Hohe CO2-Emissionen

Grünes Wachstum oder Verzicht - wie retten wir die Welt?

15:00 Minuten
Panorama eines Bergbaugebiets mit einer Abbau-Brücke, die gerade gesprengt wird. Im Hintergrund des Bild stehen hohe Windkraftanlagen und bilden dadurch zum Vordergrund einen energiepolitischen Kontrast.
Kohleabbau trifft auf Windkraftanlagen: Energiesparen oder Ausbau der Technologie - was führt besser zum Ziel? © imago/Rainer Weisflog
Von Kristin Langen · 01.10.2019
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Die natürlichen Ressourcen müssen geschont werden. Darüber herrscht große Einigkeit, jedoch nicht über den Weg dorthin: Die einen plädieren für ein "grünes Wirtschaftswunder" mit Zukunftstechnologien. Die anderen fordern den Abschied vom Wachstum.
Berlin-Mitte, Pariser Platz. Ein großer Raum mit rotem Teppich, ausladendem Buffet und Blick auf das Brandenburger Tor. Ralf Fücks, lange in politischen Ämtern für die Grünen, heute Geschäftsführer des "Zentrums Liberale Moderne" stellt das Buch "Soziale Marktwirtschaft ökologisch erneuern" vor. Etwa 60 geladene Gäste sind anwesend, unter ihnen die Vorsitzende der CDU.

Entkopplung von Wachstum und Ressourcenverbrauch

Ralf Fücks wirbt beim Publikum für "ein grünes Wirtschaftswunder". Was versteht er darunter?
"Im Kern geht es um die Entkopplung von Wohlstandsproduktion und Naturverbrauch. Das klingt kühn, weil die ganze bisherige Geschichte der Industrialisierung mit diesem enormen Zuwachs an Lebensstandard, nicht nur in Europa, auf einem wachsenden Naturverbrauch aufgebaut hat. Jetzt sind wir in einer Situation, in der die Weltwirtschaft sich absehbar in den nächsten zwanzig Jahren etwa verdoppeln wird, weil die Weltbevölkerung wächst. Das heißt, wir können nicht davon ausgehen, dass das Wirtschaftswachstum verschwinden wird und deshalb ist die entscheidende Herausforderung, der Sprung zu einem Wachstum im Einklang mit der Natur."
Ralf Fücks spricht vom grünen, auch vom intelligenten Wachstum. Die Idee: Die Wirtschaft wächst, gleichzeitig aber sinken der Ressourcenverbrauch und die Emissionen. Er ist überzeugt, dass diese Entkopplung möglich ist.

Ein anderes Wirtschaftsmodell ist nötig

Unweit entfernt in Berlin-Kreuzberg findet ebenfalls eine Buchvorstellung statt. Viele Menschen drängen sich in dem kleinen Raum, Stühle werden dazu gestellt, aus dem Fenster schaut man auf den belebten Platz am Kottbusser Tor. Andrea Vetter, Journalistin und Sprecherin des "Konzeptwerks Neue Ökonomie" stellt das Buch "Degrowth zur Einführung" vor. Degrowth – aus dem Englischen übernommen – heißt zurückgehendes Wachstum. Im Gegenteil zu Ralf Fücks, ist Andrea Vetter überzeugt, dass die Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Naturverbrauch nicht umsetzbar ist:
"Wenn Entkopplung nicht möglich ist, dann folgt daraus, dass die Volkswirtschaften im Globalen Norden nicht weiter wachsen dürfen, weil damit ein erhöhter Ressourcenverbrauch einhergeht. Wenn wir es ernst meinen mit Klimaschutz, brauchen wir ein ganz anderes Wirtschaftsmodell. Die Schlussfolgerung muss sein: Wie können unsere ganzen Institutionen und Infrastrukturen eigentlich wachstumsunabhängig gestaltet werden. Wie kommen wir zu einer Krankenversicherung, wie kommen wir zu einer Rentenversicherung, die nicht auf Wirtschaftswachstum angewiesen ist? Wie können wir unsere Straßen erhalten, wie können wir unsere Schienen ausbauen ohne mit Wirtschaftswachstum zu rechnen. Das sind die interessanten Fragen."

