Ulrike Draesner über

"Eigentlich"

Ulrike Draesner über "Eigentlich"
Ulrike Draesner © unsplash.com/dpa
Das Wort, das mir Sorgen macht, wirkt auf den ersten Blick unscheinbar. Es wird häufig verwendet, ist klein, kommt leicht daher, kein Nomen, nur ein Partikel, eine Nebenbestimmung.
Eigentlich harmlos, nicht wahr? Man flicht es so ein. Wir machen das gern – einflechten, andeuten, ein wenig Atmosphäre durch Partikel beigeben. Andere Sprachen, etwa das Englische, verzichten darauf – und so kommt es, dass man im Englischen niemals gefragt wird, woher man eigentlich stamme.
Doch es wird nicht nur nicht so gefragt.
Es wird auch nicht so gedacht.
Man fragt, woher jemand kommt. Und er sagt "vom Bäcker." Oder gibt den Ort an, in dem er lebt.
"Woher kommen Sie?" fragen auch wir. Fügt man ein "eigentlich" bei, wird dieses eigentlich giftig. "Woher kommst du eigentlich?" Stellt man auch noch ein "denn" hinzu, ist der aggressive Charakter der Frage offensichtlich.
Aber keine Sorge, das "eigentlich" schafft das auch ganz allein. Woher kommst du eigentlich? Wohin gehörst du eigentlich? Eigentlich, nämlich in-deinem-Eigenen. Man wird das in Deutschland gern gefragt, wenn man nicht weißer Hautfarbe ist. Da hört man sie wieder und wieder, die Eigentlichfrage, und, in Deutschland geboren, in Deutschland aufgewachsen, weiß man sofort, dass man eigentlich – trotz Erstsprache Deutsch, Deutscheltern, Deutschverwandten, deutschem Pass, deutscher Ausbildung, deutschem Wahlrecht, deutschem Steuerzahlen – nicht hierhin gehört.
Oh, und wie schön sich das Wort mit einem Lächeln verbinden lässt, mit dieser Scheißfreundlichkeit …, die so wunderbar überleitet in Sätze wie "Sie sprechen aber gut Deutsch. Man hört ja fast keinen Akzent." Meiner Tochter macht das immer wieder Spaß, inzwischen - sie berlinert in solchen Fällen zurück. Aber als sie kleiner war, als Kind: da weinte sie manchmal nach der eigentlich-Frage. Sie verstand sie perfekt.
Das Wörtchen "eigentlich" tut exakt, was es sagt: Es zieht eine Grenze zwischen "eigen" und fremd, zwischen dazugehören und nicht-dazugehören. Es wird im Kontext der Herkunftsfrage zu einem subtil rassistischen Partikel. Nützlich und verräterisch in einer politisch korrekten Welt, in der man nicht rassistisch ist, es, ich unterstelle Gutes, nicht sein will, es vor sich selbst nach bestem Wissen und Gewissen nicht ist. Nur dass dann beim Fragen ein "eigentlich" mit aus dem Mund schlüpft und die Denkungsweise verrät.
Verrät, was nicht gelöst ist. Was nicht in die Köpfe geht. Dass auch nichtweißhäutige Menschen einfach deutsch sind. Einfach dazugehören. Oft. Und immer öfter.
"Kalt-Deutsch. Die Sprache der Gegenwart." Deutschlandfunk Kultur nimmt die Veränderungen in der Sprache unserer Gegenwart unter die Lupe und schreibt das Wörterbuch der Alltagssprache weiter.
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