Ukraine

Wie ein Zwangsarbeiter der "Lugansker Volksrepublik" frei kam

Eleonora Ribalko und Tejmuras Nichodin, der aus einem Gefängnis in der Ostukraine freigelassen wurde. Im Sommer 2017 hatte Nichodin dem Deutschlandfunk gegenüber von Zwnagsarbeit im Gefängnis berichtet.
Haft-Entlassung mit acht Monaten Verspätung: Tejmuras Nichodin und seine Frau Eleonora © Sabine Adler (Deutschlandradio)
Von Sabine Adler · 18.01.2018
In den sogenannten Volksrepubliken in der Ostukraine leisten Tausende Häftlinge Zwangsarbeit. Nun kam Tejmuras Nichodin aus einem Straflager frei – vermutlich nur deswegen, weil sich Menschenrechtsaktivisten für ihn eingesetzt hatten.
Häftlinge in der Ukraine können im Strafvollzug arbeiten, aber sie müssen nicht. Dass dieses Gesetz in den sogenannten Volksrepubliken in der Ostukraine missachtet wird, hat der Deutschlandfunk vergangenen Sommer berichtet.
Tausende Häftlinge in den Straflagern werden zu schwerer unentgeltlicher Arbeit gezwungen. Ein gewinnbringendes Geschäft, denn die Gefangenen stellen Waren aller Art konkurrenzlos günstig her. Deswegen haben es die Machthaber nicht eilig, Gefangene, die ihre Strafe abgesessen haben, auf freien Fuß zu setzen. Sie halten sie länger fest, als sie dürfen.

Menschenrechtsaktivisten leisten Hilfe

Gestern wurde ein Häftling entlassen, was vermutlich nur dank der Hilfe von engagierten Menschenrechtsaktivisten möglich war.
Übergang Stanzija Luganskaja in der Ostukraine
Übergang Stanzija Luganskaja© Sabine Adler (Deutschlandradio)
Es herrscht ein emsiges Hinüber und Herüber am Grenzübergang Stanzija Luganskaja. Die meisten sind bepackt mit riesigen Einkäufen, denn in den sogenannten Volksrepubliken fehlt es an allem. Ein scharfer Wind weht den Schnee in die langen Schlangen. Nach stundenlangem Warten hüpft die 35-jährige Eleonora Ribalko in die Höhe:
"Er hat mich gesehen und ein Herz in die Luft gemalt."
Ihr Ehemann ist in Sicht. Vor neun Jahren musste er wegen Diebstahls in das Straflager in Krasnij Luschne, das damals in der Ukraine lag. Seit der Besetzung 2014 haben die Lugansker Separatisten dort das Sagen. Erst gestern bekam Eleonora die erlösende Nachricht:
"Früh um sieben hat er mich angerufen, dass er frei ist. Er kann es nicht glauben."

Den Regeln der Volksrepublik gebeugt

Tejmuras Nichodin hätte bereits im Mai entlassen werden müssen. Ohne die Ostukrainische Menschenrechtsgruppe von Vera Jastrebowa und Pawel Lissjanski wäre der 37-Jährige vermutlich noch lange nicht auf freiem Fuß.
"Wir haben nach den Regeln der sogenannten Lugansker Volksrepublik gespielt und uns ihren Gesetzen gebeugt. Hätten wir uns nicht eingeschaltet, wäre er erst in zwei Jahren entlassen worden."
Letzten Sommer hatte Tejmuras Nichodin gegenüber unserem Sender am Mobiltelefon aus dem Gefängnis heraus, von der Zwangsarbeit berichtet.
Wie viele Menschen sind in der Strafkolonie? Wie viele von Ihnen arbeiten? Das wollten wir damals von ihm wissen:
"Über 600, der größte Teil arbeitet. Weit mehr als die Hälfte. Wer sich weigert, für den sind die Folgen nicht so angenehm."
Was dann passiere, fragten wir nach.
"Man kommt in Einzelhaft, in den Karzer, in einem Keller. Das Minimum sind 15 Tage, dann drei Monate, dann bis zu einem halben Jahr."

Isolationshaft im Karzer

Insgesamt anderthalb Jahre verbrachte er in Isolationshaft im Karzer. Die nach ukrainischem Gesetz verbotene Zwangsarbeit in den Straflagern spült dringend benötigtes Geld in die Kassen des Lugansker Regimes. Die Juristin Vera Jastrebowa erzählt auf der Fahrt zum Grenzübergang von der neuen Studie ihrer Organisation, die den Ertrag für das Jahr 2017 beziffert.
"Im vergangenen Jahr betrug der Gewinn 5 Millionen Dollar. Hergestellt wird eine breite Palette von Waren: Baumaterial, Gitter, Treppen, Gehwegplatten, Spielgeräte für Kinderspielplätze, und die Frauen nähen vor allem Kissen und Bettbezüge."
Noch mehr als die Zwangsarbeit beunruhigt die Juristin ein neuer Paragraph in dem 2015 verabschiedeten Strafrecht der sogenannten Volksrepublik.
"Das ist der Artikel 58, der die Todesstrafe vorsieht. Darüber redet keiner, alle ignorieren das in der Ukraine. Sie sagen einfach, wir erkennen die LNR sowieso nicht an. Aber da leben schließlich unsere Leute."
Pawel Lissanksi und Vera Jastrebowa setzen sich ein für die Häftlinge in den Straflagern, um die sich die Regierung in Kiew nicht kümmert, weil die Ukraine ein Rechtsstaat werden soll, der eine Tages zur EU gehört.
Gefragt nach seinen Plänen für ein Leben in Freiheit, antwortet der der Ex-Häftling Tejmuras Nichodin:
"Ich werde Klage vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof einreichen – unbedingt."
Die Separatisten in Lugansk sollen sich wegen der Zwangsarbeit und der Freiheitsberaubung verantworten.
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