Wasseraufbereitung

Umweltbelastung durch Medikamente nimmt zu

06:28 Minuten
Tabletten
2021 führten Forscher den Tod eines ersten europäischen Geiers in Spanien direkt auf das Medikament Diclofenac zurück. © imago/PantherMedia/Artinun Prekmoung
Von Marius Penzel · 14.07.2022
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Je mehr Arzneimittel verbraucht werden, desto mehr Wirkstoffe gelangen in den Wasserkreislauf. So ist zum Beispiel seit vielen Jahren bekannt, dass Diclofenac für Geier und Fische tödlich ist. Nun sind seine Schäden auch in Europa nachweisbar.
Der natürliche Wasserkreislauf. Hier landen Wirkstoffe, nachdem wir Medikamente geschluckt, Salben aufgetragen oder Arzneimittellösungen getrunken haben. Damit sie in der Natur keinen Schaden anrichten, suchen viele Klärwerke nach Verfahren, um die Stoffe aufzuhalten. Wie hier, nahe des Tegeler Sees. Die Wasseraufbereitungsanlage Berlin-Tegel sieht von Weitem aus wie ein großes Schiff. Unter Schiffsbrücke und Bug treffe ich eine Forscherin von den Berliner Wasserbetrieben.
„Mein ein Name ist Regina Gnirß, ich leite den Bereich Forschung und Entwicklung.“
Seit den 90er-Jahren überprüft sie das Berliner Wasser auf sogenannte „Spurenstoffe“, zu denen auch Medikamente zählen. Jetzt testen sie und ihr Team, ob ihre Reinigungsmethode effektiv genug ist, um in Serie zu gehen.
„Wir wollten natürlich ein Verfahren, das heute die Spurenstoffe rausholt, aber auch in 30 Jahren. Und das haben wir mit den zwei Möglichkeiten, indem wir entweder Kohle reinwerfen. Das kann man sich so vorstellen, dass man Stoffe, die dann gelöst sind, an diesen Partikeln adsorbiert. Oder eben man oxidiert diese Verbindungen.“

Je höher der Verbrauch, desto höher die Belastung

Regina Gnirß und ihr Team arbeiten eng zusammen mit anderen Akteuren der Spurenstoffstrategie des Bundes.
Wir haben uns die Zahlen aus dem Pharmabereich geben lassen. Es ist so, dass wir deutlich mehr Medikamente nehmen.“
Und wenn mehr Medikamente genommen werden, dann landet am Ende auch mehr davon im Abwasser. Derzeit konzentriert sich die Arbeit auf einige Modellsubstanzen, zum Beispiel Diclofenac. Der Wirkstoff gelangt vor allem über Salben wie Voltaren in die Gewässer, wenn sich Anwender nach dem Eincremen duschen oder die Hände waschen. Schon seit den 90er-Jahren ist bekannt, dass Diclofenac die inneren Organe von Geiern und Fischen schädigt,
Vor 30 Jahren starben drei Geierarten in Indien fast aus. Die Vögel hatten verendete Kühe gefressen, die mit dem Wirkstoff behandelt worden waren. 2021 führten Forscher den Tod eines ersten europäischen Geiers in Spanien direkt auf Diclofenac zurück. In Deutschland ist der Wert für Diclofenac laut Umweltbundesamt in 21 von 24 Messstellen zu hoch.
Professor Michael Müller lehrt an der Universität Freiburg Medizinerinnen und Pharmazeuten Chemie. Bei den runden Tischen zur Spurenstoffstrategie nahm er an einem Unterausschuss teil. Er sagt: Wenn Diclofenac Geier bedroht, könnte das noch weitaus Schlimmeres anrichten, vielleicht sogar neue Erkrankungen.
„Geier sind das ideale Mittel, um Aß zu entsorgen. Wenn aber die Geier sterben, wird über das Aß möglicherweise eine Zoonose übertragen. Wir sind also gut beraten daran, Geier zu erhalten, und das Aß zu entsorgen. Weil sonst holen wir uns indirekt andere Probleme. Ich denke, Diclofenac ist ein gutes Beispiel, wie die Umweltbelastung sein kann und für Diclofenac gut untersucht ist, aber auch ein gutes Beispiel dafür, wie über 30 Jahre eigentlich zu wenig getan wurde.“

