"Es liegt an den Ukrainern, zu entscheiden"
Die Korruption bändigen, die Oligarchen entmachten und die Einheit des Landes bewahren. Das seien zentrale Forderungen Europas an die Ukraine, sagt Hannes Swoboda, Chef der Sozialisten im Europaparlament.
Nana Brink: Nach wie vor steht ja die Frage im Raum, wer wird die Ukraine in Zukunft regieren. Und für uns sehr entscheidend ist auch die Frage, welche Rolle wird die EU dabei spielen. Denn unbestritten muss sich die Europäische Union nun am Wiederaufbau und der Stabilisierung des Landes beteiligen, das nach eigenen Angaben am Rande des Staatsbankrotts steht. Heute nun macht sich die Außenbeauftragte der EU, Catherine Ashton, auf den Weg nach Kiew - was hat sie im Gepäck? Hannes Swoboda ist Vorsitzender der sozialistischen Fraktion im EU-Parlament. Schönen guten Morgen, Herr Swoboda!
Hannes Swoboda: Schönen guten Morgen!
Brink: Wird die EU Starthilfe für eine neue Ukraine geben?
Swoboda: Sicher werden wir das geben und werden wir das geben müssen. Wir können ja nicht ein Assoziierungsabkommen anbieten, das dann zwar nicht unterzeichnet wird, und dann die Demonstrationen mit doch Sympathie verfolgen und dann sagen, jetzt müsst ihr alleine eure Sachen regeln. Allerdings: Jede Hilfe muss unter Bedingungen gestellt werden, und zweitens – natürlich kann das nicht alles von der Europäischen Union alleine geleistet werden. Hier muss vor allem der Internationale Währungsfonds und andere Institutionen mithelfen.
Brink: Aber erst mal muss man doch eine Art Starthilfe geben, das heißt, ganz konkret signalisieren, wie man denn das auf den Weg bringen will.
Swoboda: Klar. Man muss vor allem auch dem Budget unter die Arme greifen, denn die wichtigsten Dinge sind nun einmal zu erledigen, gerade auch mit öffentlichen Geldern. Das ist klar. Man muss allerdings auch von der Seite der Ukraine verlangen, dass sie jetzt doch versucht, eine Wirtschaftsreform zu machen, die die Korruption bändigt, die die Oligarchenstrukturen zerschlägt. Und diese Strukturen gibt es ja nicht nur auf der Seite von Janukowitsch und seinen Folgern und seinen Kolleginnen und Kollegen, sondern das gibt es natürlich auch auf der Seite der Opposition. Hier muss ein klares Wort gesprochen werden seitens der Europäischen Union, aber natürlich immer begleitend mit finanzieller Hilfe und Unterstützung.
Brink: Weil sie das angesprochen haben: Gerade die Kandidaten für mögliche Führungspositionen - am 25. Mai soll es ja Präsidentschaftswahlen geben - , das ist natürlich Julia Timoschenko, aber auch ein Oligarch – haben Sie Vertrauen darin, dass dann diese Wirtschaftsreformen passieren werden?
"Keine Hilfe ohne klare Bedingungen"
Swoboda: Wenn man sieht, was in der Vergangenheit passiert ist, gerade als Frau Timoschenko Premierministerin war, dann habe ich da kein sehr großes Vertrauen. Daher muss das mit wachsamem Auge verfolgt werden, und wir können nur Leute unterstützen, die sich klar zu einer anderen, zu einer offenen, transparenten Marktstruktur, Marktwirtschaft bekennen. Sonst geht es nicht. Wenn es wieder nur jetzt von einer Oligarchenstruktur in die andere Oligarchenstruktur wandert, die Macht, dann ist das nicht das, was wir uns in der Europäischen Union wünschen. Das kann sich vielleicht Russland vorstellen, die können dann leicht von der Unterstützung der einen Oligarchenseite auf die andere Seite wandern – das Verhältnis von Timoschenko zu Russland ist ja ohnedies immer sehr problematisch und zweifelhaft. Das war nie so eine Opposition, wie das oft dargestellt worden ist. Das muss man sich im Detail ansehen. Wie gesagt, keine Hilfe ohne klare Bedingungen.
Brink: Aber eigentlich ist doch die Europäische Union dann etwas ratlos, wenn sie heute in Gestalt von Catherine Ashton nach Kiew fährt?
