Ulf Stolterfohts anarchisch-musikalisches "Fachsprachen"-Projekt

Schwache Ahnungen sind besser als traurige Gewissheiten

55:45 Minuten
Ulf Stolterfoht
Der Dichter Ulf Stolterfoht sammelt leidenschaftlich fachsprachliche Begriffe - und zeigt uns, was man alles mit ihnen machen kann. © imago/gezett
Von Tobias Lehmkuhl · 18.08.2019
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Was die Skeleton Crew mit Fred Frith im Jazz anstellt, macht Ulf Stolterfoht mit der Sprache. Seit mehr als 20 Jahren gräbt er sich durch verschiedenste Fachsprachen und bringt oft seltsame Wörterfundstücke in Gedichten zum Tanzen – oder Kollidieren.
Höchste Präzision und innere Schönheit schreiben Menschen jener Fachsprache zu, die sie benutzen (müssen) – allerdings auch nur dieser und nicht unbedingt den Fachsprachen der anderen. Bei Fachsprachen der anderen, die ja in der Regel fremd klingen, hegen nämlich auch sie den unausrottbaren Verdacht derer, die beruflich ganz ohne Fachsprachen auskommen (müssen): alles nur Show und Exklusion, letztlich Renommiergehabe und Distinktionsstreben, also hinweg damit. Denn das einzig Reelle unter der Sonne ist doch, so lassen sich die Vorbehalte mühelos zusammenfassen, mein eigener Sprachgebrauch. Geh mir mit deinem.
Eifrig gehütete Sprachschrebergärten
Über die solide befestigten Zäune solcher eifrig gehüteten Sprachschrebergärten springt seit mehr als 20 Jahren Ulf Stolterfoht. Auf dem New Jazz Festival in Moers hörte der 1963 in Stuttgart geborene und in Berlin lebende Lyriker und Verleger einst vor allem "eine Band, die Skeleton Crew, Tom Cora und Fred Frith, und ich habe gedacht: Das ist ja ein Wahnsinn, sowas Tolles. Und ich habe sofort gedacht: Was die mit Musik machen, müsste man mit Gedichten auch machen." Stolterfoht findet hinter den Zäunen der Sprachschrebergärten zahlreiche Schätze und birgt sie in den "fachsprachen"-Bänden. Fünf sind bisher erschienen, der sechste ist in Arbeit:

eröffnet lebhaft: sätze gibt es. schließt behauptet:
wörter füllen sie auf. das sei dann auch schon alles.

Ulf Stolterfoht hat sich der Sprache, ihrer Logik und ihrer Mechanik verschrieben. Seine Fachsprachenfunde kombiniert er mal heiter und mal streng, mal vertrackt und mal musikalisch, und x-mal schafft der semantische Freibeuter neuen Sinn oder auch gar keinen.
Unverständlichkeit ist bei ihm kein Renommiergehabe und kein Distinktionsstreben, sondern selbstverständlicher Teil einer Welt aus Sprache. Verstehen wird, meint Stolterfoht, ohnehin überschätzt; schwache Ahnungen sind besser als traurige Gewissheiten.
Wörter sind die Welt - die Lösung des Referenzproblems
Die Schönheit der Fachsprachen liegt sowohl im Mehrdeutigen (das präzis sein mag, aber eben gleich mehrfach) wie im Dunklen. Am einfachsten, am schönsten wird es natürlich, wenn man auf die Welt, die die Wörter bezeichnen sollen, verzichtet. Dann, sagt Stolterfoht vergnügt, habe man wunderbarerweise auch kein Referenzproblem mehr, dann bedeuten die Wörter nicht mehr die Welt – dann sind die Wörter die Welt.

uneigentliches sprechen. der apfel als ein bild
für trug. gemeint sei aber straffer lug. verun-
glückte metapher. es findet kein bedeuten statt.

Schön für die Fachsprachen! Zur Musik von Fred Frith zeigt Tobias Lehmkuhl in seinem Feature "Notfalls kanns Assonanz", wie Ulf Stolterfoht die Fachsprachen aus den Kleingärten befreit und universal werden lässt. An Sprachmaterial für weitere Bände mangelt es nicht, denn:

hermeneutisch knallt alles runter auf
null. allein das äußern endet nicht.

(pla)

Sprecherin: Anika Mauer
Ton: Thomas Monnerjahn
Regie: Stefanie Lazai
Redaktion: Jörg Plath

Das Manuskript der Sendung finden Sie hier.

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