Umweltexperte kritisiert Runden Tisch zu Plastikmüll

"Mit einer echten Lösung hat das ganz wenig zu tun"

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Gelbe Säcke mit Plastikmüll warten auf die Abholung durch das Entsorgungsunternehmen. Konstanz, Baden-Württemberg.
Es werde zu viel über Plastiktüten gesprochen werde, und zu wenig über dringlichere Probleme, meint Michael Braungart. © picture alliance / Erich Häfele
Michael Braungart im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 27.02.2019
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Bundesumweltministerin Svenja Schulze will heute bei einem Runden Tisch mit Vertretern von Handelsketten und Lebensmittelkonzernen über Plastikmüll sprechen. Dieser setzt die falschen Akzente, kritisiert der Verfahrenstechniker Michael Braungart.
Als "Beschäftigungstherapie" hat der Chemiker und Verfahrenstechniker Michael Braungart den Runden Tisch zum Plastikmüll bezeichnet, zu dem Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) heute Vertreter der wichtigsten Handelsketten und Lebensmittelkonzerne eingeladen hat. Die Politik habe bei dem Thema lange versagt.
"Ich würde an so einem Plastik-Runden-Tisch nie teilnehmen, bevor nicht zum Beispiel das PVC verboten ist", sagte Braungart. Es werde völlig unnötig chlorhaltiges PVC verwendet, obwohl das bei der Verbrennung giftig sei. Er kritisierte auch, dass zu viel über Plastiktüten gesprochen werde, nicht aber über Zigarettenfilter oder Berge von Windelmüll.
(gem)

Das Interview im Wortlaut:

Liane von Billerbeck: Immer wenn die Konflikte verfahren sind, kommt man auf die Idee, einen Runden Tisch einzuberufen. Genau so einer wird heute bei Bundesumweltministerin Svenja Schulze besetzt mit Vertretern der wichtigsten Handelsketten und Lebensmittelkonzerne, und es geht um die Vermeidung von Plastikmüll und einen Fünf-Punkte-Plan, den die Ministerin dazu hat.
Was er von dem Ganzen hält, das will ich jetzt wissen von einem der renommiertesten Forscher auf diesem Gebiet, Professor Michael Braungart, Chemiker und Verfahrenstechniker, Ökodesign-Experte, lehrt an den Unis in Lüneburg und Rotterdam und hat seit den 90er-Jahren ein Konzept für nachhaltiges Produktdesign entwickelt, und das "Time Magazine", das hat ihn dafür auch mit dem "Hero of the Planet"-Award ausgezeichnet. Herr Braungart, schönen guten Morgen!
Michael Braungart: Guten Morgen, Frau von Billerbeck!
Billerbeck: Der Plan, mit dem Umweltministerin Schulze heute bei den Chefs der großen Ketten und Konzerne werben will, überflüssige Produkte und Verpackungen vermeiden, beziehungsweise Verpackungen umweltfreundlicher gestalten, das klingt doch erst mal alles gut, oder?
Braungart: Ja, das ist eine gute Absicht. Ich würde in Zeugnisse für Beschäftigte immer reinschreiben, "hat sich bemüht" auf jeden Fall, aber mit einer echten Lösung hat das ganz, ganz wenig zu tun. Es ist eher eine Beschäftigungstherapie.
Billerbeck: Aber zumindest findet man doch jetzt schon beim Einkaufen vielerorts keine Plastiktüten mehr. Also gerade hat es wieder ein Real, glaube ich, angekündigt, die zu verbannen, und die EU hat eine Plastikstrategie aufgelegt für weniger Plastikmüll, mehr Recycling. Sind wir nicht wenigstens auf dem richtigen Weg?
Braungart: Ja, wissen Sie, ich bin heute in Stuttgart, ich muss heute Abend in Hamburg sein, und wenn ich jetzt mal loslaufe, sagen Sie: "Du Idiot, du kommst hier nie an!" Und genau so ist das auch: Man muss schon die richtigen Mittel einsetzen, damit man tatsächlich in der Zeit auch ankommt, sonst ist der Schritt in die richtige Richtung eigentlich nur ein Alibi. Es hält mich dann davon ab, rechtzeitig beim Bahnhof zu sein, weil ich in die richtige Richtung gelaufen bin, und dort ist gerade nicht der Bahnhof.

