Öl aus Venezuela, Wasserstoff aus Chile

Hauptsache Energie

23:12 Minuten
Eine karge Steppenlandschaft vor strahlend blauem Himmel.
In dieser menschenleeren Landschaft Chiles sollen riesige Windparks entstehen. © Deutschlandradio / Sofía Yanjarí
Von Sophia Boddenberg und Burkhard Birke · 14.03.2022
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Die USA verhandeln mit Erzfeind Venezuela über Ölexporte – das schien vor Kurzem noch völlig abwegig. Deutschland sucht nach Wegen aus der Energie-Abhängigkeit von Russland und setzt auf grünen Wasserstoff aus Chile. Auch das hat Schattenseiten.
Vor gut einer Woche reiste eine US-Delegation nach Venezuela zum Präsidenten Nicolás Maduro. Der ist allerdings aus Sicht der USA gar kein rechtmäßiger Staatschef: Seine Wahl 2019 wurde nicht anerkannt, die diplomatischen Beziehungen abgebrochen, ein Öl-Embargo wurde verhängt. Aber der Zweck heiligt die Mittel. Um Energieimporte aus Russland zu stoppen, nimmt man in Kauf, mit einer Persona non grata zu verhandeln.
Venezuela hat prompt zugesagt, seine Ölförderung noch in diesem Jahr zu verdoppeln, möglicherweise mit logistischer Hilfe aus den USA.
Venezuela ist das Land mit den weltweit größten Ölreserven, insofern kommt man in der derzeitigen Energiekrise nicht an dem Land vorbei. Andererseits gibt es vonseiten der USA noch andere Interessen, meint Reporter Burkhard Birke, der die Beziehungen zwischen den USA und Venezuela die letzten Jahre intensiv beobachtet hat:
„Da kann man vielleicht auch zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Erstens Öl aus Venezuela importieren und zweitens den russischen Einfluss im eigenen Hinterhof zurückdrängen. Denn Russland ist Verbündeter und hilft Venezuela derzeit, Öl zu fördern. Außerdem sind bereits Militärberater im Land. Einen russischen Militärstützpunkt wollen die USA auf jeden Fall verhindern.“

Öl, Gas, Kohle - alle brauchen Rohstoffe

Die USA brauchen Öl, Deutschland braucht Gas, und nun fallen so manche Tabus. Flüssiggas soll in Deutschland übergangsweise weiterhelfen, obwohl dies durch das umweltschädliche Fracking gewonnen wird.
Perspektivisch will man aber in den Terminals für Flüssiggas lieber grünen Wasserstoff lagern. Der soll u.a. aus Chile kommen und in nicht allzu ferner Zukunft Benzin und Diesel ersetzen. Die deutschen Unternehmen Porsche und Siemens Energy engagieren sich bereits in Patagonien, einer der windigsten Regionen der Welt. Chile, das schmale Land an der Pazifikküste Südamerikas, will Exportweltmeister von grünem Wasserstoff werden, und zwar bereits 2030, also in acht Jahren.
Etwa 30 Kilometer nördlich von Punta Arenas haben die Bauarbeiten der Pilotanlage von Siemens Energy und Porsche begonnen. Synthetische Kraftstoffe sollen hier produziert werden, und zwar mit Hilfe von Windkraft. Projektentwickler und Eigentümer ist das chilenische Unternehmen HIF – Highly Innovative Fuels.
Generaldirektor Rodrigo Delmastro ist stolz auf das Projekt:
„Die Windenergie wird bei der Elektrolyse des Wassers genutzt, bei der Wasserstoff entsteht. Dieser wird mit CO2 angereichert, das wir aus der Atmosphäre ziehen und dann in Methanol und schließlich in Benzin umwandeln. Wir werden einen Kraftstoff produzieren, der in konventionellen Autos verbraucht werden kann. So muss die Technik des Autos nicht zu einem Elektroauto umgewandelt werden.“

Chile als Exportweltmeister von Wasserstoff

Abnehmer der E-Fuels ist der Autokonzern Porsche. Da die Produktion momentan noch sehr teuer ist, müssten die strombasierten Kraftstoffe zunächst in Länder exportiert werden, wo Verbraucher bereit sind, sie zu bezahlen oder staatliche Subventionen erhalten. Erst wenn durch Massenproduktion die Kosten sinken – was in der Betriebswirtschaftslehre Skaleneffekt genannt wird – könne man die Kraftstoffe auch in Chile verkaufen, so Delmastro.
Das Projekt „Haru Oni“ ist nur eines von 60 Projekten für die Produktion von grünem Wasserstoff und seinen Derivaten, die aktuell in Chile umgesetzt werden. Eine Studie der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, die das chilenische Energieministerium berät, kalkuliert, dass die Wasserstoffwirtschaft in Chile bis 2050 mindestens 94.000 Arbeitsplätze schaffen könnte.
Der GIZ zufolge hat Chile das Potenzial, die Hälfte des Bedarfs an grünem Wasserstoff von einem Industrieland wie Deutschland zu decken. Niederlassen soll sich diese neue Industrie hauptsächlich in Patagonien wegen der starken Windkraft und in der Atacama-Wüste wegen der hohen Sonneneinstrahlung.

