Ulrich Beck: Antiquiertes Forum für die Klimapolitik

Moderation: Nana Brink · 07.06.2007
Da große Nationen wie China nicht mit am Verhandlungstisch in Heiligendamm säßen, könne der G8-Gipfel nur ein erster Schritt einer globalen Klimapolitik sein, meint Ulrich Beck. Der Autor des Buches "Weltrisikogesellschaft" formuliert die Vision einer Weltkoalition für eine neue Politik, die alle gesellschaftlich relevanten Gruppen, auch die Protestierenden, an einen Tisch holt.
Nana Brink: Der Soziologe Ulrich Beck hat mit dem 1986 erschienenen Buch "Risikogesellschaft" das Lebensgefühl der Generation nach der Tschernobyl-Krise wie kein anderer auf den Begriff gebracht. Und das Motto von ihm damals war, soziale Not ist hierarchisch, Smog ist demokratisch. Unlängst hat er seine These von damals weitergeführt und sein letztes Buch heißt "Weltrisikogesellschaft. Auf der Suche nach der verlorenen Sicherheit". Der Klimawandel führt zu einer weiteren Demokratisierung von Risiken schreibt er, von der selbst die Katastrophe von Tschernobyl zur regionalen Episode verblasst. Wir sind jetzt verbunden mit Professor Ulrich Beck. Schönen guten Morgen!

Ulrich Beck: Guten Morgen, Frau Brink!

Brink: Herr Professor Beck, Sie sprechen von Weltrisiken: globaler Terror, wild gewordene Gentechnologie, Finanzkräche sowie der Klimawandel. Was haben denn diese Dinge gemeinsam, denn Terror, Börsencrash und Gentechnik sind zwar Risiken, aber doch eigentlich mit ganz unterschiedlichen Folgen und Ursachen?

Beck: Ja, man muss auch aufpassen, dass man das nicht alles in einen Topf wirft. Aber es gibt schon Merkmale, die sie gemeinsam haben. Ich möchte auf zwei hinweisen. Erstens handelt es sich nicht im engeren Sinn um Katastrophen. Es handelt sich um die Antizipation von Katastrophen, es handelt sich um das, was wir in der Gegenwart vorwegnehmen, um Katastrophen zu verhindern. Und das Interessante ist, das in dem Maße, in dem das geschieht, in dem das geglaubt wird, in dem über Grenzen hinweg Klimakatastrophe eben als eine wirkliche Gefahr wahrgenommen wird, enorme Mobilisierung erfolgt über Grenzen hinweg. Das können wir letzen Endes jetzt auch am G8-Gipfel erleben, sowohl auf der einen wie auf der anderen Seite des Zauns.

Brink: 1986 stand Ihr Buch "Risikogesellschaft" unter dem Motto: soziale Not ist hierarchisch, die neue Gefahr dagegen demokratisch, sie trifft auch die Reichen und Mächtigen. Wenn wir jetzt den Klimawandel nehmen, der ja zu Hungersnöten führt, dann wird das aber immer doch diejenigen zuerst treffen, die ja ohnehin schon wenig haben. Aids kriegen zwar auch die Reichen, aber viel mehr betroffen sind ja die Menschen in den armen afrikanischen Ländern. Wie kann man denn da wirklich von einer demokratischen Gefahr sprechen?

Beck: Das ist richtig. Das würde ich auch so nicht mehr tun. Das gilt für bestimmte Gefahren in der radikalsten Version, insofern muss man vorsichtig sein. In der Tat ist gerade der Klimawandel ein Beispiel dafür, dass die Reichsten mit ihrem Konsum, mit ihrer Wirtschaftsweise die Ärmsten besonders nachdrücklich gefährden. Aber der interessante Punkt, der immer noch gilt, es gibt einen Bumerangeffekt, es gibt sozusagen auch den Effekt, dass die Reichen selbst auch getroffen sind. Und das Interessante ist auch, es geht um ein äußerst kompliziertes Problem. Es geht beim Klimawandel eben nicht nur um Klimawandel, sondern es geht darum, dass den Armen, eben weil Sie bisher noch gar keine Entwicklungschancen hatten, eine Entwicklungschance eingeräumt wird. Das ist aber nur in dem Maße möglich, in dem wir das Wirtschaftswachstum teilen und damit den Raum auch für die Armen schaffen, sich zu entwickeln. Wir müssen also einen Großteil der Last übernehmen. Davon scheint mir die Politik noch weit entfernt zu sein.

Brink: Kommt es dann Ihrem Begriff von Globalisierung von unten näher, den Sie ja auch ins Feld geführt haben, indem Sie fordern, wir brauchen eine Globalisierung von unten. Ist das in diesem Sinne, wie Sie es gerade geschildert haben?

