Leben mit dem Krieg
Die Menschen in der Ukraine leiden unter dem Krieg gegen ihr Land. Wie macht man nach dem Verlust eines geliebten Menschen weiter? © picture alliance / Caro / Bastian
„Der Schmerz wird ein Teil von dir“

Tetiana Vatsenko-Bondarewas Ehemann fiel als Soldat im Ukrainekrieg. Das Leben der Frau veränderte sich damit schlagartig, ihre Trauer zerriss sie innerlich. Was ihr heute Sinn und Halt gibt, ist anderen Witwen im Umgang mit ihrem Verlust zu helfen.
Eine Frau mit bunten Strähnen im Haar steht in einem Gartenbeet aus Faszelia, Senf und Bienenweiden. Sie hält einen Strauch aus Lavendel in der Hand, der zarte Duft der Blüten liegt in der Luft. Dieser Ort ist Tetiana Vatsenko-Bondarewas Quelle, um Energie zu tanken. Die Ukrainerin verlor vor drei Jahren ihren Ehemann Denis im Krieg. Seither ist in ihrem Leben nichts mehr wie es einmal war.
Der Garten, in dem Vatsenko-Bondarewa sich befindet, erinnert an die Getöteten des Russischen Angriffskrieges. Er steht auf dem Gelände eines Freilichtmuseums am Stadtrand von Kiew, zwischen Weizen und Weizenfeldern. Vatsenko-Bondarewa gründete den Garten zusammen mit anderen Frauen, die ihre Ehemänner im Krieg verloren.
Durch die Natur erden
Die Ukrainerin eignete sich dabei Wissen über Garten- und Landschaftspflege an. Die neue Verbindung mit der Natur half Vatsenko-Bondarewa dabei, sich wieder zu erden und Vertrauen ins Leben zu gewinnen. „Der Garten durchläuft jedes Jahr einen vollständigen Lebenszyklus“, sagt sie. Im Winter schläft er, wirft im Herbst die Blätter ab, erwacht im Frühling und beginnt erneut zu blühen.
Auch wenn der Garten also den Verstorbenen gewidmet ist, stehe er nicht für den Tod, sondern für Erinnerung und Leben, sagt Vatsenko-Bondarewa. Der Schmerz über den Verlust ihres Geliebten fraß sie lange Zeit auf, auch wenn man es der quirligen Frau nicht ansieht.
„Ich habe alle Emotionen verloren. Außer Schmerz habe ich nichts mehr empfunden“, sagt sie. Es fühlte sich so an, als ob ein Teil von ihr verschwunden sei, als hätte sie ihren Arm oder ein Bein verloren — ein Teil von ihr sei mit gestorben. Das Schicksal hatte ihr alles genommen, was lebenswert für sie war.
Schreiben als Therapie
Vatsenko-Bondarewa musste lernen, sich neu zu definieren. Was ihr dabei half, war das Schreiben. Sie begann damit, ihre Erfahrungen und ihre Geschichte in den sozialen Medien zu teilen und stieß auf hohe Resonanz. „Das Schreiben ist bis heute wie Therapie“, sagt Vatsenko-Bondarewa.
Über ihre öffentlichen Posts lernte sie andere Witwen kennen, die ebenfalls ihre Männer an den Krieg verloren hatten. Daraus ist ein Netzwerk entstanden, dem inzwischen mehr als 5000 Frauen angehören. Die Frauen helfen sich gegenseitig dabei, mit ihrem Verlust und der Trauer umzugehen. Sie hören einander zu, sind füreinander da. Das Netzwerk gibt sich den Namen ‚gite por privce‘, was so viel bedeutet wie Leben gegen alle Widerstände.
Diese Gemeinschaft gibt Tetiana Vatsenko-Bondarewa Mut, um weiterzumachen. „Gemeinschaft heißt, sich gegenseitig zu helfen, den Schmerz zu überwinden. Zu wissen, dass man nicht allein ist, und dass es Menschen gibt, die einen verstehen“, sagt die Ukrainerin.
Tetiana Vatsenko-Bondarewa lernt auf diese Weise mit der Zeit, ihren Verlust zu akzeptieren. Der Schmerz verändert sich zwar nicht. „Aber er wird ein Teil von dir. Du gewöhnst dich daran“, sagt sie.
Entscheidung fürs Leben
Schließlich hatte sie eines Tages das Gefühl eine Entscheidung treffen zu müssen: Leben oder nicht leben. Wäre sie in ihrem Kummer verweilt, wäre es genau so wie als sei sie nicht mehr am Leben. Lebendig zu sein, bedeutet für Vatsenko-Bondarewa in der Lage zu sein, zu träumen und zu fühlen. Das kann sie heute wieder.
„Ich habe meinem Mann versprochen, ein glückliches Leben für uns beide zu führen, damit er stolz auf mich sein kann. Und ich versuche, mein Versprechen zu halten“, sagt die Witwe. Ihr Wissen gibt sie heute an andere verwitwete Frauen weiter, was ihr neuen Sinn im Leben gibt.
Der Garten der Erinnerung ist ein Ort, an dem sie und die anderen Frauen den geliebten Verstorbenen gedenken können. Es gehe trotz allem darum sich zu erinnern, über die Getöteten zu sprechen und selbst am Leben zu bleiben, sagt Tetiana Vatsenko-Bondarewa.
tan