Ein Ziel - zwei Wege

Fücks und Vetter sind sich einig darin, dass CO2-Emissionen drastisch reduziert werden müssen und in Zukunft weniger Ressourcen verbraucht werden sollten. Doch aus dieser Erkenntnis ziehen sie grundlegend unterschiedliche Konsequenzen.
Während Vetter es für blauäugig hält zu glauben, man könne den ökologischen Fußabdruck durch technische Innovation in notwendigem Maße reduzieren, wirft Fücks den Befürwortern des Konsumverzichts Naivität vor. Während Vetter auf einen kulturellen Wandel setzt, setzt Fücks auf technische Lösungen:
"Glaubt irgendjemand, dass man klimaneutral werden kann durch Konsumverzicht? Ich meine, es geht doch um Größenordnung, die sind nur durch Innovation zu erreichen. Durch eine neue Art der Energieproduktion, durch eine fundamentale Veränderung der industriellen Produktionsweise, unserer Landwirtschaft. Und statt das als eine Chance zu sehen für ein neues grünes Wirtschaftswunder, verbreiten wir Pessimismus und flüchten uns in vollständig illusionäre Vorstellungen, es wäre möglich, die Weltwirtschaft anzuhalten oder gar zum Schrumpfen zu bringen."
Andrea Vetter hält es hingegen "für keine verantwortliche Position, auf eine Technik zu hoffen, die irgendwann vom Himmel fällt, sondern eine verantwortliche Position ist es, zu sagen, im Moment haben wir diese Technik nicht und wie können wir mit der Technik, die es jetzt gibt, Ressourcen schonen und das bedeutet: Degrowth."

Die deutschen CO2-Emissionen sinken - ein Erfolg?

Ralf Fücks sieht demgegenüber "schon handfeste Hinweise darauf, dass eine Entkopplung von wirtschaftlicher Wertschöpfung, also Wachstum und CO2-Emissionen möglich ist. Die Bundesrepublik hat seit 1990 ihre CO2-Emissionen um 30% reduziert und gleichzeitig ist das Sozialprodukt um um etwa die Hälfte gewachsen. Wir haben schon eine reale Entkopplung, wenn auch nicht schnell genug."
Allerdings müsse man dabei beachten, so Andrea Vetter, "dass die ganzen dreckigen Industrien in diesem Zeitraum ins Ausland abgewandert sind oder nach dem Zusammenbruch der DDR abgewickelt wurden. Wenn wir uns überlegen, wo heute Stahl hergestellt wird, dann ist das ja nicht mehr im Ruhrpott, sondern in China. Wo werden denn viele Teile für die Autoindustrie hergestellt? Natürlich passiert das zum Teil in deutschen kleineren und mittelständigen Betrieben, aber das passiert wiederum auch ganz viel in China und die Einzelteile werden dann angeliefert und in Deutschland am Ende noch zusammengeschraubt und das ist ein großer Faktor dafür, warum dieser Effekt in Deutschland zu beobachten ist."
Während Ralf Fücks grünes Wachstum fordert, strebt Andrea Vetter eine sozial-ökologische Ökonomie jenseits von Wirtschaftswachstum an. Der Kernstreitpunkt: Inwieweit ist eine Entkopplung von Wachstum und Naturverbrauch überhaupt möglich?

Photovoltaik als Hoffnungsträgerin

Szenenwechsel nach Berlin-Marzahn. Thomas Wetzel, Geschäftsführer des Solarunternehmens "Energiepark Brandenburg", steht auf dem Dach eines großen Mietshauses.
"Hier wird gerade Deutschlands größtes Mieterstromprojekt gebaut", erklärt er. "Hier werden 100 Häuser, Mehrfamilienhäuser mit Photovoltaik versehen. Circa 4300 Mietwohnungen werden dann mit Strom versorgt und im Endausbau sind wir nachher bei circa drei Millionen Kilowattstunden pro Jahr, die hier erzeugt werden."
In dem hohen Stapel an blauschimmernden Photovoltaik-Modulen, die auf ihren Einbau warten, stecken wertvolle Rohstoffe. Allerdings: Die Recycling-Raten für die Module sind sehr hoch. Ist die Anlage installiert, produziert sie keine CO2-Emissionen. Erneuerbare Energien sind damit ein Hoffnungsträger, wenn es um die Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Naturverbrauch geht.

Auch Solar- und Windanlagen fressen Ressourcen

Berlin-Mitte. Im Institut für ökologische Wirtschaftsforschung. Julika Weiß forscht hier zum Energieverbrauch von Haushalten. Auch sie unterstützt einen Ausbau der erneuerbaren Energien. Aber:
"Gesellschaftlich betrachtet, ist eben das Problem, dass wir beim Ausbau erneuerbarer Energien jetzt schon Akzeptanzprobleme haben. Das heißt, die Bereitschaft, Deutschland mit lauter Windenergieanlagen und Photovoltaik-Anlagen zuzupflastern, ist in der Bevölkerung nicht gegeben. Ein anderes Problem mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien ist, dass es eben auch nicht komplett ressourcenneutral ist. Auch für den Bau von Photovoltaik und Windenergieanlagen braucht es natürlich Ressourcen. Von daher ist eben am besten, Energie einzusparen, statt auf ein sehr hohes Wachstum bei den Erneuerbaren zu setzen."