Beck: Das ist zunächst mal eines der Themen. Aber die Frage ist ja nicht nur, wer davon betroffen ist, sondern wer diese Themen aufwirft, wer eine Perspektive der Politik entwickelt, was für ein Verständnis von Politik dabei zur Sprache kommt. Und das haben wir in der Tat in den zivilgesellschaftlichen Bewegungen, die ja inzwischen auch Akteure der Globalisierung sind. Nehmen Sie die Leute, die protestieren heute. Das sind ja nicht nur lokale Proteste, das sind nicht nur nationale Proteste, das sind internationale Proteste. Die Globalisierungsgegner nutzen ja selbst die Globalisierung, um sich entsprechend auch zu organisieren. Das Internet ist ein wesentliches Medium. Die Globalisierung ist nicht nur eine Bewegung gegen die Globalisierung, sondern wirft eigentlich andere Fragen der Globalisierung auf, sagt, wir müssen die anderen einbeziehen in unser Kalkül, wir brauchen globale Antworten auf die Fragen, die uns bedrängen. Die nationalen Antworten reichen nicht mehr. Das sind die zivilgesellschaftlichen Bewegungen. Und das wird jetzt auch stärker bewusst, wo diese wiederum aktiv werden und eigentlich diese Fragen auch in die Öffentlichkeit hineintragen.

Brink: Aber dann ist doch der Name, den sich diese Demonstranten selbst geben, eigentlich eher ad absurdum geführt, weil das ja in dem Sinne keine Globalisierungsgegner sind.

Beck: Ja, ich glaube schon. Es gibt zwar sehr heterogene Gruppen, aber im Kern geht es um eine andere Globalisierung. Es geht ja um eine bessere Welt, wie das heißt, um eine andere Politik, die möglich ist. Es ist nicht richtig zu sagen, dass man völlig gegen die Globalisierung ist, ich glaube, das wäre ein Missverständnis, sondern es geht darum, welche Globalisierung brauchen wir. Und es geht auch darum zu verstehen, dass die globalen Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, eben nicht mehr hinreichend national beantwortet werden können, sondern dass wir auch ein neues Verständnis von Politik brauchen, ja sogar einen Paradigmenwechsel von Politik, indem Nationalstaaten zwar nach wie vor eine wichtige Rolle spielen, aber eben nicht mehr nur. Sie müssen sich aufeinander beziehen, sie müssen sich koordinieren, sie müssen versuchen, auch Institutionen zu schaffen, die diese Probleme wirklich effektiv angehen können.

Brink: Apropos Demonstranten, Globalisierungsgegner: Was verbindet die denn? Wir sparen jetzt mal die Randalierer aus, die man in dieser Beziehung ja nicht ernst nehmen kann, sondern die Leute, die ein wirkliches Anliegen haben. Wenn wir uns die Proteste von vor 20 Jahren angucken, da gab es eigentlich über die Grenzen auch ideologisch hinweg eine Verbundenheit. Gibt es das heute auch noch? Oder anders gefragt, was verbindet denn die einzelnen Gruppen?

Beck: Ich glaube schon, dass es eine Verbindung gibt. Es ist erstmal das Engagement, wirklich über den eigenen nationalen Zaun hinauszugucken. Das ist ja ein ganz ungewöhnliches Engagement. Das galt lange Zeit und gilt bis heute immer noch als idealistisch. Diese Bewegungen haben ja diese Klimapolitik, die jetzt in aller Munde ist, überhaupt erst zum Gegenstand der Politik gemacht. Sie wurden ja dafür lange Zeit verlacht, teilweise sogar kriminalisiert. Heute sind sie die Sieger eigentlich dieses weltweiten Diskurses. Selbst ein Präsident Bush, der das ja lange Zeit geleugnet hat, sieht sich mehr und mehr unter dem Druck dazu gemüßigt, auch eine Position einzunehmen, die sich zumindest öffnet. Und auch die amerikanische Öffentlichkeit gerät ja unter den Druck dieser sozialen Bewegung. Die sozialen Bewegungen sind eigentlich diejenigen, die siegreich waren. Ich glaube, es ist ein neuer Begriff von Politik, der sich da abzeichnet, den man auch erst mal ausbuchstabieren müsste. Und es ist ein zweites, es handelt sich letztlich auch um einen Generationswechsel. Die Generation global, also eine Generation, die die Fragen nicht mehr nur im nationalen Rahmen lösen kann, sondern die sich selbst als Medium, als Mittel, als Akteur der Globalisierung sieht, bringt ihr eigenes Verständnis von Politik zum Ausdruck. Das ist ein Generationskonflikt, denn in der Tat heißt es ja, die Klimapolitik ist die Grundlage der zukünftigen Generationen, und sie müssen damit in irgendeiner Weise zurecht kommen.

