Ostseehäfen und Ukraine-Krieg

Einbruch im Schiffsverkehr durch Sanktionen

06:20 Minuten
Im Vordergrund sind Container auf einem Frachtschiff zu sehen, im Hintergrund Kräme am Ufer sowie die Trave, auf der das Schiff fährt.
Ein Schiff fährt 2017 aus dem Containerhafen Lübeck-Siems auf der Trave auf die Ostsee hinaus. © picture alliance / Winfried Rothermel
Von Balthasar Hümbs · 14.04.2022
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Die Ostseehäfen spüren die Sanktionen gegen Russland wegen des Angriffs auf die Ukraine. Lübeck hatte gerade ein Büro in St. Petersburg eröffnet, um die Verbindungen dahin zu stärken. Das ist nun vergebens. Aber es gibt an der Küste auch Hoffnung.
Die Motoren drehen auf, die Gischt schäumt. Langsam drückt sich das Containerschiff „Vohburg“ von der Kaikante im Lübecker Hafen. Ein letztes Mal. Denn die Linie, auf der der 140 Meter Koloss fährt, ist eingestellt. Lübeck-St. Petersburg-Helsinki gibt es nicht mehr.
Die „Vohburg“ holt nur noch die letzten leeren Container, dann ist Schluss. Kein Schiff fährt mehr regelmäßig zwischen Lübeck und Russland. "Die Sanktionen wirken sich schon dramatisch aus", sagt Lübecks Bürgermeister Jan Lindenau von der SPD.
Die Containerlinie war nicht die einzige Verbindung zwischen Lübeck und Russland. Bis zum Krieg war St. Petersburg mir eines der Ziele für Schiffe im Lübecker Hafen. Fast jeden Tag machte sich einer der großen Frachter auf den Weg Richtung Osten. "Das Russlandgeschäft war eines der wichtigen Geschäftsfelder für den Lübecker Hafen und wenn diese wichtige Achse wegbricht, dann ist es schon spürbar", sagt Lindenau.

Einbrüche im ganzen Ostsee-Schiffverkehr

Doch es kommt noch schlimmer für die Lübecker, denn die Güter mit Ziel Russland gingen nicht nur direkt nach St. Petersburg. Vieles wurde auch über die Häfen der Nachbarländer verschifft. Auch Lübecks andere Ostseelinien haben also ein Problem.
"Das sind in erster Linie die direkten Transportaufträge in Richtung Schweden, Finnland oder auch Lettland", gibt der SPD-Politiker Einblicke in den Abgrund maritimer Wirtschaft. "Von daher geht der Umsatz natürlich hier spürbar zurück, auf einzelnen Teilstrecken eben auch nahe Null."
Alleine dieses Jahr geht der Schaden in Lübeck in die Millionen – viel Geld für eine hochverschuldete Stadt.

Klare Kante in er Politik

Trotzdem stehen Politiker, Wirtschaftsvertreter und Hafenmanager ohne Wenn und Aber hinter den Sanktionen. Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister Bernd Buchholz von der FDP sagt: "Sanktionsmaßnahmen auf allen Ebenen sind erforderlich und ich glaube, die Isolation, in die sich Russland bewegt hat, muss man deutlich machen, auch wenn es eigene wirtschaftliche Beziehungen kostet."
Für Lübeck heißt das: Vollbremsung mitten im Startvorgang, denn die Stadt hatte Kühnes vor mit ihrem Hafen. Thorsten Fürter erinnert an die Lübecker Geostrategie aus Vorkriegszeiten: "Die neue Seidenstraße aus China über Russland quasi bis nach Lübeck verlängern."

Große Pläne für das Russlandgeschäft

Bis letztes Jahr saß Thorsten Fürter für die Grünen im Aufsichtsrat der Lübecker Hafengesellschaft, dem größten Hafenbetreiber der Stadt. "Die Stimmung war schon so, dass man das als Zukunftsmarkt ansieht", sagt Fürter, der parteiübergreifend für seine Hafenpolitik geschätzt wird. "Es wäre ein Bereich gewesen, in dem Wachstum hätte generiert werden können."

