Geflüchtete aus der Ukraine

Wie geht Helfen richtig?

07:27 Minuten
Eine Frau mit Atemschutzmaske trägt ein Schild vor dem Bauch, auf dem sie in englischer Sprache eine Unterkunft für eine Mutter mit kleinen Kindern anbietet. Mit dem Rücken zur Kamera steht vor ihr eine dunkelhäutige Frau, die eine gelbe Warnweste trägt.
Hilfe für Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine am Berliner Hauptbahnhof: Eine Frau bietet Unterkunft für eine Mutter mit kleinen Kindern an. © imago / Political-Moments
Stefan Gosepath im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 15.03.2022
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Die Hilfsbereitschaft der Menschen für Flüchtlinge aus der Ukraine sei groß und auch moralisch geboten, sagt der Philosoph Stefan Gosepath. Sie sollte aber besser koordiniert werden. Denn mit vielen Entscheidungen seien wir als Einzelne überfordert.
Menschen, die vor Wladimir Putins Angriffskrieg auf die Ukraine nach Deutschland geflohen sind, erfahren derzeit viel Hilfe durch freiwillige Helferinnen und Helfer in Deutschland. Viele Menschen empfangen die Geflüchteten am Berliner Hauptbahnhof, versorgen sie mit dem Nötigsten, viele bieten Unterkünfte an.

Spontane Hilfsbereitschaft

Er freue sich über die "große Welle spontaner Hilfbereitschaft", die den Menschen nun entgegenkomme, ähnlich wie im Sommer 2015, als viele Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten über das Mittelmeer nach Europa gelangten, sagt der Philosoph Stefan Gosepath von der Freien Universität Berlin. Jetzt komme es jedoch darauf an, die Hilfe zu organisieren, damit sie fair auf viele Schultern verteilt werde und auch alle erreiche, die sie benötigen. Aus philosophischer Perspektive sieht Gosepath durchaus eine Verpflichtung zu helfen.

Wir sind in der glücklichen Lage, dass es uns gut geht, und wir müssen einen Teil dieses Gutgehens dafür opfern, dass wir anderen helfen, denen es aus Umständen, die sie selber nicht zu verschulden haben, nicht so gut geht.

Stefan Gosepath, Philosoph

Aber für wen sind wir bereit, uns zu engagieren? Liegt die enorme Hilfsbereitschaft, die sich im Moment zeigt, auch darin begründet, dass derzeit vor allem Frauen und Kinder aus der Ukraine fliehen? Und spielt es zudem eine Rolle, dass sie uns als Menschen aus der Mitte Europas besonders nahe zu stehen scheinen?

Moralische Verpflichtung

Aus philosophischer Sicht dürften solche Fragen natürlich gar keine Rolle spielen, sagt Gosepath. Die Verpflichtung zur Hilfe gelte allen gegenüber, die unverschuldet in Not geraten – ungeachtet ihrer Hautfarbe, Herkunft oder Ethnie.
Tatsächlich sei an den Grenzen in Polen und Deutschland bereits zu beobachten, dass Flüchtlinge, die "aus dem Nahen Osten über die Ukraine zu uns kommen", diskriminiert würden. Das sei ethisch nicht zu rechtfertigen, betont Gosepath. Da diese Geflüchteten in der gleichen Notlage seien, gebühre ihnen auch die gleiche Hilfe.

Eigennützige Motive

Der Moralphilosoph Immanuel Kant habe besonderen Wert darauf gelegt, dass wir das moralisch Gebotene aus Plichtbewusstsein tun und nicht aus bloßer Neigung tun, sagt Gosepath. Dass die Frage nach eigennützigen Motiven relevant ist, zeigen nicht zuletzt Warnungen der Berliner Polizei vor unseriösen Hilfsangeboten:
Auf Anzeigentafeln an Bahnhöfen und in den sozialen Medien empfiehlt die Polizei Geflüchteten, nur an offiziellen Stellen Hilfe zu suchen, da offenbar der Verdacht besteht, dass Männer sich mit Übernachtungsangeboten an ukrainische Frauen und Mädchen wenden, um sie sexuell zu missbrauchen oder zur Prostitution zu zwingen.

Gemeinschaftliche Aufgabe

Es sei ohnehin wichtig, dass die Hilfe gut organisiert werde, sagt Gosepath, denn als Einzelne seien wir damit überfordert, zum Beispiel zu entscheiden, wer wie bedürftig und in welchem Maß auf Hilfe angewiesen sei: "Es ist nicht unsere persönliche Aufgabe, am Bahnhof einen Finanzcheck oder Gesinnungscheck zu machen."
Vielmehr sei es eine gemeinschaftliche Aufgabe, die Ankommenden zu registrieren und bei dieser Gelegenheit auch festzustellen, wer was am dringendsten benötige, so Gosepath. "Und dann muss es wie im Krankenhaus so gehen, dass diejenigen, die die Hilfe am nötigsten haben, zuerst behandelt werden."
(fka)

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