Umsteuern für den Klimaschutz

Durch ökologischen Wandel wird das Leben nicht teurer

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Eine Frau fährt Fahrrad umgeben von umweltfreundlichen Symbolen wie Windrad, Recycling-Pfeil und Licht einer Energiesparlampe
Die Wirtschaftsexpertin und Buchautorin Maja Göpel zeigt in ihrem neuen Buch, wie sich Ökonomie und Klimaschutz verbinden ließen. © imago/Ikon Images
Maja Göpel im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 02.03.2020
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Gegen die Forderung nach ökologischem Umbau der Wirtschaft wird eingewandt, dass das Leben der Bürger damit teurer würde. Stimmt nicht, sagt Wirtschaftsexpertin Maja Göpel: Wenn zum Beispiel die Miete steige, liege das eher an verfehlter Finanzpolitik.
Stephan Karkowsky: In Zeiten des globalen Klimawandels suchen viele nach Antworten bei Politik und Wissenschaft und finden Widersprüche. Die Politökonomin Maja Göpel versucht den Spagat. Die Expertin für Klimapolitik berät die Bundesregierung als Generalssekretärin des wissenschaftlichen Beirats "Globale Umweltveränderungen". Sie ist Mitinitiatorin der "Scientists for Future", und sie fordert in ihrem neuen Buch, wir müssten "Unsere Welt neu denken", das ist auch der Buchtitel. Wer muss denn da vor allem neu denken: die nicht selten doch beratungsresistente Politik oder wir alle?
Göpel: Schon wir alle, weil Politik ist ja gerade in Demokratien ein eher reaktiver Apparat auf öffentliche Meinungen, Bürgerzuschriften aus meinem Wahlkreis, aber natürlich auch die Demonstrationen, das haben ja die "Fridays for Future" deutlich gezeigt.
Karkowsky: Haben wir nicht bereits begonnen damit, neu zu denken? Also wie Sie gerade sagen, "Fridays for Future" hat ja dann schon zu einem Umdenken geführt?
Göpel: Ja, genau, und leider ein bisschen langsam. Das heißt, wir müssen jetzt an den Strukturen bauen, die uns alle dazu befähigen, dass wir jetzt auch neu handeln können, sehr viel einfacher. Es gibt ja schon Alternativen. Das ist mir auch so wichtig. Es tun jetzt alle so, als wären wir plötzlich aufgewacht und hätten ein Riesenproblem, aber es gibt ja schon auch ganz, ganz viele Alternativen, die bisher in der Nische hängen.
Jetzt ist der Druck auf die Politik nötig, damit wir die Rahmenbedingungen anpassen, damit die von der Nische Normalität werden können. Dafür ist öffentliche Meinung total wichtig, aber auch die Stimme der Wirtschaft, die sagt, natürlich kriegen wir das hin, wenn wir andere Rahmenbedingungen haben, dann auch CO2-freie Mobilität beispielsweise bereitzustellen.

