Globale Gefahren und ihre Abwendung

07.06.2007
Nach seiner "Risikogesellschaft" (1986) widmet sich Ulrich Beck in seinem neuen Buch den globalen Gefährdungen in der "Weltrisikogesellschaft". Damit meint er den internationalen Terrorismus, den globalen Finanzmarkt, den Klimawandel. Beck belässt es nicht bei einer bloßen Bestandsaufnahme, sondern versucht, daraus Schlussfolgerungen für eine andere Politik und andere Formen der Konfliktregelung zu ziehen.
Ulrich Beck darf sich freuen, mit dem Terminus "Risikogesellschaft" ein geflügeltes Wort geprägt zu haben. 1986 erschien sein Buch mit diesem Titel, und das Reaktorunglück in Tschernobyl ließ dessen Thesen mit einem Mal, so Beck, als "platte Beschreibung der Gegenwart" erscheinen: die "Nichtwahrnehmbarkeit der Gefahren, ihre Wissensabhängigkeit, ihre Übernationalität, die 'ökologische Enteignung', der Umschlag von Normalität in Absurdität".

Seitdem spricht jedermann von "Risikogesellschaft", was der Akzeptanz des Terminus innerhalb der Wissenschaft nicht unbedingt zuträglich ist. Nun hat Ulrich Beck nachgelegt: "Weltrisikogesellschaft" heißt sein neues Buch, das aus seiner 1999 auf Englisch erschienenen Studie "World Risk Society" hervorgegangen ist. Den Titel will er als einen "Epochenbegriff" verstanden wissen.

Beck erweitert das Konzept der 21 Jahre alten "Risikogesellschaft" unter dem Eindruck der Anschläge vom 9. September 2001. Global war die Gefährdungslage auch damals schon. Doch nun unterscheidet er das Risiko, die Antizipation der Katastrophe von der Katastrophe, ebenso die unbeabsichtigten Nebenfolgen unseres Handelns (etwa Klimawandel oder atomarer GAU) von intendierten Katastrophen, die der Terrorismus verursacht.

Weil das Risiko die Antizipation einer um jeden Preis zu vermeidenden Wirklichkeit ist, herrscht allerdings Unsicherheit: Vielleicht ist das Risiko nur eingebildet oder übertrieben? Ozonloch, Klimawandel, Vogelgrippe, BSE, Tsunami, Tschernobyl, Zigarettenrauch - an Beispielen für Risiken, auch für sich binnen kurzem massiv verändernde Risikobeurteilungen mangelt es Beck auf den 400 Seiten der "Weltrisikogesellschaft" nicht.

Das Buch schildert wie schon die "Risikogesellschaft" eine "andere Moderne". Die Weltrisikogesellschaft entsteht für Beck nicht durch Niederlagen der Moderne, sondern durch ihre Erfolge. Die Folgen unseres immer weiter ausgreifenden Tuns seien unübersehbar. Viele wie das Ozonloch würden gar erst nach Jahrzehnten sichtbar. Für einzelne Schadstoffe gebe es zwar Grenzwerte, doch über die Kombination von Schadstoffen wüssten wir nichts. Ohnehin würden Grenzwerte am Stand der Technik ausgerichtet, nicht am Menschen. Beck nennt das "Vergiftungsnormalität".

Viele Großtechniken (Kernenergie, Gentechnologie, chemische Produktion) würden nicht mehr durch private Unternehmen, nur noch vom Staat versichert und dennoch weiter betrieben. Die auf Dauer gestellte "materiale Gefährdung und Zerstörung" sorge für "symbolische Normalisierung". Die Folge, so Beck, sei "organisierte Unverantwortlichkeit". Weil die drohenden Gefahren "respektlos" jede Grenze überwänden, versagten zudem die nationalstaatlichen Institutionen der Vor- und Nachsorge. Die Wissenschaft, auf die der Mensch sich verlassen müsse, an der er jedoch zweifele, vergrößere das Maß der Unsicherheit noch durch widersprüchliche Ergebnisse. Die Sehnsucht nach Sicherheit wachse.

Die Gefahr mag überwältigend sein, doch das Rettende ist nah. Globale Risiken ließen, so Beck, ein Risikoweltbürgertum entstehen, und die Erschütterung der nationalen Institutionen zur Gefahrenabwehr ermächtige neue Akteure: Politik, Recht, Wirtschaft und Wissenschaft bekämen Konkurrenz durch Nichtregierungsorganisationen. Anders als die auf den Niedergang konzentrierten Kulturpessimisten sieht Beck einen Kosmopolitismus heraufziehen, der neue Politiken und Verfahren erfinde.

Solcher Optimismus in Ehren, aber ein wenig mehr empirische Belege oder theoretische Grundlegungen hätten nicht geschadet. Beck versucht zwar am Ende eine "Kritische Theorie der Weltrisikogesellschaft" vorzulegen, wiederholt aber nur ein weiteres Mal, was er zuvor entweder süffig glossiert oder aber mit Begriffen wie "linearer Fortschrittspessimismus" und "methodologischer Kosmopolitismus" vernebelt hatte.

Dass das Risiko, eben weil es eine Antizipation ist, "inszeniert", also vorstellbar gemacht werden muss, ist ja richtig. Aber welchen Maßstäben muss diese Inszenierung genügen? Und wie geht der Kosmopolitismus mit kulturell unterschiedlichen Risikowahrnehmungen um? Neben der Anerkennung des Anderen schlägt Beck ein Recht aufs Zuhören vor. Ob das jene Nordamerikaner, Chinesen und Inder, die die Klimakatastrophe für einen westeuropäischen Spleen oder gar Imperialismus halten, überzeugt?

Die Rede von der epochalen Qualität neuer Risiken wirkt wie der Versuch, in einer unübersichtlich gewordenen Welt wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen. Nach dem Ende der großen Erzählungen glaubt Ulrich Beck, mit "Risiko" und "Globalität" archimedische Punkte gefunden zu haben, und umkreist sie immer wieder aufs Neue. Darüber droht die Vielzahl seiner richtigen, anregenden, erschreckenden und zuweilen wortgewaltig formulierten Beobachtungen unterzugehen.

Rezensiert von Jörg Plath.

Ulrich Beck: Weltrisikogesellschaft. Auf der Suche nach der verlorenen Sicherheit
Suhrkamp Verlag. Frankfurt am Main 2007
440 S., 19,80
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