Ukrainische Lyriker

Der Krieg zersetzt die Sprache

Frauenschuhe in einem Haus in Donezk nach dem Beschuss durch die ukrainische Armee.
Die Lyriker wollen gegen politische Propaganda immunisieren. © picture alliance / dpa / Irina Gerashchenko
Von Barbara Lehmann · 07.12.2015
Der Krieg in der Ukraine verändert nicht nur den Alltag, sondern auch die Poesie: So ist die Sprache in den Gedichten der Lyrikerin Liubow Jakymchuk zerhauen, fragmentiert, zerstückelt. So versucht sie, ihre Landsleute gegen politische Propaganda zu immunisieren.
Wie soll sich ein Lyriker in kriegerischen Zeiten verhalten, hin und her gerissen zwischen Marginalisierung, Verstummen und Empörung? Darüber diskutierten am Wochenende vier ukrainische Literaten aus der Ost- und Westukraine in einer bunt gewürfelten Runde, die nur die proukrainische Gesinnung einte. Liubow Jakymchuk, die jüngste im Kreis, die aus dem umkämpften Osten der Ukraine stammt:
"Als der Krieg begann, war mir wichtig zu zeigen, was mit meiner heimatlichen Welt passiert, mit meinen Nächsten. Es ist eine Welt, die in Stücke zerfällt. Auch die ukrainische Sprache hat sich verändert: Es erscheinen neue Worte, neue Inhalte in alten Worten, es gibt eine Manipulation mit Worten, und zwar auf staatlicher Ebene. Und mit all dem habe ich als Dichterin zu arbeiten. Ich muss Mittel finden, in dieser sich verändernden Welt darüber zu sprechen, was mit uns geschieht, um nicht Manipulationen zu erliegen."

Schlüsselwort "schramm"

In Liubov Jakymchuks Gedicht über das abgeschosssene Flugzeug gehen nicht nur Welten zu Bruch, sondern die Worte. Der Krieg wird nicht in Verse gesetzt, er zer-setzt sie. Die Sprache wird zerhauen, fragmentiert, zerstückelt, übrig bleiben Töne, Rhythmen. Unübersetzbar. Das Schlüsselwort ist "schramm", die Schramme, Narbe. Rückwärts gelesen bedeutet es Marsch.
"Ich will nicht, dass sich meine Gedichte staatlichen oder politischen Vorgaben unterordnen und zur Dekoration werden. Ich will nicht, dass die Politik meine Gedichte bestimmt und mich beherrscht. Es soll umgekehrt sein: Ich muss mit der Sprache arbeiten, um bestimmte Gedanken, Emotionen und Worte zu retten und zu beschreiben. Nur so kann ich etwas verändern."
Liubow Jakymchuks Gedichte sind eine Beschwörung ihrer verlorenen Heimat: Donbass. Dort wuchs sie in einer russischsprachigen Familie auf, ging in eine russischsprachige Schule. Jetzt ist der Donbass zur ATO, der Zone der Antiterror-Operation, deklariert worden.

Gedichte ins Kriegsgebiet gebracht

Auch ihre 1973 geborene Kollegin Marianna Kijanowska versucht, ihre Landsleute gegen politische Propaganda zu immunisieren.
"Ich gehöre zu den Menschen, die sehr stark empfinden, dass der Krieg stattfindet. Für mich wäre das Schrecklichste, wenn sich eine Sprache des Hasses ausbreiten würde. Der Krieg in Deutschland begann mit der Veränderung der Sprache. Ich habe Victor Klemperers Buch: 'Die Sprache des Dritten Reiches' gelesen. Das hat mich sehr beeindruckt. Und mich erschreckt, dass in der Ukraine nicht die Sprache des Krieges entsteht, sondern die des Hasses. Sie scheint nicht gefährlich zu sein, aber in Wirklichkeit vernichtet sie alles, auch die Zukunft."
Marianna Kijanowska stammt aus Galizien. Bereits fünfmal ist sie mit Freiwilligen aus Charkow, die Lebensmittel verteilten, in die weit entfernte ATO aufgebrochen. Mehrfach ist sie dabei unter Beschuss geraten. Sie brachte ins Kriegsgebiet keine materiellen Güter, nur ihre Gedichte. Das Geschriebene erscheint ihr unzulänglich, macht sie ohnmächtig, weil die Wirklichkeit einfach zu stark ist.
"Ich war erstaunt, wie wichtig es für die Menschen war, dass ich ihnen nicht Lebensmittel brachte, die sie einfach nur ernähren, sondern Kultur, Text. Etwas, das sich auf die eigene Selbstachtung bezieht, auf die eigene Würde. Ich bemühte mich, Gedichte über die Liebe zu lesen, über das Leben, über metaphysische Dinge, über Gott. Sehr viele Zuhörer haben geweint. Ich habe verstanden, dass diese Menschen normalerweise wenig lasen. Sie haben meine Gedichte wie Lieder rezipiert, rein gefühlsmäßig."
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