Zwangsarbeit in der Ostukraine

"Diese Kriminellen haben einfach keine Lobby"

Sabine Adler
Sabine Adler © Deutschlandradio / Bettina Straub
Sabine Adler im Gespräch mit Christine Watty · 13.07.2017
Unsere Reporterin Sabine Adler hat aufgedeckt, dass in den sogenannten Volksrepubliken in der Ostukraine tausende Gefangene Zwangsarbeit leisten müssen. Ihre Recherche hat Adler in unserer Sendung "Studio 9" beschrieben.
Christine Watty: Nach Recherchen des Reporterpools von Deutschlandfunk Kultur finanzieren sich prorussische Separatisten in den besetzten Gebieten der Ostukraine durch Zwangsarbeit, das heißt, Gefangene werden dort auch nach Ablauf ihrer Freiheitsstrafe in Arbeitslagern festgehalten und zu schwerer und unbezahlter Arbeit verpflichtet.
Der Vertreter von Human Rights Watch, Wenzel Michalski, forderte heute Morgen schon im Deutschlandfunk Kultur die internationale Gemeinschaft auf, in diesem Fall auf Russland einzuwirken. Sabine Adler ist langjährige Russland-Korrespondentin des Deutschlandradios und Reporterin des Reporterpools von Deutschlandfunk Kultur. Sie hat diese Recherche unternommen und die Erkenntnisse über die Situation in den besetzten Gebieten der Ostukraine zutage gebracht. Schönen guten Morgen, Sabine Adler!
Sabine Adler: Guten Morgen!
Watty: Wie sind Sie an diese Erkenntnisse gelangt? Wie verläuft eine solche Recherche?

Treffen mit Aktivisten und Informanten

Adler: Ich war in der Ostukraine unterwegs, und da treffe ich mich für gewöhnlich mit einigen Informanten und auch Aktivisten. In dem Fall war das ein Aktivist der ostukrainischen Menschenrechtsgruppe. Das ist eine Gruppe, die sowohl im nicht besetzten Gebiet der Ostukraine recherchiert, aber eben auch im besetzten Gebiet, in den sogenannten Volksrepubliken Donetsk und Lugansk, und der hat mir unter anderem, neben anderen Geschichten, auch diese erzählt.
Karte Straflager "Luhansker Volksrepublik"
Straflager in der "Luhansker Volksrepublik"© Ostukrainische Menschenrechtsgruppe
Ich habe dann gedacht, das ist ja wirklich etwas vollkommen Neues, dass nämlich insgesamt bis zu 10.000 Häftlinge in den beiden sogenannten Volksrepubliken zur Zwangsarbeit verpflichtet sind.
Ich bin mit dieser Information dann nach Kiew gefahren und habe dort in der Politik beziehungsweise in Regierungskreisen nachgeforscht: Ist das jetzt wirklich so? Also eine Bestätigung gefunden. Und ich muss sagen, in der Politik, unter anderem eben bei den Abgeordneten im Ukrainischen Parlament, bin ich bei der Vizepräsidentin tatsächlich auf Unkenntnis gestoßen, war darüber eigentlich ziemlich verwundert. Sie wusste natürlich, was mit Kriegsgefangenen, mit politischen Gefangenen los ist in diesen besetzten Gebieten, aber eben nicht davon.

Die Ombudsfrau für Menschenrechte wusste davon

Dann bin ich zu der Ombudsfrau für Menschenrechte gegangen, das ist eine parteilose, engagierte Frau, die weiß von diesem ganzen Problem. Die hat mir das auch bestätigt, im Hintergrundgespräch hat sie mir noch mehr Informationen gegeben. In unserem Interview hat sie die Tatsache als solche bestätigt, wollte sich aber zum Ausmaß nicht äußern.
Watty: Ich nehme an, Sie konnten keines der Straflager besuchen, aber trotzdem haben Sie auch Geschichten erfahren von Menschen, die dort sind. Wie hat das funktioniert?
Adler: Das hat zum einen so funktioniert – vielleicht noch ganz kurz, warum man nicht in so ein Straflager kann: Das sind besetzte Republiken, und es ist für jeden, der aus der sogenannten freien Ukraine, sage ich jetzt mal der Einfachheit halber, kommt, völlig unmöglich, erstmal überhaupt in diese besetzten Gebiete zu kommen. Mich als Journalistin würde man da nicht reinlassen, und erst recht natürlich nicht in so ein Straflager.
Aber auch andere Ukrainer, zum Beispiel die Familienangehörigen von diesen zehntausenden Gefangenen, die dort einsitzen, die können ihre Häftlinge, also ihre Angehörigen nicht mehr besuchen, was früher gang und gäbe war. Man konnte Häftlinge im Gefängnis besuchen. Seitdem diese Gefängnisse unter Separatistenkontrolle sind, ist das nicht mehr möglich. Noch nicht mal Essenspakete kann man hinschicken.