Zigarettenkippen verbieten

Billerbeck: Was ist denn nun die richtige Richtung?
Braungart: Die richtige Richtung allein hilft mir nicht. Das ist ja "hat sich bemüht". Erst mal eine Bestandsaufnahme: Ich habe gerade am Strand an der Elbe zum Beispiel eine Bestandsaufnahme mit Studenten gemacht. Da sind auf hundert Meter Küste, Strand sozusagen, Elbstrand, über 11.000 Zigarettenkippen.
Wenn man wirklich was wollte, dann könnte man von heute auf morgen die Zigarettenkippen verbieten. Und zwar man könnte entweder von vornherein sagen, na dann müsst ihr halt ohne Filter rauchen, wenn ihr euch sowieso umbringen wollt, oder man könnte sagen, es dürfen nur Kippen verwendet werden, die biologisch abbaubar sind.
Auf dem Boden liegen unzählige Zigarettenkippen.
Zigaretten sind ein viel erheblicheres Problem als Plastikmüll, findet Michael Braungart. © dpa/picture-alliance/Bernd Wüstneck
Oder ein Baby braucht etwa 5.000 Windeln. 20 Prozent des Restmülls in Hamburg sind, wir haben das untersucht, Babywindeln und Erwachsenenwindeln. Da könnte man längst etwas machen. Man könnte ein Pfand darauf erheben auf jede Windel. Das taucht überhaupt nicht auf.
Man unterhält sich über Plastiksackerl. So wie in Österreich, da hat es auch schon so einen Gipfel neulich mal gegeben mit dem Bundeskanzler, ein Verbot von Plastiksackerln. Immerhin werden Plastiksackerl in Österreich jetzt 2020 verboten. Das ist purer Populismus, was natürlich daran liegt, dass Populisten einfach in der Regierung selber sind. Mit der Sache hat das wenig zu tun.
Es wäre viel wichtiger, sich überhaupt die Plastikverwendungen insgesamt anzuschauen. Allein in der Elbe, es sind über die Hälfte des Mikroplastik Reifenabrieb, und die 470 Chemikalien, die verwendet werden, um Autoreifen herzustellen, die sind nicht geeignet, dass sie in die Umwelt kommen.
Also es gibt Handlungsbedarf ohne Ende, und dann hält man die Leute beschäftigt. Das ist so, wie wenn man auf der Titanic sitzt und sagt, oh ja, wir löffeln schon mit dem Teelöffel das Wasser raus aus der Titanic, oh nein, jetzt steigen wir sogar auf den Esslöffel um. Nein, es ist mal Zeit, das Leck endlich abzudichten und zu handeln.

Trump "der ehrlichere Lügner"