Lübeck machte Nägel mit Köpfen: Um das Russland-Geschäft in Schwung zu bringen, eröffnete Lübeck in St. Petersburg sogar ein eigenes Büro. Jetzt arbeitet dort niemand mehr. Bürgermeister Jan Lindenau hält die Strategie aber auch im Nachhinein für richtig. "Es ging darum, über genau diese Wege auch Einfluss zu nehmen auf die Entwicklung in Russland."
Hafenkenner Thorsten Fürter ergänzt, es habe ja auch schon nach der Annektierung der Krim Sanktionen gegeben: "Aber in der Wirtschaft hat sich relativ schnell die Meinung durchgesetzt, dass das relativ zahnlos war."
Aber beim Russland-Handel geht es um mehr, als nur um Tonnage, Euros und Bruttosozialprodukt. Russland hat für Lübeck auch eine emotionale Bedeutung.

Lange Tradition der Nowgorod-Route

"Wir sind im Raum zum entstehenden Nowgorod-Handel", sagt Historikerin Angela Ling Huang vom Europäischen Hansemuseum in Lübeck..
"Mit dem 12. Jahrhundert beginnt es, dass vor allem Lübeck, aber auch andere Städte, Punkte entlang einer Handelsroute nach Nowgorod sind", sagt die Kennerin der Handelsgeschichte an der Ostsee.

Nowgorod liegt ganz in der Nähe vom heutigen St. Petersburg. Die Verbindung Lübeck gen Osten war also schon früher sehr wichtig im Ostseehandel.
"Für die Hansekaufleute war Nowgorod einfach ein ganz wichtiger Ort, an dem sie zum einen ihr kostbares Tuch aus Brügge zum Beispiel abgesetzt und andererseits auch ganz wichtige Waren für den hansischen Handel eingekauft haben", erklärt die Leiterin der Forschungsstelle für die Geschichte der Hanse und des Ostseeraums an dem Museum. Gerade Bienenwachs sei im großen Stil von Hansekaufleuten nach Westen exportiert worden. "Und das Wachs erleuchtete die christlichen Kirchen zu der Zeit."
Seit der Wende hat man die alten Kulturkontakte neu belebt und steht jetzt vor dem Nichts.
"Es ist natürlich ein herber Einschnitt in den Zusammenarbeitsstrukturen, die wir über lange Jahre aufgebaut haben", sagt Bürgermeister Jan Lindenau. "Ich nenne das immer Volksdiplomatie. All das, was sozusagen auch zwischen Institutionen, Vereinen und Verbänden läuft, ist natürlich im Moment mehr als beeinträchtigt."

Rostock wittert neue Chancen

Aber nicht nur in Lübeck, auch weiter östlich an der deutschen Küste spüren Politiker und Wirtschaftsleute die Auswirkungen der Sanktionen. "Der Rostocker Seehafen ist der größte Hafen Mecklenburg-Vorpommerns und der einzige Tiefwasserhafen an der deutschen Ostseeküste", schwärmt Sven Olsen von der Industrie- und Handelskammer zu Rostock.
Ungefähr ein Fünftel des Umschlags macht Rostock mit Russland.

Hoffen auf Wasserstoff

Trotzdem herrscht hier eher Aufbruchsstimmung als Wehmut, denn jede Krise hat auch Gewinner.
Es könne durchaus sein, dass der fürchterliche Krieg in der Ukraine zum Beschleuniger für die Energiewende und für den Ausbau der erneuerbaren Energien werde, sagt Olsen: "Und das würde für unseren Standort hier in Rostock großes Potential beinhalten."
Wasserstoff lässt alle hoffen. Das Gas der Zukunft soll auf der Ostsee produziert und im Hafen gespeichert werden. Goldene Zeiten für die Rostocker Industrie. Es winken Steuereinnahmen und Arbeitsplätze. Die Pläne liegen schon in der Schublade. "Aber es sollte jetzt auch gemeinschaftlich energisch angegangen werden, diese Energiewende auch schnellstmöglich zu realisieren", sagt Olsen.

Abschied einer Reederei von Lübeck

Auch Lübeck will sich nicht unterkriegen lassen. Das Aus fürs Russlandgeschäft bringe den Hafen nicht in existenzielle Nöte, betonen alle. Das Containerschiff „Vohburg“ aber wird so schnell nicht wiederkommen: Die Reederei zieht sich komplett aus Lübeck zurück.  
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