Überwachung seit 1945

Gravierende Einschränkung von Grundrechten

Der deutsche Historiker und Buchautor Josef Foschepoth nimmt am 07.06.2015 an der Veranstaltung "Der digitale Überwachungsstaat - Quo vadis Demokratie?" im Haus der Kulturen der Welt (HKW) in Berlin teil.
Der Historiker und Buchautor Josef Foschepoth © picture-alliance / dpa / Roland Popp
Von Jochen Stöckmann |
Der Historiker Josef Foschepoth hat nachgewiesen: Bis ins Jahr 1968 wurden in der Bundesrepublik etwa 300 Millionen Postsendungen konfisziert. Ein Blick in die Geschichte macht deutlich, warum man beim Thema Überwachung nicht nur an die DDR denken sollte.
"Menschlich fühl ich mich verbunden / mit den armen Stasi-Hunden /die ein Mikrofon einbauten / um zu hören all die lauten / Lieder, Witze, leisen Flüche /
auf dem Klo und in der Küche / Worte, die sonst wärn verscholln / bannt ihr fest auf Tonbandrollen / dankbar rechne ich euchs an: / die Stasi ist mein Ecker / die Stasi ist mein Eckermann."
Der Staatsmacht und ihrer "Sicherheit" gab ein Wolf Biermann sich nicht geschlagen. Aber ironisch auszuteilen wie der Liedermacher – das war nicht jedem gegeben. Zehntausende DDR-Bürger mussten klaglos erdulden, dass sie bespitzelt wurden – flächendeckend.
Weitreichende Eingriffe in das Postgeheimnis
Doch massenhafte Überwachung, die war auch drüben, im freien Westen, längst gang und gäbe:
"Das war 1951, da wurde richtig klar beschlossen: Jetzt wird die ganze Post durchsucht, die aus der DDR in den Westen kommt, geöffnet – die Erwartung war natürlich, dass da viel Propaganda drin steckte. Und die wird, wenn sich so etwas darin befindet, an Ort und Stelle verbrannt."
Der Historiker Josef Foschepoth hat kürzlich nachgewiesen: Bis ins Jahr 1968 wurden in der Bundesrepublik etwa 300 Millionen Sendungen aus der DDR konfisziert. Ein massiver Eingriff in das Postgeheimnis, ein permanenter Verstoß gegen das Grundgesetz.
Nach Kriegsende 1945 hatten die westlichen Besatzungsmächte den Post- und Telefonverkehr kontrolliert, um alte und neue Nazis aufzuspüren. Im Kalten Krieg wurden die Überwachungsmaßnahmen gegen Spione, Agenten und eine nicht unbeträchtliche Zahl politischer Sympathisanten des Ostblocks fortgeführt. Um dafür auch deutsche Behörden einspannen zu können, machten die Alliierten Anfang der 50er bei den Verhandlungen über die Souveränität der Bundesrepublik eine gesetzliche Verankerung weitreichender Eingriffe in das Post- und Fernmeldegeheimnis zur Bedingung. Eine öffentliche Debatte über solch gravierende Einschränkung von Grundrechten aber hätte die junge Demokratie unweigerlich gespalten.
"Spiegel"-Affäre 1963 und Notstandsgesetze 1968
Deshalb wurde die Lizenz zur uneingeschränkten Überwachung klammheimlich übernommen – als sogenanntes "Vorbehaltsrecht" der Alliierten, das fortan für bundesdeutsche Behörden galt. Das war kaum im nationalen Interesse, wohl aber in dem von Bundeskanzler Konrad Adenauer. Denn nun ließ sich ganz ungeniert – ohne Kontrolle durch das Parlament – auch der innenpolitische Gegner ausforschen. Im September 1963 berichtete der "Spiegel", dass Verfassungsschützer – darunter nicht wenige ehemalige SS-Chargen – Telefone von durchaus gesetzestreuen, aber in ihren Augen "auffälligen" Bundesbürgern abhören ließen. Darauf entschuldigte Innenminister Hermann Höcherl von der CSU seine Untergebenen mit dem für die Adenauer-Ära so charakteristischen Satz:
"Die Beamten können nicht den ganzen Tag mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen."
Die Abgehörten wiederum durften sich nicht auf das Grundgesetz berufen. Nach der Verabschiedung der Notstandsgesetze im Mai 1968 gilt diese Einschränkung der Verfassung bis heute. Josef Foschepoth:
"Wenn die Nachrichtendienste aufgrund des Staatsschutzes tätig werden, hat erstens der Bürger keinen Anspruch auf Information darüber, dass er überwacht worden ist – und zweitens ist der Rechtsweg ausgeschlossen. Und das ist für mich der Sündenfall der ganzen Überwachungsthematik, denn seitdem gilt: Keine Bundesregierung wird da jemals etwas aufdecken – und sie tut's ja auch nicht in der ganzen NSA-Affäre."
Unter Willy Brandt, der als sozialdemokratischer Kanzler "mehr Demokratie wagen" wollte, hatte Innenminister Hans-Dietrich Genscher die geheimdienstliche "Erfassung" von vermutlich zwei Millionen Bürgern zu verantworten. Brandts Koalitionspartner von der FDP zog sich mit der lakonischen Bemerkung aus der Affäre:
"Wer gesucht wird, hat keinen Anspruch auf Datenschutz."
"Gesucht" und infolgedessen belauscht wurde Anfang der 70er massenhaft. Nicht nur Anhänger der Rote Armee Fraktion, sondern ebenso Gelegenheitsdemonstranten oder allzu aktive Gewerkschafter. Bei "Radikalen im Öffentlichen Dienst" reichte den Staatsschutzbehörden ein unbedachtes, ein offenes Wort, um die "technische Überwachung" zu beantragen: Ausgelöst durch das Relais des entsprechenden Telefonanschlusses lief ein Tonband mit. Das erzeugte ein auffälliges Knacken im Hörer – als letzte und einzige Warnung.
Ausdehnung der Überwachung in den 70er Jahren
Soviel zur "streitbaren Demokratie" – die leistungsstarken Rechnern die Überwachung potentiell unsicherer Kantonisten überantwortete. Horst Herold, der Präsident das Bundeskriminalamt von 1971 bis 1981, wollte so viele Daten wie möglich zusammenführen. Mit Lauschangriffen und Rasterfahndung hat die Bundesrepublik das Netz der Überwachung immer enger geknüpft – lange bevor Google oder Facebook den Geheimdiensten ihre Arbeit erleichterten. Der Historiker Josef Foschepoth:
"Die Ausdehnung der Überwachung, die dann in den 70er Jahren nochmals verschärft worden ist. Eine Rasterfahndung wurde dann auch ohne Gesetz entsprechend umgesetzt. Der gegenläufige Prozess zu diesem Geschichtsbild, was wir haben von einer permanent sich liberalisierenden, modernisierenden, demokratischer werdenden Republik. Der Gegentrend war: Zugriff des Staates auf den Bürger, Überwachung, Eingrenzung, Verschärfung."
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