Ukraine

Russland leidet unter "Amputationsschmerz"

05.12.2013
Der Kreml versucht, ein Stück seines "alten Imperiums" wiederherzustellen, sagt die Grünen-Politikerin Marieluise Beck. Deshalb habe Moskau gegen das Assoziierungsabkommen der Ukraine mit der EU interveniert.
Nana Brink: Die erhoffte Wende in der Ukraine ist ja ausgeblieben, das Misstrauensvotum gegen den amtierenden Ministerpräsidenten ist im Parlament gescheitert, trotz erhobener Faust von Boxweltmeister und Oppositionsführer Vitali Klitschko. Gespannte Ruhe also im Land, aber auf der diplomatischen Bühne ist einiges in Bewegung geraten: Eine ukrainische Delegation ist nach Brüssel gereist, um doch noch mal über das geplatzte Assoziierungsabkommen zu sprechen, und auf der anderen Seite hat der russische Außenminister Sergei Lawrow nach einem Treffen mit seinen NATO-Kollegen sehr deutlich nicht die Faust, aber den Finger gehoben nach dem Motto: Mischt euch nicht ein in die inneren Angelegenheiten der Ukraine! Marielouise Beck, Bundestagsabgeordnete der Grünen und Sprecherin ihrer Partei für Osteuropapolitik, ist jetzt bei uns in der Ortszeit. Schönen guten Morgen, Frau Beck!
Marielouise Beck: Guten Morgen!
Brink: Nun weiß man ja, dass eben jenes Assoziierungsabkommen auf Druck Russlands gescheitert ist. Geht es hier gar nicht mehr um die Ukraine, sondern um Machtpolitik?
Beck: Es geht um russische Interessen, so wie Russland sie versteht, und es konnte ja nun jeder beobachten, dass seit dem Sommer, seit also sich abzeichnete, dass Janukowitsch und die Ukraine unterzeichnen wollten nach sechs Jahren Verhandlung, dass dann sehr deutlich von Russland Druck ausgeübt wurde. Es ging los mit dem Importverbot von Schokolade, von ukrainischer Schokolade nach Russland, das kennt man übrigens, bei Georgien war es Wein, bei Polen war es Fleisch, es wurde damit gedroht, dass die Exporte von der Ukraine nach Russland mit einem Zoll von 9 Prozent belegt werden würden, falls die Ukraine dem Assoziierungsabkommen beitritt – also insofern ist schon ganz massiv interveniert worden von russischer Seite.
Brink: Also geht es dann letztendlich aber auch um das Verhältnis Russland – Europa?
Beck: Es geht mittelbar um das Verhältnis Russland – Europa, aber ich würde sagen, es geht vor allen Dingen um die Frage, wie der Kreml versucht, das alte Imperium wieder herzustellen. Es gibt in Russland einen Amputationsschmerz, würde ich das nennen. Es ist ja bekannt, dass Putin als die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts nicht den Zweiten Weltkrieg genannt hat, nicht die schrecklichen Verbrechen des Stalinismus, sondern die Tatsache, dass Gorbatschow die Sowjetunion hat zerfallen lassen – und das ist natürlich auch die Ukraine, die in die Souveränität entlassen worden ist, und die mögliche Annäherung an die Europäische Union ist nun dem Kreml ein großer Dorn im Auge. Sie wollen eigentlich versuchen, wieder ein Stück dieses alten Imperiums herzustellen und sind entschieden, das auch mit großem Druck durchzusetzen.
Brink: Sie sind ja seit gestern auf dem Petersburger Dialog, erstmals, einstmals von Bundeskanzler Schröder und Präsident Putin ins Lebens gerufen, zur Förderung der deutsch-russischen Beziehungen. Was hören Sie da von der russischen Seite, gerade auch sozusagen an, ja, Anliegen in Richtung Deutschland?
Beck: Es gibt ein stehendes, ein Bonmot aus dem Kreml, das heißt immer: Ihr dürft uns nicht mit erhobenem Zeigefinger kritisieren. Ich weiß nicht, was dieser erhobene Zeigefinger ist. Ich würde sagen, die Ukraine ist ein souveränes Land, und es ist sechs Jahre lang zwischen der Europäischen Union und der souveränen Ukraine dieses Assoziierungsabkommen verhandelt worden, es war unterschriftsreif, es waren alle Zeichen auf Unterzeichnung gestellt. Und wenn nun Russland in dieser scharfen und eindeutigen Weise mit großem Druck, der der Ukraine ökonomisch die Luft zu nehmen droht, versucht, dieses Abkommen zu verhindern, muss klargestellt werden, dass a) dieses Assoziierungsabkommen sich nicht gegen Russland richtet, aber b) die Ukraine ein souveränes Land ist.
Brink: Aber was hören Sie denn? Also Sie sind ja gerade viel mit russischen Kollegen auch zusammen. Ist das denn Thema, und wenn ja, wie wird es thematisiert?
Beck: Bisher – der Petersburger Dialog hat erst begonnen –, bisher ist diese Frage nicht thematisiert worden. Nun sind Eröffnungsfeierlichkeiten ja immer von höflicheren Tönen geprägt. Von deutscher Seite hat der ehemalige Ministerpräsident Platzeck gesprochen, und er hat die Frage der Ukraine nicht deutlich angesprochen. Ich glaube, dass es heute auf den Podien und in den Arbeitsgruppen deutlicher zur Sache gehen wird. Aber Sie wissen, dass im Petersburger Dialog es ja eine starke Strömung gibt, die meint, dass Deutschland mit Russland zu ruppig umgehen würde.
Brink: Das ist interessant, weil eine mögliche neue große Koalition ist ja an guten Beziehungen zu Russland interessiert. Wenn man in den Koalitionsvertrag guckt, da wird das an prominenter Stelle gleich nach der NATO erwähnt. Welche Rolle kann denn Deutschland da als gewichtiges Mitglied der EU gegenüber Russland spielen, oder mit Russland? Das wäre die Frage.
Beck: Also sicherlich immer wieder die offene Hand auch Russland gegenüber. Es kann nicht darum gehen, gegen russische Interessen Politik zu machen in dem Sinne, dass man versucht, Russland an die Wand zu drücken, sondern das Verständnis von einem gemeinsamen Europa schließt Russland mit ein. Aber dazu gehört auch, dass ein Russland, das zum Beispiel aus freien Stücken Mitglied des Europarates geworden ist, sich der Geschäftsgrundlage, die dort Basis ist für das gemeinsame Agieren, nicht entzieht – und dazu gehört auch, Souveränität von anderen Ländern anzuerkennen. Russland kann nicht beanspruchen, dass die Länder, die früher mal sowietrussische Republiken waren, jetzt ihr Vorfeld sind, die nicht mehr die Entscheidung haben, in politische und ökonomische, engere Beziehungen mit der Europäischen Union zu gehen.
Brink: Marielouise Beck, Bundestagsabgeordnete der Grünen und gerade auf dem Petersburger Dialog. Schönen Dank, Frau Beck, dass Sie mit uns gesprochen haben!
Beck: Bitte schön!
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