Der Mann hätte schon drei Jahre frei sein müssen

Ich habe jetzt Einzelheiten erfahren, weil ich einen Häftling, der mit Hilfe dieser ostukrainischen Menschenrechtsgruppe entlassen wurde - was ihm auch zustand, denn der ist unter eine Amnestie gefallen, der hätte also seit drei Jahren frei sein müssen - die ostukrainische Menschenrechtsgruppe konnte ihn befreien sozusagen, konnte mit Hilfe von Anwälten erwirken, dass er freigelassen wird, und der hat berichtet über diese Verhältnisse.
Dann gibt es etwas für uns – ich fand es ein bisschen erstaunlich –, dass alle Häftlinge in diesen, oder fast alle wahrscheinlich, in diesen Straflagern Telefone haben. Und als ich gefragt habe, ob ich mal mit jemandem telefonieren könnte, war das absolut einfach möglich.
Ich habe dann also eine Nummer angerufen und habe mit einem Häftling in Krasniluc in dem Lugansker Gebiet telefoniert, und der hat mir im Wesentlichen bestätigt, was erstens die Menschenrechtsgruppe herausgefunden hat, und auch, was dieser freigelassene Häftling herausgefunden hat. Und er hat erzählt, dass es eine Strafkolonie mit 600 Häftlingen ist, also eine mittelgroße Strafkolonie, und dass dort eben der größte der Menschen arbeiten muss und er sich weigert und deshalb immer wieder in den Karzer gekommen ist. All diese Vorwürfe, die ich gehört habe, hat er bestätigt.
Watty: Ist so eine Recherche gefährlich, also auch diesen Kontakt aufzunehmen? Gibt es Leute, die einem dabei natürlich Steine in den Weg legen wollen, also nicht zuletzt die prorussischen Separatisten, die sicher nicht ein Interesse daran haben, dass das ans Tageslicht kommt?

Gefährlich ist es vor allem für die Aktivisten

Adler: Gefährlich ist es vor allem für die Aktivisten, muss man sagen, also aus dieser Menschenrechtsgruppe. Die sind ja nicht wie ich in der Lage, dann einfach nach Hause zu fahren und damit die Ukraine zu verlassen, sondern sie leben dort.
Pawel Lisjanksi aus Luhansk hat die "Menschenrechtsorganisation der Ostukraine" gegründet.
Pawel Lisjanksi, Gründer der "Menschenrechtsorganisation der Ostukraine"© Deutschlandradio / Sabine Adler
Pawel Lisjanski zum Beispiel stammt eigentlich aus Lugansk, und da kann er sowieso nicht mehr zurück, weil die Separatisten ihn sofort festnehmen würden und wer weiß was mit ihm veranstalten würden. Wie weit das gefährlich ist, wenn man als Reporter dort ... ich würde jetzt erstmal sagen, also ich habe jetzt in keiner Gefahrensituation, jedenfalls nicht bei dieser Recherche, gesteckt.
Bei anderen Recherchen war es manchmal anders. Es ist ein bewaffneter Konflikt, und da kann wer weiß was passieren. Aber vielleicht noch ein Aspekt, der mir viel mehr Sorgen macht: Das ist diese Wut, mit der geantwortet wird, und der Hass, mit dem geantwortet wird auf solche Recherchen von bestimmten Stellen. Das ist etwas, was viel größere Sorgen macht.
Watty: Wenzel Michalski von Human Rights Watch sagte heute Morgen auf die Frage, was kann man denn jetzt tun, was passiert mit diesem Ergebnis der Recherche, mit der Situation, die da zutage gebracht worden ist, also Russland ist wahrscheinlich schwierig, dass da ein Einfluss kommt, um diese Situation zu beenden. Kiew, die Ukraine, da gibt es auch einen O-Ton, den wir nachher in der Reportage noch mal von Ihnen hören, die sagen auch, wir können da jetzt einfach natürlich nichts machen. Wenn, dann müsste die internationale Gemeinschaft auf Russland einwirken. Haben Sie schon Reaktionen gehört bisher, oder ist das auch das, was Sie sich erhoffen?

Normale, einfache Häftlinge werden kaum beachtet

Adler: Das ist das, was man sich erhofft. Es bleibt einem ja gar nichts anderes übrig, als tatsächlich in den internationalen Gesprächen, das heißt also, im Normandie-Format beziehungsweise bei den Minsker Friedensgesprächen, die ja alle 14 Tage zusammentreten in dieser Runde, dass dieses Thema endlich auf die Tagesordnung kommt.
Denn das Thema Kriegsgefangene, das ist drauf. Aber diese ganz normalen einfachen Häftlinge, die dieser Willkür jetzt unterworfen sind, das wird kaum ... in Minsk hat es jetzt einmal eine Rolle gespielt, hat die Ombudsfrau erzählt. Aber das ist, diese ganz normalen Kriminellen haben einfach keine Lobby, und das ist das große Problem, denn das sind ja trotz alledem Bürger der Ukraine.
Watty: Danke schön an Sabine Adler vom Reporterpool von Deutschlandfunk Kultur. Prorussische Separatisten verpflichten Tausende Strafgefangene zu unbezahlter Zwangsarbeit. Und wir haben jetzt natürlich erfahren, wie diese Recherche funktioniert hat und wen Sabine Adler getroffen hat.
Die Reportage zu diesem ganzen Thema hören Sie hier im Deutschlandfunk Kultur in "Studio 9" um kurz nach halb neun, und wenn Sie sie da verpassen sollten, dann finden Sie sie natürlich auch online auf deutschlandfunkkultur.de. Vielen Dank, Sabine Adler, für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema