Ukraine-Krise

Gespräche ohne Tabus

Ein Mitglied der sogenannten Volksarmee in der Ostukraine hält Einladungen zum Referendum über die Unabhängigkeit der Regionen Donezk und Lugansk in den Händen.
Ein Mitglied der sogenannten Volksarmee in der Ostukraine mit Einladungen zum Referendum über die Unabhängigkeit der Regionen Donezk und Lugansk © picture alliance / dpa/ Valery Matytsin
Von Markus Sambale, Moskau · 12.05.2014
Um einen flächendeckenden Bürgerkrieg in der Ostukraine zu verhindern, müssen alle Beteiligten an einen Runden Tisch – und sie sollten ihre Erwartungen und Forderungen herunterschrauben, meint Markus Sambale.
Ein Runder Tisch als Lösung? Jetzt, wo nach den Abstimmungen in der Ostukraine der Graben noch tiefer geworden ist? Zugegeben: Meine Hoffnungen sind gering.
Es ist zu viel Hass gesät, es gibt zu viele Radikale, und es sind zu viele Menschen gestorben in der Ukraine, als dass man sich wie damals 1989 in der DDR mal eben an einen Tisch setzen könnte, um zu reden.
Doch wie soll man den Konflikt lösen, wenn nicht in Verhandlungen? Es ist wohl die letzte Chance. Um die zu nutzen, müssen alle ihre Erwartungen herunterschrauben. Denn uns rennt die Zeit davon, dies ist nicht mehr der Moment für Schuldzuweisungen.
Abrüsten müssen alle in der Ukraine: Die Regierung in Kiew, die einen sofortigen Stopp ihrer – praktisch schon gescheiterten – Militär-Aktion verkünden muss. Und die Rebellen in der Ostukraine, die ihr Schreckensregime und ihre Verfolgung von Andersdenkenden beenden müssen.
Abrüsten müssen auch Moskau und der Westen: Die russische Führung, die ihre unselige Propaganda und Hetze stoppen muss. Und der Westen, der als Zeichen der Deeskalation die Sanktionsdebatte auf Eis legen sollte.
Nach dem Scheitern der Gespräche von Genf ist es ein gutes Signal, dass jetzt noch einmal in der Ukraine selbst nach einer Lösung gesucht werden soll. Dass nicht nur West und Ost über die Köpfe der Ukrainer hinweg entscheiden wollen. Auch wenn sich niemand etwas vormachen sollte – weder die Russen noch die Europäer können und werden sich da komplett raushalten.
Kiew muss sich mit ungeliebten Gegnern arrangieren
Wer also sollte an dem Tisch sitzen, der deshalb rund sein soll, damit es keinen Streit um die besten Plätze gibt?
Vertreter der aktuellen Kiewer Übergangsregierung müssen dabei sein – das muss Moskau akzeptieren. Aber eben auch Vertreter der Separatisten, so schwer das Kiew und den Europäern fällt. Denn ohne sie ist inzwischen keine Lösung mehr möglich. Dass die nicht mit Waffen zu den Gesprächen kommen, sollte klar sein. Doch Kiew wird sich auch mit manch ungeliebtem Gegner arrangieren müssen.
Herunterschrauben müssen alle Beteiligten ihre Erwartungen und Forderungen, das ist der nächste Knackpunkt: Es ist zu viel passiert, als dass man innerhalb kurze Zeit wieder zu einem geeinten Staat kommen könnte, wie es ihn noch vor einem halben Jahr gab. Leider. Die Annäherung geht nur Schritt für Schritt.
Und es darf in den Gesprächen keine Tabus geben, es muss über alles geredet werden – von der Verschiebung der ukrainischen Präsidentenwahl bis hin zu einer neuen Staatsform, die am Ende vielleicht nur noch ein lockerer Staatenverbund ist.
Das wäre ein hoher Preis. Doch es wäre der Preis, um einen flächendeckenden Bürgerkrieg zu verhindern. Und vielleicht die letzte Chance zur Rettung der Ukraine.
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