Problemfälle Autosektor und chemische Produktion

Wenige Räume weiter, ebenfalls am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung, forscht der Ökonom Steffen Lange.
"Dass es im Energiebereich möglich ist, den CO2-Ausstoß zu verringern, ist noch kein Beweis dafür, dass es für die gesamte Ökonomie möglich ist. Im Energiebereich ist es relativ einfach, die CO2 Emissionen zu verringern, weil es technisch relativ einfach ist von Kohleverstromung auf erneuerbare Energien umzustellen. Zum Beispiel im Automobilbereich oder auch in der chemischen Produktion, wo sehr viel Öl verwendet wird, ist es bedeutend schwieriger und stößt sehr schnell an technische Grenzen."
Deutschland hat seine CO2-Emissionen reduziert, die Wirtschaft ist gewachsen – für manche ein Hinweis, dass die Entkopplung von wirtschaftlicher Wertschöpfung und CO2-Emission, letztlich von Wachstum und Naturverbrauch möglich ist. Eine Annahme, die die globale Dimension unseres Wohlstandes ausklammert?
"Was man mit sehr großer Klarheit sagen kann - und da ist sich die Wissenschaft einig -, ist, dass eine absolute Entkopplung im CO2-Bereich, die ausreichend wäre, um die Pariser Klimaziele zu erreichen, in der Vergangenheit noch nicht stattgefunden hat."

Anreize, Infrastrukturmaßnahmen, Verzicht

Der CO2-Fußabdruck ist nur eine ökologische Größe, aber schon an diesem Punkt macht Steffen Lange klar: Wir brauchen sowohl technische Innovation als auch ernsthaften Verzicht.
"Wir brauchen Anreizsysteme, wie eine wirklich hohe CO2-Steuer. Wir brauchen Infrastrukturmaßnahmen, wie den Ausbau des öffentlichen Personenverkehrs, der Netzinfrastruktur für erneuerbare Energien. Wir brauchen aber auch gleichzeitig eine Reduktion der Güter, die wir alle konsumieren. Wir brauchen viel weniger Fleischkonsum, wir benötigen weniger Kauf und Verschrottung von elektronischen Geräten. Es geht nur durch eine Kombination von technologischen Lösungen, und gleichzeitig Verhaltensveränderungen und beides muss von politische Rahmenbedingungen angereizt werden."

Die Grenzen des Wachstums

Geht man aber diesen Weg konsequent, wird es keinen Wachstumsschub geben, davon ist der Ökonom überzeugt. Und die Ingenieurin Julika Weiß glaubt nicht, das allein effizientere Technik ausreicht, um den Energieverbrauch zu reduzieren.
"Wenn wir einfach noch viel mehr elektronische Geräte anschaffen, größere Häuser haben, weitere Flugreisen machen, dann kommen wir eben an die Grenzen des Wachstums oder an die Grenzen auch dessen, was wir mit erneuerbaren Energien vermutlich bereitstellen können."
Zurück in Berlin-Marzahn. Thomas Wetzel treibt den Ausbau der erneuerbaren Energien mit viel Leidenschaft voran. Nur was eine Reduktion des Energieverbrauchs angeht, da ist er skeptisch.
"Ich glaube, der Mensch, wenn der den Luxus einmal hatte, ist der schwer davon wegzubringen und wird das nicht missen wollen. Ich denke, der richtige Weg ist, dann eben wirklich zu gucken und zu sagen: 'Ok, ich produziere die Energie halt sauber und speichere sie irgendwann vielleicht auch sauber."

Weiterführende Informationen:

- Studie im Auftrag des Umweltbundesamtes, an der unter anderem Steffen Lange vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung mitgearbeitet hat: "Gesellschaftliches Wohlergehen innerhalb planetarer Grenzen – Der Ansatz einer vorsorgeorientierten Postwachstumsposition" (2018)

- Studie des Europäischen Umweltbüros (European Environmental Bureau) mit einer kritischen Perspektive auf das Thema "Entkopplung": "Decoupling Debunked – Evidence and arguments against green growth" (2019)

- Studie der Universität Leeds mit einer optimistischen Perspektive auf das Thema "Entkopplung": "Decoupling global environmental pressure and economic growth: scenarios for energy use, materials use and carbon emissions" (2016)

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