Brink: Aber wie kann man denn über die Form des Protestes hinauskommen? Sie haben selbst erwähnt, man muss auch neue Modelle für Politik finden, also man muss es ja auch durchsetzen. Was könnte denn da passieren?

Beck: Am Anfang steht die Einsicht, dass nationale Regierungen, mögen sie noch so mächtig sein, hilflos sind. Es bedarf einer Kooperation, es bedarf auch neuer Koalitionen erstmal zwischen Staaten. Man muss sozusagen ein Politikverständnis entwickeln, das nicht den nationalen Egoismus ins Zentrum stellt, sondern das umgekehrt sieht, nationale Interessen sind sogleich erst dann zu erfüllen, wenn man eben auch die Interessen der anderen einbezieht, die in der Klimapolitik integriert sind. Es kommt hinzu, dass man ein Bündnis mit den zivilgesellschaftlichen Bewegungen suchen muss, die gerade diese Projekte auch wesentlich vorangetrieben haben und die auch die Handlungsräume der Staaten erweitern. Und es kommt hinzu, dass man natürlich auch das Kapital als eine wesentliche Gestaltungskraft des 21. Jahrhunderts in diese Entwicklung mit einbeziehen muss. Das heißt, man braucht tatsächlich ein solches Politikverständnis, man braucht entsprechende Foren, dazu ist der G8-Gipfel zwar ein allererster winziger Schritt, aber er ist an sich schon wieder antiquiert, weil eben große andere Nationen wie beispielsweise China gar nicht dabei sind, weil die zivilgesellschaftlichen Gruppen nicht dabei sind, weil beispielsweise die Akteure des Kapitals eigentlich keine Stimme in diesem Kontext haben. Also man müsste schon ein anderes Verständnis von Politik entwickeln und damit auch andere Foren und andere Institutionen schaffen, in denen das ausbuchstabiert werden kann.

Brink: Also verstehe ich Sie richtig, dass Sie fordern, auf diesen Regierungsgipfel, den wir gerade haben, G8 in Heiligendamm, müsste zum Beispiel auch die Weltbank sitzen als Kapitalgelber?

Beck: Ich glaube nicht so sehr die Weltbank, das ist nicht der Punkt. Aber es müssten zum Beispiel auch die Stimmen der Gruppen sitzen, die vor den Zäunen, vor dem Stacheldrahtzaun jetzt protestieren, also zivilgesellschaftliche Gruppen müssten dort gehört werden.

Brink: Also Attac am Tisch zusammen mit Bush und Merkel oder Greenpeace.

Beck: Beispielsweise. Aber auch möglicherweise Unternehmensgruppen, die ihre Stimme dabei – das müsste man aushandeln, wer das tatsächlich sein kann – die damit unter Zwang gesetzt werden, auch eine entsprechende Politik in der Wirtschaft umzusetzen und ihr Einverständnis dafür zu geben. Eine solche große Weltkoalition sozusagen für Klimapolitik, das wäre eine der Visionen.

Brink: Das ist vielleicht ein bisschen ein Traum. Wie sollte denn so eine Weltregierung aussehen, wenn man sich vorstellt, dass schon Merkel und Putin sich nicht darüber einigen können, was Demokratie ist?

Beck: Ich würde übrigens nicht von einer Weltregierung sprechen, weil die ja zu stark zentralisierte Macht hätte und damit alle anderen irgendwie doch sehr stark unter Druck setzen könnte. Man kann sich eine Weltregierung kaum als Demokratie vorstellen. Umgekehrt würde ich sagen, wir müssen den Konflikt nicht fürchten. Es müssen nicht alle immer einer Meinung sein. Schon am Abendbrotstisch gelingt uns das ja ganz selten, nur im Idealfall. Missverständnisse, Unverständnisse, Konflikte gehören in einer solchen Welt dazu. Aber wir brauchen Verfahren, die uns in die Lage versetzen, dass alle lernen, gemeinsame Lösungen dienen dem nationalen Interesse. Das ist, glaube ich, das Entscheidende. Man muss den ausgeschlossenen Anderen einbeziehen, um zu überleben. In diesem Sinne ist Klimapolitik Kosmopolitik, das heißt, wir müssen lernen, es ist realistisch, dass wir die Armen mit an den Tisch setzen, weil wir nur so auch Lösungen finden können, die uns selbst weiterhelfen, die unser eigenes Überleben retten.

Brink: Vielen Dank, Ulrich Beck. Und wir sprachen mit ihm über seine These der Globalisierung von unten, und sein Buch "Weltrisikogesellschaft", das im Suhrkamp Verlag erschienen ist.
Ulrich Beck, Soziologe
Ulrich Beck, Soziologe© uni-muenchen.de
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