Ukraine

Unsichere Pattsituation

Ein Demonstrant mit den Farben der Ukraine vor einer Flagge der EU
Die pro-europäische Stimmung ist in der Westukraine besonders stark. © dpa / picture alliance / Filip Singer
Peter Rychlo im Gespräch mit Hanns Ostermann · 31.01.2014
Auch im pro-europäischen Westen der Ukraine sei noch nichts entschieden, sagt Peter Rychlo. Er sehe noch keinen vollständigen Sieg der Demonstranten, so der Autor und Übersetzer aus Czernowitz.
Hanns Ostermann: Es ist ein schmaler Grat in der Ukraine. Die Opposition lässt sich von halbherzigen Schritten von Präsident Janukowitsch nicht abspeisen, sie will seinen Rücktritt, will wissen, wo sind entführte und zum Teil schwer misshandelte Demonstranten. Und die Gegenseite: Sie hält hin, klebt an der Macht, und der Präsident meldet sich krank. Der Protest hat längst das ganze Land erfasst, also auch den pro-russischen Osten.
Vor allem aber in den westlichen Gebietsverwaltungen ist der Widerstand groß. – Professor Peter Rychlo forscht und lehrt an der Universität Czernowitz. Die Stadt liegt 400 Kilometer westlich von Kiew und ist die traditionelle Hauptstadt der Bukowina im Karpatenvorland. Ich habe ihn zunächst gefragt: Wie haben sich bei Ihnen die Proteste der letzten Tage und Wochen ausgewirkt?
Peter Rychlo: Ja, in Czernowitz genauso wie in Lwiw oder Iwano-Frankiwsk gab es mächtige Kundgebungen. Man hat die Gebietsadministration oder die staatliche Administration, so ungefähr wie eine Landesregierung, besetzt. Man hat den Gouverneur zum Abtritt aufgefordert. Er hat das zwar nicht gemacht, aber das Gebäude wurde für eine Zeit lang von den Demonstranten besetzt, und da gab es schon ein bisschen eine revolutionäre Situation.
Ostermann: Und wie sieht der Alltag jetzt bei Ihnen aus? Funktioniert noch die Stadtverwaltung zum Beispiel?
Rychlo: Die funktioniert einigermaßen, weil der Gouverneur hat doch nicht abgedankt und er hat gesagt, er kann das Gebiet Czernowitz auch, sagen wir, von einem anderen Gebäude regieren. So ist die Lage momentan irgendwie unsicher. Es gibt keinen vollständigen Sieg der Demonstranten, das ist so eine Pattsituation.
Ostermann: Es ist ein radikaler Umbruch und Sie wissen nicht, wie sich das entwickelt. Ihre Stadt kennzeichnet eine große kulturelle Vielfalt. Bei Ihnen leben Moldauer, Rumänen, Polen, Juden, Roma. Wie breit ist der Protest gegen das herrschende System?
Rychlo: Ich glaube, das hängt nicht so sehr von der Nationalität ab, weil es haben daran viele Völkerschaften sich beteiligt. Und ich glaube, diese Trennlinie geht einfach woanders, vielleicht im sozialen Sinn. Weil man hat die Hoffnung verloren auf die bessere europäische Zukunft und der Präsident ist selbst Schuld daran, dass er das ruhige Land so an die Schwelle des Abgrunds gestoßen hat.
Ostermann: Wie gehen Sie selbst mit dieser schwierigen politischen Umbruchphase um? Überwiegt die Angst, oder eventuell Freude?
"Es ist eben noch nichts entschieden"
Rychlo: Na ja, Angst allerdings nicht und den Grund zur Freude gibt es auch noch nicht. Es ist eben noch nichts entschieden. Wir kämpfen jetzt für die Befreiung der verhafteten Menschen. Und die Leader der Opposition hat ein bisschen vergessen, dass es eine strategische Aufgabe war, und sie haben sich jetzt ein bisschen in taktischen Fragen befangen.
Ostermann: Das ist Ihr Eindruck. Sie sagen, wir kämpfen für Fortschritt, wir kämpfen für die Menschen, die irgendwo inhaftiert sind.
Rychlo: Ja.
Ostermann: Wie machen Sie das? Gehen Sie auf die Straße, halten Sie Kontakt zu anderen, die ähnlich denken wie Sie, oder wie machen Sie das?
Rychlo: Ja, ich war auf dem Maidan in Kiew. Ich war auf dem Maidan in Lwiw, auch in Czernowitz mit den Studenten, und natürlich ist das vielleicht zu wenig und ich begeistere mich für jene Menschen, die jetzt in Kiew auf dem Maidan stehen. Ich bin aber kein Politiker und ich habe meine eigenen Aufgaben, aber natürlich bin ich so moralisch mit diesen Menschen und ich assoziiere mich mit den Kämpfenden auf dem Maidan.
Ostermann: Manche befürchten einen Bürgerkrieg. Wie groß ist trotz aller Verhandlungen aus Ihrer Sicht die Gefahr auch heute noch?
Rychlo: Na ja, das Land war eigentlich bereit zur Unterzeichnung dieser Europa-Assoziation, auch der Osten, und das Land fühlte sich mehr oder weniger einig. Aber durch diese plötzliche Entscheidung des Präsidenten ist das Land wiederum gespalten und die Macht will alles tun, damit vielleicht diese Schlucht noch breiter zu machen. Denn es sind natürlich viele Einheiten, die aus Leuten sportlicher Statur mit kriminellem Hintergrund rekrutiert werden und die von Polizei instruiert werden. Und das geschieht alles in staatlichen Behörden, und dann werden sie auf die Demonstranten aufgehetzt. Und das ist das Schlimmste und das ist das Schrecklichste, dass die Macht sich mit Kriminellen vereinigt hat. Natürlich werden die Leute, diese Stimmungen, die im Osten herrschen, die natürlich schon sehr pro-russisch waren, jetzt gegen den Westen des Landes immer aufgehetzt.
Ostermann: …, sagt Professor Peter Rychlo, ukrainischer Germanist und Literaturwissenschaftler. Herr Rychlo, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Rychlo: Bitte sehr!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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