Billerbeck: Warum aber, wenn das alles so klar ist, was Sie da schildern, wenn Plastiktüten beispielsweise gar nicht das größte Problem sind, sondern zum Beispiel Babywindeln recyceln oder Pfand drauflegen oder die Autoreifen, Kleidung et cetera, wenn das alles bekannt ist, warum tut da die Politik nichts?
Braungart: Sie hat zu lange versagt. Wissen Sie, man hat gemeint, das Umweltthema sei so ein Luxusthema, was man sich jetzt fast 30 Jahre nicht leisten konnte wegen der Wiedervereinigung. Mit dem Grünen Punkt hat das angefangen. Da ist Donald Trump der ehrlichere Lügner. Wir haben den Leuten vorgespiegelt als Politik, als Öffentlichkeit, dass das für die Umwelt irgendwas sei. Es ist aber gar nichts passiert.
Ich würde an so einem Plastik-Runden-Tisch nie teilnehmen, bevor nicht zum Beispiel das PVC verboten ist. Es werden 2,8 Prozent in den Verpackungen an PVC verwendet, und das ist völlig unnötig. Das ist chlorhaltig. Wenn das verbrennt, ist es immer giftig. Das Recycling ist immer minderwertig, weil es eine gleiche Dichte hat wie PET, und man könnte dort handeln, wenn man wollte.
Es werden insgesamt etwa 2.000 verschiedene Pigmente verwendet, also Farben, von denen etwa ein Drittel hochgiftig ist für die Umwelt. Die könnte man lange verbieten, wenn man wirklich was tun wollte. Aber man ist zu einem Teil gefangen.
Drei Wertstofftonnen für Kunststoffe, Metall und Verbundmaterialien stehen nebeneinander.
Auch das Recycling ist umstritten.© picture-alliance / dpa / Jens Kalaene
Ich muss auch selber sagen, ich hätte viel früher eigentlich doch auch protestieren müssen. Ich habe das irgendwie so hingenommen, habe gesagt, ich bin ja in Rotterdam, und habe eigentlich zugeschaut, wie man hier die Leute einfach systematisch an der Nase herumgeführt hat. Man hat wirklich Abfälle einfach als Wirtschaftsgüter deklariert, Verpackungen, und weil sie Wirtschaftsgüter sind und exportiert wurden, galt das als Recycling. Die tatsächliche Recyclingrate für Plastikabfall war nie höher als fünf Prozent. Man kommt dann von Quoten auf 60, 70 Prozent.
Das ist immer nur ein jämmerliches Downcycling zu Parkbänken und Lärmschutzwänden. Es war wirklich legal bis vor drei Jahren, in alte Bergwerke Plastikabfälle zu füllen und das als stoffliche Verwertung auszugeben. Das erinnert so an die katholische Kirche, die einfach zu lange mit diesen Verbrechen von Kindsmissbrauch zu tun hatte, dass sie da einfach nicht selber rauskommt.
Darum muss die Öffentlichkeit jetzt handeln. Jeder, der in den Laden kommt, soll sein Plastikzeug dort umpacken in Dosen und nicht erst mit Dosen dort hinkommen, sondern das dort auspacken und den Leuten es lassen. Der Handel könnte wirklich handeln. Er heißt doch Handel, und der hätte jetzt wirklich genügend Handlungsmöglichkeiten.

Von Pakistan lernen

Billerbeck: Das heißt, es müsste eigentlich auch ein völlig neues Plastik geben. Wir müssen also über biologisch abbaubare Kunststoffe reden und nicht darüber, das zu recyceln, was sich sowieso nur schwer recyceln lässt?
Braungart: Ja, man müsste hingehen wie Pakistan. Ich meine, lernen wir doch von Pakistan mal. Nicht nur, dass dort Terroristen ausgebildet werden, sondern lernen wir mal Positives. Dort ist es verboten, in Zukunft Plastiktüten zu verwenden, wenn sie nicht biologisch abbaubar sind. Dann haben meine jungen Studenten eine positive Aufgabe.
Alles Einwegplastik sollte nicht unbedingt verboten werden, weil ich habe damit durchaus hygienische Probleme, wenn Leute dann Strohhalme recyceln und sonst irgendwelche Dinge daraus machen, oder wenn sie dann Plastik auf Papier draufschmieren und das dann als Papier ausgeben. Alles, was in die Umwelt gelangt durch Abrieb, Schuhsohlen, Bremsbelege, Reifenabrieb, das muss so gemacht werden, dass es in die biologischen Systeme zurückgehen kann. All das, was nur genutzt wird, geht in technische Kreisläufe.
Das heißt, man könnte zum Beispiel alle Verpackungen aus einem einzigen Kunststoff machen und diese könnte man mit einem Pfand belegen. Wie bei den Pflastern hat man es doch gelernt. Da könnte man tatsächlich Plastik aus der Umwelt raushalten, wenn man es wollte.
Nach Unwettern angeschwemmter Unrat hat den El Masnou Strand in Barcelona verdreckt,
An vielen Stränden sammelt sich der Müll aus dem Meer © dpa
"Billerbeck: Fünf, setzen!" lautet also die Bewertung des Experten für das Tun der Bundesregierung zur Plastikvermeidung, für das bisherige Tun, das des Chemikers, Verfahrenstechnikers und Ökodesign-Experten Professor Michael Braungart. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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