"Und was haben wir davon?"

Aber nicht alle in Chile haben sich von dem Wasserstoff-Fieber anstecken lassen. Lucio Cuenca, der Direktor der Lateinamerikanischen Beobachtungsstelle für Umweltkonflikte OLCA, hält es für problematisch, dass Länder im globalen Süden die Rohstoffe für die Energiewende des globalen Norden liefern sollen, die die größte Verantwortung für den Klimawandel tragen.
„Was uns am meisten besorgt, ist, dass sich die Geschichte wiederholt. Es ist eine Energiewende, die im Norden entworfen wurde, ohne alle ihre Auswirkungen zu berücksichtigen, die wieder wir Länder im Süden bezahlen. Die Industrieländer und die Konzerne wollen eine Lösung für die Klimakrise präsentieren, ohne das Konsumverhalten und die Produktionsweise dieser Länder zu verändern. Wir dürfen die Lösung für die Klimakrise nicht der Macht der Konzerne überlassen, weil die Unternehmen immer nach Profit streben.“
Chile erlebt bereits jetzt die Folgen des Klimawandels heftig. Es ist eines von 30 Ländern weltweit, die am stärksten unter Wasserstress leiden. Das bedeutet, dass mehr Wasser verbraucht wird, als auf natürlichem Weg nachkommt. Über 70 Prozent der Landesoberfläche leidet unter Dürre. Norden und Zentrum des Landes gleichen einer Wüste. Um nicht noch stärker die knappen Grundwasserbestände in Patagonien zu belasten, soll das Projekt „Haru Oni“ mit Wasser aus einer Meerwasserentsalzungsanlage versorgt werden.
Porträt einer dunkelhaarigen Frau mit indigenem Schmuck.
Leticia Caro will nicht, dass ihre Heimat die Kosten für den vom globalen Norden verursachten Klimawandel tragen muss.© Deutschlandradio / Sofía Yanjarí
Leticia Caro vom indigenen Volk der Kawésqar hält das für problematisch, weil diese Anlagen nicht nur Wasser, sondern auch Abfälle produzieren: konzentrierte Salzlake. Außerdem glaubt sie nicht daran, dass die Wasserstoffwirtschaft wirklich allen zugute kommt.
"Sie versprechen uns immer Arbeit und einen Haufen Dinge, aber letztendlich ist das keine Arbeit für die große Masse, sondern für Spezialisten, die eine bestimmte akademische Ausbildung haben müssen. Ich glaube, wir müssen uns fragen, was für eine Art von Entwicklung wir für unsere Region und für unser Land wollen. Der grüne Wasserstoff bleibt ja noch nicht einmal hier.“

 Energiewende zuerst in Chile umsetzen

Tatsächlich können die Unternehmen aufgrund der chilenischen Gesetzgebung nicht dazu verpflichtet werden, einen Beitrag zur lokalen Stromversorgung zu leisten oder die Gemeinden finanziell zu beteiligen. Eine neue Verfassung, an der in Chile gerade mit Hochdruck gearbeitet wird, könnte dies allerdings ändern. Sie soll die Energieversorgung, die derzeit vollständig privatisiert ist, neu definieren. Auch die in Chile produzierten erneuerbaren Energien könnten dann der Bevölkerung zugute kommen. Derzeit profitieren überwiegend Bergbaukonzerne davon.
Lucio Cuenca von der Lateinamerikanischen Beobachtungsstelle für Umweltkonflikte OLCA ist der Meinung, dass für eine Energiewende in Chile auch das auf Rohstoffexport basierende Wirtschaftsmodell in Frage gestellt werden muss. Denn Bergbau werde auch durch erneuerbaren Strom und grünen Wasserstoff nicht nachhaltig:
"Wir verkaufen Energie an andere Länder, anstatt die Energiewende umzusetzen, die Chile braucht. Ich sage nicht, dass wir keinen grünen Wasserstoff nutzen sollen, er kann sicher eine Lösung für bestimmte Bedürfnisse sein und die Kohlenwasserstoffe ersetzen. Aber in den Händen der Konzernmacht wird die Klimakrise in ein neues Geschäft verwandelt, in dem nicht die Verminderung des Energieverbrauchs im Zentrum steht. Es ist eine falsche Lösung.“
Zur Klimakrise kommt in Europa inzwischen auch die Versorgungskrise. Bei steigenden Benzin- und Gaspreisen wirkt der grüne Wasserstoff wie eine paradiesische Alternative. Dabei gerät leicht aus dem Blick, woher er kommt und unter welchen Bedingungen er entsteht.

Die Recherche wurde gefördert und unterstützt von netzwerk recherche und der Olin gGmbH. (*)

(*) Redaktioneller Hinweis: Wir haben die Bezeichnung der Olin gGmbH korrigiert.

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