Swoboda: Ratlos sind alle. Ratlos ist die Europäische Union, ratlos ist sicherlich Russland, das sich das anders vorgestellt hat. Ich will von Janukowitsch gar nicht reden. Und natürlich auch die Oppositionsführer. Denn die müssen jetzt schauen, dass sie einerseits eine Struktur aufbauen, wo wieder Verwaltungen funktionieren und Gerichte funktionieren et cetera. Und so verstehe ich durchaus die Leute am Maidan, die sagen, wir trauen denen auch nicht ganz. Wir wollen da weiter sozusagen demonstrieren oder wachsam sein. Aber das kann natürlich nicht so sein, dass das da jetzt zwar eine Maidan-Nebenregierung gibt, die dann wie ein Revolutionsrat alles kontrolliert und gutheißt oder eben ablehnt. Das ist die schwierigste Aufgabe, die jetzt zu erfolgen hat, und da kann die Europäische Union schon helfen, aus den Erfahrungen, die wir mit den Umbrüchen in den osteuropäischen Ländern gelernt haben.
Brink: Aber weil sie den Maidan ansprechen: Gerade die Leute dort gucken ja in Richtung Europäische Union, sagen hallo, die Geister, die ihr rieft. Es gibt ja ein fertig ausgearbeitetes Partnerschaftsabkommen zwischen der EU und der Ukraine. Es ist nicht unterschrieben worden, daran haben sich ja die Proteste unter anderem auch entzündet. Holt man dieses Abkommen jetzt wieder aus der Schublade?
Swoboda: Das kann man natürlich herausholen, und vor allem, wenn die ukrainische Bevölkerung klar sich entschieden hat bei den Wahlen für einen Präsidenten, eine Präsidentin, für eine Regierung, die dieses Abkommen unterzeichnen möchte, dann sollte das natürlich funktionieren, selbstverständlich. Unbeschadet dessen sollte man natürlich versuchen, muss man versuchen, mit Russland zu reden. Und auch Russland klar zu sagen, dass der Wille der Bevölkerung zu berücksichtigen ist. Wir müssten es auch berücksichtigen, wenn die Bevölkerung Regierungen beauftragt, die nicht das Abkommen unterzeichnen wollen. Es liegt an den Ukrainern, zu entscheiden, welchen Weg sie gehen wollen. Und die Nachbarn, das ist die Europäische Union und Russland, soll und muss das respektieren.
Brink: Aber gerade liegt es natürlich auch an der Europäischen Union, sich jetzt zu positionieren. Immer wieder taucht in diesem Zusammenhang auch die Frage auf, ob es nicht sinnvoll wäre, Dreiergespräche zu führen, über die Zukunft der Ukraine, also Russland, EU und die Ukraine. Ist das nicht der Weg?
Swoboda: Das kann durchaus ein Weg sein, wenn, wie gesagt, auch Russland sagt, was immer die Ukraine entscheidet, werden wir anerkennen. Dann kann man natürlich darüber reden, da bin ich sogar sehr dafür, zum Beispiel, was die finanzielle Hilfe betrifft. Wir haben nicht das Geld, das Russland da angeboten hat - wenngleich es ja das noch nicht bezahlt hat, weil ja gerade Russland besondere Bedingungen …
Brink: Na, die haben die Milliardenkredite erst mal gestoppt.
"Russland selbst kann mithelfen"
Swoboda: Ja eben. Das zu machen, sich zu zusammenzusetzen und über die internationalen Hilfen und über Unterstützung der Ukraine zu reden mit Russland, das halte ich absolut für sinnvoll. Nicht, was die innenpolitische Entwicklung betrifft, aber die Hilfestellung, und das ist ja jetzt das Wichtigste. Das Wichtigste ist nicht das Unterschreiben des Abkommens, das Wichtigste ist Hilfe auf der einen Seite, aber auch Reformen auf der anderen Seite. Wir brauchen auch den Internationalen Währungsfonds. Wir brauchen ja internationale Institutionen, wo Russland ohnedies auch beteiligt ist. Und Russland selbst kann mithelfen. Diese Hilfe sollte man nicht einfach zurückweisen, aber sie muss, wie gesagt, mit dem Respekt für die Entscheidung der Bevölkerung einhergehen.
Brink: Am Donnerstag soll nun eine EU-Resolution verabschiedet werden. Bei aller Ratlosigkeit, was soll denn da drinstehen?
Swoboda: Ich glaube, die Unterstützung für die neue Regierung und genau die Forderungen, die ich gemeint habe. Die Zerschlagung von Korruption und von oligarchischen Strukturen; die Unabhängigkeit der Justiz, aber natürlich auch die Bewahrung der Einheit des Landes. Denn es macht wenig Sinn, wenn wir tolle Reformen haben und wenn wir als Europäer auf die Barrikaden mit hinaufsteigen und dann ein Teil des Landes sich abspaltet. Auch das ist eine wichtige Aufforderung, die wir an die verschiedenen Oppositionsführer stellen müssen: Bitte bewahrt die Einheit des Landes. Ein Auseinanderbrechen des Landes ist in niemandes Interesse.
Brink: Hannes Swoboda, Vorsitzender der Sozialistischen Fraktion im EU-Parlament. Schönen Dank, Herr Swoboda!
Swoboda: Bitte, sehr gern!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.