Dienstleistungen aus der Natur

Karkowsky: Wo sehen Sie denn die Hebel, mit der wir eine wünschenswerte Zukunft gestalten könnten?
Göpel: Also wir können einmal Hebel suchen, die versuchen, insgesamt uns deutlich zu machen, was wir eigentlich durch den Erhalt der Natur an Werten haben. Die Bienen sind so ein anderes Beispiel. Die Pollination funktioniert einfach. Jetzt merken wir, oh, jetzt haben wir so stark eingegriffen mit Pestiziden, Monokultur et cetera, dass uns eventuell diese, wir nennen das Ökosystemdienstleistung, also Dienstleistungen, die aus der Natur kommen, zu zerstören in der Lage sind. Dann müssten wir das ja alles selber machen.
Luftaufnahme einer monotonen Feldlandschaft in Nordholland
Intensive Landwirtschaft© picture alliance / Blickwinkel
Das kostet wahnsinnig viel Geld. Das erst mal klarzumachen, mal hören, Wirtschaft und Umwelt, das muss man irgendwie zusammenbringen, das geht gegeneinander – das ist totaler Quatsch! Also es sind 125 Billionen im Jahr, wenn man das versucht, mal zu berechnen, was es uns kosten würde, wenn wir all das selber machten, das Wasser reinigen, das CO2 im Kreis führen, was die Natur uns schenkt. Das erst mal in die Bilanzierung einbauen, würde uns ja komplett anders darstellen, was eigentlich ein gutes Geschäftsmodell ist, gerade auch in der Landwirtschaft.
Karkowsky: Soweit die Theorie. Damit erreicht man natürlich nur wenige Menschen. Die heutigen Umwälzungen durch den Klimawandel werden ja in der Wissenschaft beschrieben als "die große Transformation". Da ist natürlich immer die Gefahr, dass viele Menschen das als Überforderung erleben und sich verweigern. Wie nimmt man die mit?
Göpel: Die Instrumente, die ich eben beschrieben habe, sind ja eher für die Wirtschaft. Also wenn wir so zum Beispiel Landwirtschaft neu mit ihren Anreizen und Rahmenbedingungen, auch europäische Landwirtschaftspolitik et cetera, ausrichten würden, dann könnten ja auch die Landwirte bei uns ganz, ganz anders produzieren und sich ganz anders um die Umwelt und die Böden und sowas kümmern.
Dann würden die Produkte auch anders in die Regale kommen, und für uns Konsumenten wäre das dann gar nicht so wahnsinnig aufregend. Es wären einfach andere Produkte in den Regalen sehr einfach zu finden. Was wir machen können, ist, diese Produkte auch zu kaufen. Also das ist ja unsere Seite als Konsumentin und Konsument. Da haben wir vier F: Fliegen, Fleisch, Finanzen und Fummel, also Fummel jetzt für Textilien, wo ich natürlich einen Einfluss drauf habe, wo lege ich mein Geld hin, ist das eine Bank, die sich für ökologische und soziale Kriterien interessiert und genau solche Projekte finanziert.
Bei Fummel kann ich mal nachfragen, also Fast Fashion ist jetzt genau endlich in die Scheinwerferlichter gekommen dafür, was da auch an sozialen Kosten aufläuft, aber was für eine unglaubliche Umweltverschmutzung mit so einem 1,99-T-Shirt, was wir dann in Massen konsumieren, entsteht.
Bei den anderen Sachen wie nachhaltige Lebensmittel waren wir eh schon dabei. Fleischkonsum ist diskutiert worden und natürlich das Fliegen innerdeutsch. Ja, sich einfach dafür einsetzen, auch politisch, dass wir jetzt tatsächlich die Bahn, Nahverkehr und so weiter, alles ausbauen, inklusive der Ladestation für die Elektroautos.

Wirtschaftspolitik korrigieren

Karkowsky: Und wie löst man die soziale Frage, die Tatsache, dass ja dann viele Dinge vermutlich auch sehr viel teurer werden?
Göpel: Die soziale Frage ist ja eigentlich das, was die Leute sauerfährt. Das ist mir auch ganz, ganz wichtig, dass wir jetzt irgendwie an dem Punkt sind, dass alle Menschen versuchen, auf die ökologischen Intentionen oder Anliegen den Frust der Leute zu schieben. Ich finde das ganz unfair, weil wenn man sich anguckt, wie die soziale Veränderung in unserem Land passiert ist, dann hat das nichts mit ökologischen Instrumenten zu tun, sondern mit einer total fehlgesteuerten Finanzpolitik und mit einem Nichtanschauen, was dadurch passiert.
Die Wirtschaftsexpertin und Buchautorin Maja Göpel
Die Wirtschaftsexpertin und Buchautorin Maja Göpel © picture-alliance/Geisler-Fotopress
Wenn wir das Geld einfach drucken und in den Finanzmarkt stecken und dadurch die Preise für Böden und für Mietraum und für Wohnungen und so weiter in die Decke schießen, dann ist mein Haushaltsbudget total strapaziert, weil ich viel mehr Anteil für Miete ausgeben muss. Natürlich kann ich dann nicht auch noch die Lebensmittel so bezahlen wie vorher.
Da sollten wir doch eher auf der Seite korrigieren, wo die Totmittel zu teuer werden, anstatt dass wir sagen, wir können uns in einem der reichsten Länder nicht leisten, Lebensmittel, also das, was die langfristige Lebendigkeit unserer Lebensgrundlage erhält, zu bezahlen. Das und ein Mindestlohn von mindestens 13 Euro.
Also die soziale Seite ist ja genau das Pendant, was wir sowieso anfassen müssen, damit die Menschen eine Rente haben können und damit wir die Ungleichheit in unserem Land reduzieren. Dann ist das mit der Nachhaltigkeit auch nicht mehr so schlimm.