Hersteller schieben Verantwortung weiter

Andere Länder tun mehr. In Schweden wurden Verpackungen mit Hinweisen versehen, die auf die Gefahr für die Umwelt aufmerksam machen. Bei der deutschen Spurenstoffstrategie ist das nicht geplant. Stattdessen veröffentlichten Hersteller eine Studie, die zeigte, dass 66 Prozent weniger Diclofenac ins Abwasser gerät, wenn man nach dem Auftragen der Salbe die Hände mit einem Papiertuch abwischt. Der Hersteller GlaxoSmithkline änderte die Packungsbeilage, Ärztinnen und Apotheker sollen darüber aufklären.
Auf Anfrage von Deutschlandfunk Kultur schreiben die Hersteller:

„Die Ergebnisse der Wisch-Studie belegen, dass das Abwischen der Hände einen erheblichen Beitrag zur Verringerung der im Abwasser gefundenen Diclofenac-Menge leisten kann.“
Das reicht nicht, findet Michael Müller.
„Es muss eine ganz andere Art von Aufklärung betrieben werden, es müssen Alternativen erwogen werden. Es ist grundsätzlich aufzuklären, dass Salben mit Medikamenten nicht vor dem Duschen aufgetragen werden. Die Studie greift definitiv zu kurz. Sie ist im Grunde unnötig, weil das, was damit verhindert wird, ist eine frühzeitige Regulierung.“

Es geht zu langsam voran

Auch für Regina Gnirß von den Berliner Wasserbetrieben geht es bei der Spurenstoffstrategie zu langsam voran. Unten im Maschinenraum der Kläranlage erklärt sie, wie untersucht wird, welche Methode Spurenstoffe am besten entfernen kann. Wir stehen vor hohen durchsichtigen Säulen, die mit einer schwarzen Masse gefüllt sind.
„Und hier haben wir jetzt die Versuche gemacht zu den Spurenstoffen. Und dann gehen wir da hin, geben das Wasser oben drauf, und lassen es kontinuierlich durchströmen. Und wenn man genau hinsieht, sieht man, dass diese Säule mehr Inhalt hat, und dann haben wir noch mal mehr Aktivkohle oben draufgesetzt.“
Zweieinhalb Jahre lang wurde so erforscht, auf welche Weise sich Spurenstoffe wie Diclofenac am besten wieder aus dem Abwasser herausholen lassen. Weil der Arzneimittelverbrauch weiter steigt, brauchen die Berliner Wasserbetriebe bald größere Kohle-Silos. Diese sollen im neuen Klärwerk Schönerlinde gebaut werden, das 2030 in Betrieb geht.
„Es erfolgt eine Reinigung des Wassers von bestimmten Stoffen. Das ist positiv anzumerken“, sagt Professor Michael Müller. Aber diese Maßnahmen beheben das Problem auf lange Sicht nicht, meint er.
„Negativ anzumerken ist, dass dies nur lokal geschieht. Die Substanzen finden sich aber global im Wasser. Das bedeutet, wir können jetzt lokal, sei es Berlin, sei es Europa, bestimmte Problemstoffe über die vierte Reinigungsstufe klären, andere Substanzen werden dadurch aber nicht geklärt, und erschwerend kommt hinzu, dass bestimmte Stoffe akkumulieren, sich also anreichern. Wir finden also Arzneistoffe global inzwischen, nicht nur in Gewässern, sondern auch in der Wüste Sinai, in der Antarktis, in den Nationalparks in Afrika.“
Und das auch noch in allen möglichen Mischungen unterschiedlicher Arzneimittel.
„Es ist und bleibt eine ungelöste Frage.“

Bis es eine Lösung dafür gibt, wird wohl noch viel Wasser durch die Aufbereitungsanlage Berlin-Tegel fließen.

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