Dabei wäre eine Welt, in der wir das Klima verändern, ohne dass wir die Werkzeuge entwickelt haben, um das zu verstehen, durchaus denkbar.
Gramelsberger: "Klimavorhersagen sind natürlich nie sicher. Deswegen sprechen die Klimaforscher auch nicht mehr von Vorhersagen, sondern von Projektionen in die Zukunft. Diese Projektionen sind aus verschiedenen Gründen unsicher. Der eine Grund ist, dass man natürlich nicht alles, was man weiß, über das Klimasystem in den Modellen drin programmieren kann, weil das einfach dann zu komplex würde, man kennt aber auch viele Prozesse nicht. Das größte Problem für die Vorhersagen ist aber, dass man natürlich sozioökonomische Daten braucht, und man weiß einfach nicht, wie die Welt sich entwickeln wird, wie die Menschheit sich entwickeln wird, ob das 8 Milliarden bleiben oder ob das 9 Milliarden werden oder ob das 12 Milliarden werden ..."
Blick in die Zukunft
Das Spannendste an der Klimaforschung ist die oszillierende Position, die die Computermodelle selbst einnehmen: Können sie uns sagen, was die Zukunft bringt - oder nicht? Für die Forscher ist klar: Was sie im Computer erschaffen, sind mathematische Nachbildungen der Realität, reduzierte Bilder, die sie auf Zeitachsen in Bewegung setzen und mit Daten füttern, die nicht immer vollständig sind. Keine Vorhersagen, sondern Diskursinstrumente. Und doch prägen die Modelle das, was wir über den Klimawandel und unsere Zukunft sagen können. Es sind Computerexperimente, die Politik machen.
Lucht: "Zu folgern, dass wir deswegen eigentlich gar nichts wissen und dass alles noch nur Hypothesen sind, würde einfach zu weit gehen. In der Wirtschaft, in der Politik ist es eigentlich Aufgabe, alle Kenntnisse, die wir haben, zusammenzusehen und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen, und nicht immer zu warten, bis alles geklärt ist, denn die Zeit haben wir einfach nich'."
Mehr zum Thema