Versteckte Kosten des Wachstums

Karkowsky: Sie knüpfen im Buch an die Wirtschaftslehre von Ernst Friedrich Schumacher, "Small is Beautiful", auf Deutsch hieß das "Die Rückkehr zum menschlichen Maß". Aber glauben Sie wirklich, dass die Ökonomie ihre jahrhundertealten Wachstumsdogmen zur Diskussion stellt? Ich meine, diese Debatte wird ja schon seit 1972 geführt. Sie sind ja auch Mitglied im "Club of Rome".
Göpel: Wir müssen einfach ganz in Ruhe schauen, was wir überhaupt noch Wachstum nennen. Das war ja der erste Punkt, mit den Kosten, die auflaufen im System, weil wir so wachsen, wie wir wachsen. Also das hat auch Systemic gerade mal durchgerechnet für unsere Nahrungsmittelproduktion: Die versteckten Kosten dessen, was wir durch die Ernährung, wie wir sie jetzt gestalten, eigentlich alles in Kauf nehmen, an den Gesundheitskosten, an der Zerstörung der Ökosysteme, aber auch an wirklich der Torpedierung von Lebensmodellen, die außerhalb der urbanen Zentren passieren könnten.
Wenn man das alles mal volkswirtschaftlich bilanziert, ist das häufig gar nicht so ein goldenes Bild, was wir da immer noch Wachstum nennen, sondern das entsteht als eine Fortschrittsgeschichte, weil wir einen Teil der Kosten ganz systematisch ignorieren. Um diese Korrektur geht es erst mal.
Das hat natürlich mit Macht und mit Interessen zu tun, und es wird schwierig für ein Finanzsystem, wenn wir das korrigieren. Aber ich finde, insgesamt haben wir geschichtlich schon ein paar Mal neue Finanzsysteme gehabt, aber wir haben uns noch nie geleistet, zumindest in den letzten zehntausend Jahren, unser Klima komplett vor die Wand zu fahren oder zu sagen, wir können auch ohne Bestäuber leben.
Da geht es natürlich in einen ganz tiefen Strukturwandel, und das ist nicht einfach. Aber so zu tun, als wäre der Strukturwandel aufzuhalten, wenn wir weiter so machen wie bisher, ist genauso ein Mythos. Wir werden sowieso transformieren, und entweder wir machen es jetzt aktiv und können uns einbringen und damit unsere Zukunft gestalten und sagen, wie soll es wünschenswert werden, oder wir machen es reaktiv, wahrscheinlich sehr destruktiv im Kurzen dann, weil wir zu lange gewartet haben.
Ich finde das sieht man auch im Energiebereich, im Automobilbereich, weil so lange rausgezögert wurde, sich den Veränderungen zu stellen, wird es dann kurzfristig ganz konfliktiv und ganz aufgeregt und ganz irgendwie kontrollverlustig sich anfühlend, und alle fühlen sich transformiert, anstatt in dieser Transformation als Akteure einbezogen zu werden.
Darum geht es uns, wenn wir von Transformation sprechen, nicht: von oben regiert jemand durch, sondern wir machen uns jetzt auf den Weg mit einer Vision für in zehn, fünfzehn Jahren, so wollen wir Landwirtschaft haben, so wollen wir Mobilität haben, so wollen wir eine Kreislaufwirtschaft, und so soll unser Sozialsystem aussehen, und dann fangen wir an, die Schritte in den Weg zu leiten, damit wir da auch hinkommen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Maja Göpel: Unsere Welt neu denken. Eine Einladung
Ullstein Verlag, 208 Seiten, 17,99 Euro.

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