Innenpolitische Lage in den USA

Einigkeit bleibt eine Momentaufnahme

Pro-Ukraine-Protest vor dem Weißen Haus
Noch ergeben Umfragen satte Mehrheiten bei den Anhängern der Demokraten und Republikaner für wirtschaftliche Sanktionen und Waffenlieferungen. © picture alliance / NurPhoto / Bryan Olin Dozier/
Überlegungen von Torben Lütjen · 25.03.2022
In den USA ziehen Demokraten und Republikaner derzeit an einem Strang. Doch der Politikwissenschaftler Torben Lütjen dämpft die Hoffnung, der Ukraine-Krieg habe zur Überwindung der Gräben geführt. Viele im Land sähen den wahren Feind weiterhin im Innern.
Es ist eine alte soziologische Binsenweisheit: Nichts schweißt eine Gemeinschaft, eine Nation so sehr zusammen wie der Konflikt mit einem gefährlichen Feind. Ganz besonders intensiv ist diese Erwartung derzeit in den USA. Dort schließlich haben sich nicht nur die demokratiezersetzenden Wirkungen extremer Polarisierung besonders schroff gezeigt. Amerikas Kulturkämpfe und das Verhältnis zu Putins Russland waren außerdem auf das Engste miteinander verwoben.
Da war nicht nur die russische Einflussnahme im Wahlkampf 2016 für Donald Trump. Manche vermuteten auch eine tiefere ideologische Affinität zwischen rechten Republikanern und der Agenda Putins: ein gemeinsames Projekt gegen den dekadenten liberalen Westen, gegen Multikulturalismus und Internationalismus und für Nation und Christentum.

Seltene Eintracht beider Parteien

Und: Ist diese Liaison nun Geschichte? Fast könnte man es meinen. In seltener Eintracht und ohne Gegenstimmen haben Demokraten und Republikaner im Kongress den Angriffskrieg Russlands verurteilt. Umfragen ergeben satte Mehrheiten bei den Anhängern beider Parteien für wirtschaftliche Sanktionen und Waffenlieferungen. Bei seiner Rede zur Lage der Nation meinte Präsident Biden dann auch, dass Putins größter Irrtum gewesen sei, zu glauben, die USA seien nicht einig.
Und doch: Aus der kurzfristigen Einigkeit nun abzuleiten, dass Putin und die russische Bedrohung langfristig die Gräben der US-Politik zuschütten könnten – das ist eine allzu kühne Hoffnung.

Schock wirkt nur vorrübergehend

Es beginnt schon mit einer simplen Wahrheit: Um ein Land, das im Normalmodus so sehr mit der inneren Nabelschau beschäftigt ist wie die USA, überhaupt für die Welt zu interessieren, braucht es schon einen gewaltigen externen Schock. Das war die Ukraine-Invasion ohne jeden Zweifel. Aber Schocks halten nicht ewig an.
Auch wenn es traurig klingen mag: Insofern der Krieg nicht sehr viel weiter eskaliert, wird das Interesse in den USA, als Land viele tausend Meilen entfernt vom Schauplatz des Geschehens, viel schneller abflauen als in Europa. Die USA werden sich bald schon wieder nach innen kehren und dann werden wieder Themen die Agenda dominieren, die immer schon den Treibstoff für die Entzweiung des Landes geliefert haben: Race, Religion, die Rolle des Staates. Was strukturell so tief verankert ist, lässt sich nicht durch ein einzelnes Ereignis umkehren.
Aber, so mögen manche einwenden: Sollten die Bilder aus Charkiw, Mariupol und Kiew nicht zumindest die Begeisterung des rechten Parteiflügels der Republikaner für Putin beenden? Ihnen die Augen öffnen und sie damit von ihrem Flirt mit dem Autoritarismus befreien, weil es ihnen die Proportionen geraderückt und zeigt, wo der wahre Feind steht?

T-Shirt: „Besser ein Russe als ein Demokrat“

Schöne Idee, aber sie verkennt: Die vermeintliche Begeisterung für Putin unter Trump-Wählern wurzelt nicht in ideologischer Verwandtschaft. Die meisten Republikaner wissen herzlich wenig über Russland und sein politisches System oder über die Überzeugungen Wladimir Putins. Sie glauben nur eines: Er war offensichtlich bereit, ihren Mann ins Weiße Haus zu bringen; und das reichte ihnen. Die Identifikation mit Putin war nicht zuletzt auch eine gewaltige Provokation gegen das liberale Amerika.
Es gibt da dieses bekannte T-Shirt, das man auf Trumps Wahlkundgebungen hundertfach sehen konnte: „Besser ein Russe als ein Demokrat.“ Es war kein Bekenntnis zu einem anderen Land oder einem anderen politischen System. Es sollte nur dokumentieren, dass im Kampf gegen den verhassten liberalen Gegner jede, und zwar absolut jede, Unterstützung willkommen war. Es war ein Zeichen, wie abgrundtief der Hass im eigenen Land ist, wie stark er mittlerweile auf Affekten beruht, die sich jeder Logik entziehen.
Was die USA derzeit durchlaufen, ist daher eine Momentaufnahme. Der wahre Feind – er lauert für viele Amerikaner weiterhin im Inneren. Fazit: Die US-Regierung bleibt ein unberechenbarer Partner für Europa.

Torben Lütjen wurde 1974 in Bremen geboren. Zurzeit ist er Professor für Politikwissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. 2020 erschien von ihm: "Amerika im Kalten Bürgerkrieg. Wie ein Land seine Mitte verliert" im wbg Theiss Verlag. Zur Zeit schreibt er an einem neuen Buch über politische Konversionen im Zeitalter der Ideologien.

Porträt des Politikwissenschaftlers Torben Lütjen
© Steve Green
Mehr zum Thema